22.05.2011 | St. Matthäus 21,14-17 | Kantate

„Endlich bin ich konfirmiert; endlich muss ich nicht mehr zur Kirche kommen!“ – Vielleicht habt ihr, liebe Konfirmanden, solche Kommentare auch schon mal gehört. Ja, das gibt es tatsächlich, dass Jugendliche, dass aber auch Erwachsene den Gottesdienst für eine Belastung halten, der man sich, wenn es gar nicht anders geht, immer wieder mal unterziehen muss, die man sich aber, wenn es irgend möglich ist, vom Leibe halten sollte. Wieso sollte ich denn noch freiwillig in die Kirche kommen, wenn ich meine Konfirmation doch schon in der Tasche habe? Da kann mir doch eigentlich keiner mehr Druck machen, dass ich da immer noch hingehen soll!

Ihr beide, liebe Melina, lieber Anton, wisst es besser. Ihr wisst, dass der Gottesdienst eben nicht eine lästige Pflichtübung ist, der man sich zwei Jahre lang unterziehen muss, bis man endlich konfirmiert ist, bis man endlich frei ist. Im Gegenteil: Ihr beide versprecht heute Morgen hier vor dieser Gemeinde, ja mehr noch: vor Gott selber, dass ihr von nun ab freiwillig und gerne auch weiter am Gottesdienst teilnehmen wollt, gerne hierher in Gottes Haus kommen wollt, ohne dass euch da noch jemand dran erinnern und euch dazu antreiben muss. Ja, ich nehme euch beiden das ab, dass ihr das wirklich ehrlich meint, dass es euch nicht bloß darum geht, Geschenke abzusahnen oder euch die Chance für die Teilnahme an künftigen Jugendkreisfahrten offenzuhalten. Doch wie kommt ihr beide eigentlich dazu, etwas zu versprechen, ja etwas zu tun, was die meisten eurer Klassenkameraden, was die meisten Jugendlichen hier in Berlin wohl als ziemlich überflüssig oder vielleicht sogar als ziemlich beknackt empfinden? Wie kommt ihr dazu, euch auch weiter immer wieder am Sonntagmorgen auf den Weg hierher zur Kirche zu begeben?

Genau darum geht es in der Predigtlesung dieses heutigen Sonntags Kantate. Da wird uns vom Evangelisten St. Matthäus ein ziemlich ungewöhnlicher Gottesdienst geschildert: Gewiss, er findet in einem sehr ehrwürdigen Gebäude, im Tempel in Jerusalem, statt. Aber ansonsten geht es dort ziemlich bunt her: Jesus war gerade zuvor auf einem Esel in Jerusalem eingezogen, hatte sich nach seinem Einzug gleich in den Tempel begeben und dort erst einmal ziemlich Randale gemacht: Die Tische der Geldwechsler und der Taubenhändler hatte er umgestoßen, hatte die Händler und ihre Kunden aus dem Tempel vertrieben und damit deutlich gemacht, dass es im Haus Gottes nicht um Geschäftemacherei gehen sollte. Ja, das habt ihr beide hoffentlich auch in den vergangenen zwei Jahren eures Unterrichts mitbekommen, dass wir als Kirche nicht hinter dem Geld der Menschen her sind, dass wir euch nicht finanziell ausnehmen wollten, sondern dass ihr im Gegenteil erfahren solltet, dass hier in der Kirche vieles eben ganz anders läuft als sonst in der Welt, dass es uns hier in der Kirche darum geht, dass jeder Mensch eingeladen ist, bei Gott zu Hause zu sein, dass man sich den Zugang zu Gott nicht erkaufen kann, dass man hier nicht ausgenommen, sondern beschenkt wird.

