16.10.2011 | St. Markus 9,17-27 | 17. Sonntag nach Trinitatis

Da bin ich in der Gemeinde zu einer Familienfeier eingeladen. Die Gemeindeglieder, die da feiern, finden es offenbar ganz erfreulich, dass ich als Pastor da bei ihrer Feier auch auftauche. Aber ich merke schon: Mit dieser Freude ist zugleich auch eine bestimmte Hoffnung verbunden. Da auf dieser Feier kreuzt doch auch der ganze unkirchliche Teil der Familie auf, da finden sich auch diejenigen aus der Familie ein, die mit Kirche und Glauben nicht viel am Hut haben. Und wenn jetzt der Pastor dort auch auftaucht, dann können sie ja nicht entkommen, dann müsste es doch eigentlich der Pastor schaffen, die Leute rumzukriegen, dass die endlich mal kapieren, wie gut und wichtig es ist, in der Kirche zu Hause zu sein. Und dann bin ich da auf der Feier, esse und trinke gut, führe nette Gespräche – aber ich merke zugleich: Ich komme an diese Leute, die sich nicht für Kirche und Glauben interessieren, einfach nicht heran. Über alles Mögliche kann ich mich mit ihnen unterhalten – aber sobald ich versuche, dem Gespräch ein wenig Tiefgang zu geben, komme ich nicht weiter. Essen, Familie, Hobbys, Urlaub – sehr viel weiter reicht der Horizont dieser Leute nicht; daran kann ich offenbar nichts ändern. Und so verlasse ich die Familienfeier mit gefülltem Magen, aber zugleich doch mit einem etwas unguten Gefühl: Ich habe es wieder mal nicht geschafft, habe wieder mal in meinen Bemühungen als Pastor versagt.

Nur allzu gut kann ich von daher die Jünger Jesu verstehen, wie die da bedröppelt dastehen, weil auch sie ganz offenkundig versagt haben, den verständlichen Erwartungen nicht gerecht werden konnten, die die Leute an sie gerichtet hatten: Fertig werden sollten sie mit einem sprachlosen Geist, der einen Menschen seit vielen Jahren quälte mitsamt der dazugehörigen Verwandtschaft. Doch nichts passiert: Scheinbar machtlos müssen die Jünger erkennen, dass sie gegen diesen Geist nicht ankommen, müssen dabei zusehen, wie dieser weiterhin die Macht über einen Menschen behält und ihn nach seinem Willen beherrscht.

Nun könnte man es sich mit dieser Geschichte, die St. Markus uns hier erzählt, sehr einfach machen. Man könnte versuchen, aufgrund des hier beschriebenen Verhaltens des Jungen eine Ferndiagnose auf der Basis heutiger medizinischer Erkenntnisse zu erstellen, und würde dann vermutlich ziemlich schnell zu dem Ergebnis kommen, dass der Junge wohl in Wirklichkeit an epileptischen Störungen litt, dass sein Verhalten also mit irgendwelchen Geistern nicht das Geringste zu tun hat. Doch mit solch einem scheinbar aufgeklärten Blick auf das, was uns St. Markus hier schildert, würden wir dem nicht gerecht, was uns der Evangelist hier vor Augen stellen will: Er will uns hier nicht ein sensationelles Heilungswunder schildern; ihm geht es um viel mehr: Ihm geht es um Glauben und Unglauben und darum, was Jesus mit all dem zu tun hat. Glauben ist, so zeigt es uns St. Markus hier,
- unmöglich
- umkämpft
- unbezwingbar

I.
Um unsere heutige Predigtlesung richtig verstehen zu können, müsste man eigentlich das ganze neunte Kapitel des Markusevangeliums vorlesen: Da wird nämlich zunächst einmal geschildert, wie Jesus dreien seiner Jünger in seiner ganzen Herrlichkeit auf dem Berg der Verklärung erscheint. Alles ist für die Jünger, die da bei Jesus stehen, ganz klar; angesichts dessen, was sie schauen dürfen, bleibt kein Raum mehr für Fragen oder Zweifel. Doch dann kommt Jesus wieder vom Berg herunter, und seine Jünger müssen ihm folgen zurück in die Niederungen des Alltags. Und was Jesus dort unten gleichsam im Dunkel am Fuß des Berges erlebt, das fasst er mit einem Wort zusammen: Unglauben erlebt er dort, Unglauben, der ganz verschiedene Facetten haben kann:
Da ist dieser Junge, der von einem sprachlosen Geist gequält wird, der einfach nicht dazu in der Lage ist, sich zu Jesus Christus als seinem Herrn und Retter zu bekennen. Keine Chance hat er von sich aus, dieser geistlichen Sprachlosigkeit auch nur irgendwie zu entkommen. Und da ist der Vater dieses Jungen, der angesichts dessen, was er mit seinem Sohn seit vielen Jahren durchmachen musste, einfach nicht glauben kann, dem die furchtbaren Erfahrungen, die er in seinem Leben gemacht hat, jeden Zugang zum Glauben verstellen. Und da sind schließlich die Jünger Jesu, die die Erfahrung machen müssen, dass sie auch nicht weiter sind als jener Vater, und die auch mit zu denen gehören, die Jesus hier als ungläubiges Geschlecht bezeichnet.

