14.09.2011 | Apostelgeschichte 14,8-18 | Mittwoch n.d. 12. Sonntag nach Trinitatis

Ach nein, was waren die Eingeborenen damals noch primitiv! Da glaubten die doch allen Ernstes noch an Zeus und Hermes, glaubten gar daran, dass die sich von Zeit zu Zeit mal als Menschen verkleiden und dort irgendwo in Kleinasien herumlaufen, wenn es ihnen Spaß macht! Wie gut, dass wir heute in einem aufgeklärteren Zeitalter leben, möchte man meinen, wenn man die Predigtlesung des heutigen Abends vernimmt. Doch in Wirklichkeit handelt es sich hierbei um eine hochaktuelle Erzählung, wird unserer heutigen Zeit mit dem, was der heilige Lukas hier berichtet, in geradezu verblüffender Weise der Spiegel vorgehalten. Drei wesentliche Kennzeichen des heutigen modernen Menschen werden uns hier in diesen Versen vor Augen gestellt:
- Er fährt auf Sensationen ab.
- Er liebt es, sich Stars zu schaffen.
- Er will von Gottes Handeln in seinem Alltag nichts wissen.

I.
Da berichtet St. Lukas hier, wie der Apostel Paulus einen gelähmten Menschen heilt. Ja, so zeigt er es in seiner Apostelgeschichte an verschiedenen Stellen: Christus hatte die Apostel mit seiner Vollmacht ausgestattet, in seinem Namen auch Kranke gesund zu machen. Und von dieser Vollmacht machten die Apostel tatsächlich auch immer wieder einmal Gebrauch. Doch auch das zeigt uns St. Lukas sehr deutlich: Die Apostel gebrauchen diese Vollmacht nicht als Missionsmethode, wie es heutzutage manche Heilungsprediger versuchen, die mit den angeblich von ihnen vollbrachten Heilungen Werbung machen und damit Menschenmassen anzulocken versuchen. Paulus geht es hier um etwas ganz Anderes: Es geht ihm allein um die Not dieses einen behinderten Menschen; er nimmt den Glauben bei ihm wahr, das Vertrauen darauf, dass er, Paulus, tatsächlich im Namen Jesu Christi, im Namen des lebendigen Gottes zu sprechen vermag. Dies veranlasst ihn dazu, diesem Menschen in der Vollmacht Christi zu helfen.

Doch dass solche Hilfe auch missverstanden und missbraucht werden kann, erfahren Paulus und Barnabas sehr bald: Die Menschen, die diese Heilung miterleben, verstehen diese Hilfe als Sensation, und darauf fahren sie voll ab, lassen sich davon in Begeisterung versetzen, ordnen das, was sie da gerade miterlebt haben, in ihre eigene religiöse Gedankenwelt ein: „Die Götter sind den Menschen gleich geworden und zu uns herabgekommen!“ Nur mit Müh und Not gelingt es Paulus und Barnabas schließlich, die Volksmenge von dieser Begeisterung, von dieser Sensationsgier wieder abzubekommen.

Paulus und Barnabas hätten natürlich auch ganz anders reagieren können, hätten versuchen können, diese Begeisterung der Leute positiv aufzugreifen und anzustacheln: Hauptsache, wir haben die Leute erst einmal auf unserer Seite; Hauptsache, die finden erst mal unseren Laden gut! Erfüllen wir doch ihre Sehnsucht nach Sensationen, setzen wir noch ein paar Wunder drauf, dann haben wir Lystra bald ganz für uns gewonnen! Doch Paulus und Barnabas widerstehen dieser Versuchung: Mit Sensationen, mit Wundern können und wollen sie nicht Menschen zum Glauben führen und Kirche bauen.

Die Versuchung, in der schon damals Paulus und Barnabas standen, ist heute nicht geringer geworden: Wenn man die Leute nicht mehr mit dem Evangelium allein erreichen kann, dann muss man eben ein wenig nachhelfen mit Events, mit Shows, mit irgendwelchem spektakulärem Beiprogramm! Und das Verführerische ist: Das klappt in der Tat: Kirchen und Gemeinden, die mit dieser Masche arbeiten, erfreuen sich oft eines großen Zulaufs, haben mitunter Erfolge zu verzeichnen, über die man nur staunen kann. Ja, der Mensch ist heute noch derselbe wie vor zweitausend Jahren: Er fährt auf Sensationen, auf das Außergewöhnliche ab. Doch die Begeisterung, die Sensationen, die große Shows hervorzurufen vermögen, muss deswegen noch längst nicht vom Heiligen Geist gewirkt sein, so macht es uns St. Lukas hier in seiner Schilderung ebenfalls sehr eindrücklich deutlich. Ja, mehr noch: Wo Menschen ihren Glauben an das Sensationelle, das Außergewöhnliche hängen, verfehlen sie gerade das Entscheidende, worum es in Wirklichkeit im Glauben geht.

II.
Ein Zweites haben die Menschen damals in Lystra und der heutige moderne Mensch gemeinsam: Schon damals in Lystra hängten die Menschen ihren Glauben, ihre Begeisterung an bestimmte Personen, brachten ihnen Verehrung entgegen, setzten auf sie ihre Hoffnung, bis dahin, dass sie dazu bereit waren, Paulus und Barnabas Opfer darzubringen.