Und nachdem Jesus das erst einmal ganz unmissverständlich deutlich gemacht hat, beginnt dieser ganz besondere Gottesdienst im Tempel: Blinde und Lahme kommen zu Jesus im Tempel, und er heilt sie. Und dann springen da Kinder im Tempel herum, die offenbar vorher beim Einzug Jesu nach Jerusalem mit dabei gewesen waren und die nun singend und schreiend wiederholen, was sie dort zuvor am Stadttor von Jerusalem vernommen hatten: Hosianna dem Sohn Davids! Heilungen und Kindergeschrei – so etwas gehört sich doch nicht im Tempel, so etwas passt doch nicht zu einem Haus, in dem Gottesdienst stattfinden soll! So regen sich die Gegner Jesu über das auf, was dort nun gerade geschieht. Doch Jesus widerspricht ihnen: Das, was ihr hier gerade erlebt, ist in der Tat ein Gottesdienst: Denn die Blinden und die Lahmen, ja die schreienden Kinder, sie haben auf ihre Weise begriffen, wem sie hier im Tempel begegnen: Dem lebendigen Gott. Und dieser lebendige Gott, so fährt Jesus fort, der bin ich: „Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du, Gott, dir Lob bereitet“, so zitiert Jesus den 8. Psalm – und macht damit ganz nebenbei deutlich: Wenn die Kinder mir zujubeln, wenn sie mir Lieder singen, dann ist das Lob Gottes, denn ich bin es, an den dieser 8. Psalm gerichtet ist. Ich selbst, Gott, habe diese Lobgesänge der Kinder bei ihnen gewirkt und hervorgerufen.

Ganz kurz ist diese Geschichte, die St. Matthäus uns hier erzählt, scheinbar gar nicht fürchterlich spannend. Und doch nennt uns der Evangelist hier in dieser kurzen Geschichte gleich drei Gründe, warum ihr, liebe Konfirmanden, warum wir alle miteinander gut daran tun, auch nach unserer Konfirmation immer wieder gerne und freiwillig hier in dieses Haus Gottes zu kommen: Wir kommen hierher,
weil Gott hier gegenwärtig ist
weil Gott uns hier singen lässt
weil Gott uns hier heil macht.

I.
Das eine ist euch beiden, lieber Anton, liebe Melina, nach zwei Jahren Konfirmandenunterricht hoffentlich ganz klar geworden: Ihr kommt hierher zum Gottesdienst nicht, weil euch der Pastor dort erwartet oder weil euch da vielleicht irgendwelche Freunde erwarten. Sondern ihr kommt hierher zum Gottesdienst, weil Gott selber euch hier erwartet, weil es sein Haus ist, in das ihr geht, weil er hier gegenwärtig ist. Und wenn ich von Gott rede, dann meine ich eben keinen allgemeinen Feld-, Wald- und Wiesengott, sondern ich meine ganz konkret euren Herrn Jesus Christus. Der hat es damals seinen Gegnern mit diesem Zitat aus dem 8. Psalm ganz deutlich gemacht, dass er Gott ist, dass dieser Psalm auf ihn bezogen, an ihn gerichtet ist. Und der möchte auch euch allen immer wieder die Augen dafür öffnen, dass er hier der Gastgeber ist, auch wenn uns das von dem, was wir sehen, nicht unbedingt einleuchtet. Damals sahen die Leute im Tempel scheinbar auch nicht mehr als einen ganz normalen Menschen, der keinen Heiligenschein hatte, der von seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt auffiel. Und doch war dieser Mensch in Wirklichkeit der lebendige Gott. Heute seht ihr hier in der Kirche scheinbar auch nur den Pastor, und der ist natürlich in Wirklichkeit auch gar nicht Gott, sondern nur sein Diener, und ihr seht hier nur ein Stück Brot und einen Schluck Wein, der euch nachher wieder im Heiligen Abendmahl ausgeteilt wird. Und doch ist er darin selber leibhaftig gegenwärtig: Christus selber, der auferstandene Herr der Welt, der den Tod besiegt hat, der lebt und der darum auch der Gastgeber dieses Gottesdienstes ist.

Darum lohnt es sich für euch immer und immer wieder, am Sonntagmorgen früh aufzustehen und hierher zu kommen, weil ihr hier eben nicht bloß einem mehr oder weniger langweiligen Pastor begegnet, sondern weil euch hier der Herr der Welt, der lebendige Gott begegnet, der, der euch das Leben geschenkt hat und der euch am Ende eures Lebens auch einmal danach fragen wird, was er euch in eurem Leben eigentlich bedeutet hat. Der wartet hier auf euch und freut sich heute über euer Ja zu ihm, wird darum auch weiter auf euch warten, weil er darauf vertraut, dass ihr’s tatsächlich auch kapiert habt: Wir kommen hierher, weil Christus tatsächlich hier ist, weil der nicht als Leiche im Grab geblieben ist, sondern lebt und möchte, dass auch wir mit ihm leben – in alle Ewigkeit.