Unglaube kennzeichnet nicht nur die Leute damals am Fuß des Berges der Verklärung, sondern Unglaube – das ist die Grundsituation eines jeden Menschen, von uns allen, auch heute noch. Glaube ist nicht eine menschliche Fähigkeit und Möglichkeit, die man mit etwas Geschick und Geduld aus jedem Menschen irgendwie herauskitzeln könnte. Glaube ist erst recht nicht eine besondere Begabung einzelner, etwa vergleichbar mit besonderer Musikalität. Glaube lässt sich nicht mithilfe von besonders eindrücklichen Argumentationsketten oder gar mithilfe von emotionalen Manipulationen hervorrufen. Nein, es ist uns Menschen schlichtweg unmöglich, an den Gott zu glauben, der sich in Jesus Christus uns zu erkennen gegeben hat. Wir schaffen es von uns aus nicht, uns zu Jesus Christus, unserem Herrn, zu bekennen. Wir sind blind für Gottes Möglichkeiten, sind erst recht nicht dazu in der Lage, bei anderen Menschen diesen Glauben hervorzurufen, den wir doch auch in uns selber nicht hervorrufen können. Keinen Unterschied gibt es da zwischen uns Menschen; Pastoren können nicht besser oder stärker glauben als andere Gemeindeglieder, und wenn sie mit Menschen zusammensitzen, die ganz freimütig von sich bekennen, sie könnten nicht glauben, dann können sie ihnen darin nur zustimmen: Nein, das kann ich auch nicht. Ich kann nicht glauben, und wenn mein Dienst an meiner Fähigkeit zu glauben hinge, dann könnte ich ihn in der Tat sofort an den Nagel hängen und mir eine andere Beschäftigung suchen.

Unglaube, unsere Unfähigkeit, Gott in Jesus Christus zu erkennen, unsere Unwilligkeit, Gott allein ganz zu vertrauen – Jesus kann diese Erfahrung, die er mit den Menschen um sich herum, die er auch mit uns macht, kaum aushalten, das tut ihm weh, das bringt ihn am Ende tatsächlich um: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? – Was für ein erschütternder Ausruf unseres Herrn, was für ein erschütternd tiefer Einblick in die Lage, in der wir Menschen uns alle miteinander befinden!

II.
Doch Jesus haut nicht ab, er kehrt nicht wieder allein auf den Berg der Verklärung zurück, um dort möglichst weit weg zu sein von den Tiefen des Unglaubens, in die er sich da nun zurückbegeben hat. Sondern er hält es aus, bei uns, den Ungläubigen, hält es aus bei uns, bis er sich schließlich um unseres Unglaubens willen ans Kreuz nageln lässt. Er lässt uns nicht abmetzeln, sondern er macht sich daran, uns in unserem Unglauben aufzuhelfen.

Und wo er, Jesus, auftaucht, um dem Unglauben zuleibe zu rücken, da fangen Kämpfe an, mit denen man als aufgeklärter Westeuropäer, als religiös gestimmter Kulturprotestant erst einmal gar nicht rechnen mag. Der Glaube ist eben nicht bloß ein intellektuelles Spiel, keine Freizeitbeschäftigung für geschichtlich und religiös interessierte Salonchristen. Sondern es geht im Glauben um nicht weniger als darum, wer denn eigentlich die Macht, die Herrschaft über unser Leben hat, wer uns treibt und bestimmt. Und die Mächte, die sich Jesus Christus widersetzen und ihn davon abhalten wollen, Menschen in seine Gemeinschaft zu rufen und ihnen den Glauben zu schenken, die lassen sich eben nicht mit ein paar medizinischen Fachbegriffen verharmlosen und wegerklären; die werden aktiv, so habe ich es immer wieder erlebt, wenn vor allem Erwachsene auf die Taufe vorbereitet werden. Die arbeiten mit allen möglichen Tricks, um Menschen schließlich doch davon abzuhalten, sich unter die Herrschaft dessen zu begeben, der den unmöglichen Glauben möglich, ja wirklich zu machen vermag. Wo Christus mit seiner Macht auftaucht, da beginnen Kämpfe, die auch mit dem Herrschaftswechsel in der Taufe nicht enden, sondern ein ganzes Leben lang weitergehen, wenn denn ein Mensch auch weiter im Machtbereich dieses Herrn Jesus Christus lebt. Niemals werden wir diesen Kämpfen entkommen können, solange wir leben, niemals werden wir in unserem Leben selber über den Schrei des Vaters hinauskommen können: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! Wo ein Mensch ruft: „Ich glaube!“, wo er damit nicht bloß eine allgemeine religiöse Gestimmtheit meint, sondern das Vertrauen auf Jesus Christus und seine Macht, da ist dies nur möglich, weil Christus selber diesen Glauben in ihm hervorgerufen hat. Denn sobald wir auf uns selber und unsere eigenen Möglichkeiten blicken, können wir gar nicht anders, als immer wieder neu zu rufen: „Hilf meinem Unglauben!“