Genau so sind wir Menschen heute auch gestrickt: Statt auf Inhalte richten wir unser Interesse und unsere Hoffnungen immer wieder lieber auf Personen, projizieren auf sie unsere Wünsche, schaffen uns unsere eigenen Stars und Hoffnungsträger, die wir anhimmeln, weil wir in ihnen genau das finden, was wir uns selber wünschen. Das gilt auch schon für den Bereich der Politik; als Beleg müssen wir uns einfach nur mal die Wahlplakate anschauen, die im Augenblick überall an Bäumen und Straßenlaternen hängen: Wie oft wird auch dort mit der Methode gearbeitet, das Interesse auf Personen statt auf Sachinhalte zu lenken – und offenbar hat diese Methode immer wieder auch Erfolg. Das gilt für den ganzen Bereich der Unterhaltungsindustrie, die ganz wesentlich davon lebt, dass Menschen es lieben, sich ihre Stars zu schaffen, und dass sie für diese Liebe auch bereit sind, Opfer zu bringen, Opfer an Zeit und Geld. Und genau das lässt sich eben auch immer wieder im Bereich der Kirche beobachten, gerade in der neusten Zeit, wie Menschen ihre Hoffnungen und Wünsche auf bestimmte Menschen projizieren, wie diese etwa auf Kirchentagen dann Begeisterungsstürme auszulösen vermögen und sich dann so schwer damit tun, nicht der Versuchung zu erliegen, sich von dieser Welle der Begeisterung tatsächlich auch tragen zu lassen. Ja, wie groß ist die Gefahr, dass auch in einer normalen Gemeinde Menschen sich mehr von Personen als von Inhalten angezogen fühlen, ja, wie groß ist die Gefahr, dass diejenigen, denen diese Sympathie, denen diese Hoffnungen gelten, den Sehnsüchten der Menschen nachgeben und Menschen tatsächlich an sich statt an die Christusbotschaft allein binden. Ach, wie hochaktuell ist diese Szene, wie Paulus und Barnabas miterleben müssen, wie sie von der Menge zu Hoffnungsträgern hochstilisiert werden! St. Lukas schildert uns diese Szene jedenfalls eindeutig zu unserer Warnung!

III.
Alle Hände haben Paulus und Barnabas damit zu tun, den Menschen in Lystra klarzumachen, dass sie sich auf dem völlig falschen Dampfer befinden: Sie sind nicht Zeus und Barnabas, im Gegenteil: Ihre Religiosität hat sie in die völlig verkehrte Richtung geleitet, hat sie übersehen lassen, was doch eigentlich jeder Mensch wahrnehmen sollte: Dass Gott im Alltag von uns Menschen schon längst am Werk ist.

An der Situation von Paulus und Barnabas hat sich in den letzten 2000 Jahren nichts grundlegend geändert: Bis heute sind Menschen auf Sensationen aus, sind aus darauf, sich selber Stars zu schaffen und wollen zugleich von Gottes Handeln in ihrem Alltag nichts wissen. Dass es kein Zufall ist, dass sie leben, dass es kein Zufall ist, dass sie zu essen und zu trinken haben, dass auch die Freude, die sie in ihrem Leben erfahren, nichts Selbstverständliches, sondern Geschenk des Himmels ist, dafür sind nicht nur die Menschen in Lystra, sind auch so viele Menschen heute in Berlin einfach blind. Lieber schaffen sie sich ihren eigenen Glauben an selbstgebastelte Götter, auch wenn ihr höchster Gott heute nun nicht mehr Zeus, sondern Zufall heißt, auch wenn Meinungsumfragen mittlerweile den Götterboten Hermes ersetzt haben. Mühsam war es für Paulus und Barnabas damals, Menschen zum Glauben an ihn, den lebendigen Gott, zu führen; mühsam ist dieses Unterfangen der Kirche bis heute, wenn sie sich nicht dazu verleiten lässt, den Wünschen und Bedürfnissen derer, denen sie ihre Botschaft verkündigt, nachzugeben.

Damit, dass die Hörer ihrer Botschaft irgendwie religiös sind oder werden, ist schließlich noch nichts gewonnen. Religiös waren auch die Bewohner von Lystra damals zweifellos. Aber sie hingen eben immer noch falschen Göttern an, hatten ihn, den lebendigen Gott, noch nicht erkannt. Nicht auf Religiosität, nicht auf Massenbegeisterung hat auch heute die Verkündigung der Kirche zu zielen, sondern allein darauf, dass Menschen sich von den falschen Göttern zum lebendigen Gott bekehren, zum lebendigen Gott, dem wir alle unser Leben verdanken, der uns täglich schenkt, was wir zum Leben brauchen – und der darüber hinaus noch viel mehr getan hat: der seinen Sohn Jesus Christus für uns in den Tod gegeben hat, damit uns die Irrwege unseres Lebens nicht für immer von Gott trennen, sondern wir für immer in der Gemeinschaft mit ihm, dem lebendigen Gott, leben dürfen, der schon hier und jetzt auch unsere Herzen immer wieder mit Freude erfüllt. Das ist die ganz aktuelle Botschaft für die Menschen in Lystra damals und für die Menschen in Berlin heute. Amen.