II.
Zwei Jahre habt ihr nun am Konfirmandenunterricht teilgenommen – und ich hoffe, dass euch der Gottesdienst in dieser Zeit doch schon ein ganzes Stück vertraut geworden ist, dass ihr hier nicht mehr in der Kirchenbank sitzt wie im falschen Film. Und doch wird es euch vermutlich immer noch so gehen, dass ihr nicht unbedingt alles gleich kapiert, was hier im Gottesdienst geschieht. Und das ist auch gar nicht schlimm, so macht es Christus euch und uns allen hier deutlich:
Da laufen Kinder im Tempel herum und schreien: Hosianna dem Sohn Davids! Ich nehme mal ganz stark an, dass die nicht unbedingt wussten, dass das Hosianna ein Ruf war, mit dem man einen König begrüßte, und dass die auch nicht wussten, dass „Sohn Davids“ eine Bezeichnung für den Messias war, auf den man in Israel nun schon so lange wartete. Nein, die Kinder singen einfach nach, was sie zuvor von den Erwachsenen gehört hatten. Und genau dieses Geschrei, dieses Nachplappern nennt Jesus hier „Lob Gottes“.

Dasselbe gilt auch für euch, liebe Konfirmanden, gilt für uns alle: Es mag sein, dass wir nicht unbedingt immer alles kapieren, was hier im Gottesdienst geschieht. Und das ist, wie gesagt, auch gar nicht schlimm. Der Gottesdienst ist keine Schulstunde, in der uns etwas beigebracht wird, was dann in der nächsten Stunde wieder von uns abgefragt wird. Sondern der Gottesdienst ist einfach ein Ort der Begegnung mit Christus, und wo Christus ist, da bleiben die, die zu ihm gehören, nicht stumm, sondern singen. Einige verstehen schon besser, was sie da singen, andere singen einfach so mit. Alles miteinander ist Lob Gottes, über das Christus sich freut. Ja, so viel habt ihr vermutlich schon gemerkt, dass Singen noch mal was Anderes ist als bloß Sprechen, dass Singen in besonderer Weise ein Ausdruck von Freude ist, uns schon ein bisschen davon erahnen lässt, wie es einmal bei Christus im Himmel sein wird. Einen Gottesdienst ohne Singen – den können wir uns wohl kaum vorstellen, selbst wenn wir selber völlig unmusikalisch sein sollten und dabei vielleicht nur ein wenig vor uns dahinbrummeln. Unser Singen muss nach menschlichem Ermessen nicht perfekt sein. In Gottes Ohren klingt es sowieso noch einmal ganz anders.

Und der freut sich eben ganz besonders über den Gesang der Kinder, ja schon der Säuglinge. Und von daher kann ich euch, liebe junge Erwachsene, liebe junge Eltern immer wieder nur ermutigen: Bringt auch eure kleinen Kinder schon mit zum Gottesdienst, habt bloß keine Angst, dass die hier im Gottesdienst stören könnten. Gott freut sich am Lob der Unmündigen und Säuglinge, er freut sich darüber, wenn Kinder dadurch in den Gottesdienst hineinwachsen, dass sie einfach im Laufe der Zeit nachsingen, was sie hier immer wieder hören, dass sie es nachsingen, auch wenn sie es vielleicht noch gar nicht alles verstehen. Gott freut sich darüber, wenn ein kleiner Gottesdienstbesucher auch mal ein Halleluja an der scheinbar falschen Stelle im Gottesdienst dazwischenkräht oder sein Amen noch einmal extra wiederholt.