Da läuft also nichts schief in deinem Leben, wenn du selber solche Kämpfe bei dir und in dir immer wieder wahrnimmst, wenn du merkst, dass du selber nicht glauben kannst und immer wieder nur beten kannst: „Hilf meinem Unglauben!“ Im Gegenteil: Gerade da, wo du dieses kurze Gebet sprichst, zeigt sich, dass Christus, dein Herr, auch bei dir schon längst am Werk ist, dass er schon längst dabei ist, dir zu schenken, was du selbst dir niemals zu geben vermagst. Wundern wir uns von daher auch nicht, wenn wir mit unserem Bekenntnis zu Jesus Christus, wenn wir mit dem Verweis auf sein Wort, auf seinen Anspruch immer wieder Abwehr und Aufschreie hervorrufen. Auch solche Reaktionen können durchaus Zeichen des Wirkens unseres Herrn Jesus Christus sein, der genau weiß, dass er bei uns Menschen nur so den Glauben zu wirken vermag, dass er dabei zunächst Widerstände überwindet, die wir selber niemals überwinden könnten.

III.
Wenn Menschen sich also zu Jesus Christus, ihrem Herrn, bekennen, wenn auch wir dies heute in diesem Gottesdienst getan haben und tun, dann liegt das nicht an unserem guten Willen, nicht an unserer Einsicht und erst recht nicht an den Fähigkeiten eines Pastors. Sondern dann liegt das allein an der Fähigkeit unseres Herrn selber, Widerstände zu überwinden, dann liegt das allein an der Macht seines Wortes und seiner Gegenwart, der damals der sprachlose Geist nichts entgegenzusetzen hatte und vor der bis heute immer wieder Menschen kapitulieren, die einige Zeit zuvor noch nicht einmal im Traum auf die Idee gekommen wären, sich zu Jesus Christus als ihrem Herrn zu bekennen. An dem Jungen macht Jesus exemplarisch deutlich, was er auch mit uns zu tun vermag: Er spricht sein machtvolles Wort und vollzieht an ihm schließlich gleichsam so etwas wie eine Totenauferweckung.

Mehr haben auch wir zu unserem Glauben nicht beigetragen, als ein Toter zu seiner Auferweckung beizutragen vermag. Doch dieser Glaube, den Christus in uns wirkt, der hat dann zugleich auch eine erstaunliche Kraft, ja, der ist geradezu unbezwingbar. Denn er ist, wie gesagt, nicht eine menschliche Möglichkeit, sondern nichts Anderes als Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus. Dem ist nichts unmöglich, und darum sind dem alle Dinge möglich, der da glaubt. Denn wer an Christus glaubt, der blickt ganz weg von sich selber und von dem, was er selber kann, hin auf ihn, Christus, der zu tun vermag, was uns völlig ausgeschlossen erscheint. Der kann Menschen den Mund zum Lob Gottes öffnen, bei denen wir dies nie erwartet hätten, der kann Menschen den Glauben schenken, die wir vielleicht schon längst abgeschrieben haben. Nichts gibt es, was Christus unmöglich wäre, und darum brauchen wir auch kein Gebet an ihn mit der Einschränkung zu richten: Wenn du es kannst! Natürlich kann er, was er will. Natürlich bewirkt sein Wort, was er sagt, so haben wir es eben bei der Taufe von Jade erlebt, als er auch sie von allen Mächten des Bösen befreit und in seine Gemeinschaft geholt hat. Natürlich bewirkt sein Wort, was er sagt, so werden wir es gleich wieder erleben, wenn dieses Wort Brot und Wein zum Leib und Blut Christi werden lässt, zu der entscheidenden Kraftquelle, aus der wir als Christen schöpfen und die unseren Glauben unbezwingbar macht, weil wir darin immer wieder eins werden mit ihm, Christus, der alles vermag.

Blicken wir darum nicht länger auf unser Versagen, auf unsere Zweifel, auf unseren Unglauben; lassen wir unseren Blick ganz auf ihn, Christus, unseren Herrn, lenken. An ihm allein hängt unser Glaube, nicht an einem Pastor, nicht an uns selber. Und er, Christus, fängt erst da so richtig an, wo wir schon kapitulieren. Blicke nur fest auf ihn – dann wird nichts und niemand deine Verbindung zu Christus knacken können, dann wird eben darum auch dein Glaube unbezwingbar sein. Amen.