Ja, so macht es uns Christus hier deutlich: Letztlich ist es sogar er, Christus, selber, der solches Gotteslob in uns wirkt, indem er uns in die Gemeinschaft seiner Gemeinde stellt. Da kitzeln gar nicht wir selber dieses Lob Gottes aus unseren Stimmbändern, aus unserer Kehle hervor, sondern Christus selber setzt das alles in Bewegung, wenn wir hier etwas davon erfahren, dass wir ihm selber hier begegnen.
Darum, liebe Konfirmanden: Macht es den kleinen Kindern nach, nehmt euch, genauso wie ihr Erwachsenen, die kleinen Kinder als Vorbilder, lasst euch anstecken von dem, was die anderen singen. Ich bin sicher, euch wird dann im Laufe der Zeit auch immer mehr davon aufgehen, was ihr hier eigentlich macht und singt. Ja, ihr werdet immer wieder erfahren, wie schön das ist, dass das Singen für uns Christen zu unserem Glauben einfach mit dazugehört.

III.
Doch der Evangelist Matthäus berichtet uns hier von diesem ungewöhnlichen Gottesdienst im Tempel noch mehr: Da kommen Blinde und Lahme zu Jesus, und er heilt sie. Ja, es geht im Gottesdienst auch darum, dass wir heil werden.

Das bedeutet nicht, dass wir hier im Gottesdienst gleichsam auf Kommando sensationelle Wunder vollbringen. Wir wären es ja ohnehin nicht, die diese Wunder vollbringen; wenn hier etwas geschieht, dann tut es ohnehin allein Christus, unser Herr. Doch der lässt es in der Tat immer wieder geschehen, dass Menschen hier im Gottesdienst heil werden, dass sich in ihrem Leben etwas verändert:
Das habe ich schon oft genug erlebt, dass Menschen hierher in die Kirche gekommen sind, die erst einmal gar keine Ahnung von Christus und vom christlichen Glauben hatten, die gleichsam blind waren für das, was hier geschieht. Doch dann hat Christus ihnen tatsächlich die Augen geöffnet, hat sie erkennen lassen, dass das hier nicht bloß irgend so eine altertümliche Modenschau ist, sondern dass wir hier dem lebendigen Gott begegnen. Und das erlebe ich immer wieder, wie Menschen hierher kommen, die so viele Lasten mit sich herumtragen, dass sie dadurch gleichsam gelähmt sind, gar nicht mehr wissen, wie sie in ihrem Leben eigentlich noch vorankommen sollen. Und dann begegnen sie hier Christus, und der nimmt ihnen diese Lasten ab, vergibt ihnen ihre Schuld, lässt sie aufatmen, schenkt ihnen wieder neu Kraft und Lebensmut. Ja, da finden auch bei uns im Gottesdienst immer wieder Heilungen statt, weil wir hier nicht unter uns sind, weil die Gegenwart unseres Herrn Jesus Christus wirklich eine Realität ist. Ja, da lässt Christus auch bei uns Wunden heilen, lässt Schmerzen abklingen, lässt uns verändert, erleichtert, fröhlich wieder aus diesem Gottesdienst gehen, dass wir nicht mehr einfach dieselben sind, die wir vorher waren, als wir hier in die Kirche gekommen sind.

Liebe Melina, lieber Anton, ich wünsche euch, dass auch ihr in eurem Leben immer wieder solche Erfahrungen mit der Kirche und mit dem Gottesdienst macht, dass euch das immer klar bleibt, dass ihr hier dem auferstandenen Christus begegnet, dass ihr beim Singen hier im Gottesdienst etwas von der Freude erlebt, die wir als Christen haben dürfen, und dass auch ihr das hier im Gottesdienst erfahrt: Das tut einfach gut, bei Christus zu sein, das macht uns heil, schenkt uns Kraft, ja mehr noch: Das hilft uns, vorbereitet zu sein für die Begegnung mit Gott am Ende unseres Lebens.

Ja, das wünsche ich euch, dass euch das Ja zu Christus und seiner Kirche, das Ja dazu, dass ihr auch weiter gerne zum Gottesdienst kommt, dass euch dieses Ja heute ganz leicht fällt und dass ihr zu diesem Ja dann auch euer Leben lang steht, weil ihr wisst: Etwas Besseres, als bei Christus in seinem Haus zu sein, kann mir doch gar nicht passieren! Amen.