23.01.2011 | St. Johannes 4,46-54 | 3. Sonntag nach Epiphanias

Und Jesus kam abermals nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte. Und es war ein Mann im Dienst des Königs; dessen Sohn lag krank in Kapernaum. Dieser hörte, dass Jesus aus Judäa nach Galiläa kam, und ging hin zu ihm und bat ihn, herabzukommen und seinem Sohn zu helfen; denn der war todkrank. Und Jesus sprach zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Der Mann sprach zu ihm: Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt! Jesus spricht zu ihm: Geh hin, dein Sohn lebt! Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin. Und während er hinabging, begegneten ihm seine Knechte und sagten: Dein Kind lebt. Da erforschte er von ihnen die Stunde, in der es besser mit ihm geworden war. Und sie antworteten ihm: Gestern um die siebente Stunde verließ ihn das Fieber. Da merkte der Vater, dass es die Stunde war, in der Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt. Und er glaubte mit seinem ganzen Hause. Das ist nun das zweite Zeichen, das Jesus tat, als er aus Judäa nach Galiläa kam.

Vor einigen Jahren erfreuten sich sogenannte Mantafahrer-Witze in unserem Land großer Beliebtheit. Sie spießten das Klischee auf, wonach die Lenker von Fahrzeugen der Marke Opel Manta allesamt ziemliche Proleten sind, die mit Ellenbogen aus dem Fenster und Fuchsschwanz an der Antenne durch die Gegend brettern, aber nicht sehr viel Hirn im Kopf haben.

Da kommt also einem solchen Mantafahrer-Witz zufolge ein Mantafahrer in eine Bäckerei und sagt zu der Verkäuferin: „Ey, ich will ’n Brot!“ Darauf flötet die Verkäuferin zurück: „Na, wie heißt das kleine Zauberwörtchen?“ Der Mantafahrer stutzt einen Augenblick und überlegt; dann kommt ihm die Erleuchtung: „Ey, ich will ’n Brot – sofort!“

„Sofort“ – nein, das ist nicht bloß ein Zauberwörtchen für Mantafahrer; das ist ein Zauberwort in unserer Gesellschaft insgesamt geworden: „Ich will Genuss sofort“ – Dieser Werbeslogan von Tchibo bringt tatsächlich das Lebensgefühl vieler Menschen heute auf den Punkt. Ich will nicht lange auf etwas warten; ich will sofort genießen können, was ich mir wünsche, will sofort ausprobieren können, ob das, was ich mir so vorgestellt habe, tatsächlich auch so ist, wie ich mir das erhofft habe. Sofort möchte ich wissen, ob das, was ich mir zulegen will, es tatsächlich auch bringt. Nein, da möchte ich nicht lange im Ungewissen bleiben. Was nicht sofort getestet werden kann, kann man vergessen.

Genau diese Einstellung ist auch in Bezug auf Glauben und Religion heutzutage weit verbreitet: Gefragt wird oft weniger nach der Wahrheit dessen, worum es im Glauben geht, als vielmehr darum, ob mir das mit dem Glauben denn was bringt, ob ich mich dadurch besser fühle, ob ich dadurch meine Probleme besser in den Griff bekomme, ja, ob mir das vielleicht sogar ganz konkrete Vorteile bringt. Wenn ich feststellen kann, dass das funktioniert – möglichst sofort –, dann lasse ich mich vielleicht ganz gerne darauf ein; wenn ich nicht erkennen kann, dass mir das sofort was bringt, dann schaue ich mich lieber woanders um.

In der Predigtlesung des heutigen Sonntags wird uns ein Mensch geschildert, der scheinbar genau diese Erfahrung gemacht hat, dass das mit dem Glauben an Jesus tatsächlich was für ihn bringt, dass ihm das wirklich geholfen hat. Sein Sohn, der sterbenskrank war, wurde durch Jesus wieder gesund gemacht. Kein Wunder, dass dieser Mensch sofort mit seiner ganzen Familie zum Glauben an Jesus kommt! Wenn wir solch eine Erfahrung machen würden, dann würden wir vielleicht auch nicht lange mit dem Glauben zögern, mögen wir einwenden. Doch wenn wir uns die Geschichte, die uns St. Johannes hier erzählt, etwas genauer anschauen, dann stellen wir fest, dass uns dieser königliche Beamte gerade nicht als besonders gelungenes Beispiel unseres heutigen Lifestyles vor Augen gestellt wird. Gewiss, St. Johannes schildert uns hier auch, wie dieser Mensch tatsächlich von Jesus sofort, auf der Stelle Hilfe erwartet – allerdings auch nur in der Gestalt, dass er Jesus zu überreden versucht, gemeinsam mit ihm die 26 Kilometer aus Kana im Galiläischen Bergland hinab nach Kapernaum zu gehen, um dort dann sein Wunder an dem kranken Jungen zu vollziehen. Doch diese Bitte ist eben nicht einer allgemeinen Ungeduld und einem Mangel an Bereitschaft zum Warten geschuldet, sondern der akuten Notsituation, in der sich Vater und Sohn hier befinden. Und wenn wir noch genauer hingucken, dann stellen wir fest, dass der Glaubensweg, den dieser königliche Beamte hier geht, in Wirklichkeit herzlich wenig mit dem Zauberwörtchen des Mantafahrers zu tun hat und dafür unserer Glaubens- und Lebenssituation hier und heute sehr nahe kommt. Dreierlei stellt uns St. Johannes hier vor Augen:

- den langen Weg zu Jesus
- die Erfahrung der scheinbaren Tatenlosigkeit Jesu
- den langen Weg von Jesus zurück

I.

Das klingt so einfach und selbstverständlich, was St. Johannes uns hier im Evangelium beschreibt: Da hört ein Mensch in Kapernaum, dass Jesus wieder in Kana in Galiläa ist, und er geht zu ihm hin. Schwestern und Brüder: Zwischen diesem Hören in Kapernaum und der Ankunft in Kana liegen immerhin 26 km Marsch bergauf, ein Marsch, der für den Vater des kranken Jungen nicht nur körperlich anstrengend ist, sondern ihn auch innerlich beinahe zerreißt: Er verlässt seinen sterbenden Sohn, weiß nicht, ob er ihn bei seiner Rückkehr noch lebend antreffen wird, und marschiert Jesus entgegen, ohne irgendeine Gewähr in der Tasche zu haben, dass sich dieser Weg lohnt, dass dieser Jesus tatsächlich helfen will und kann. Nein, da ist nichts mit „sofort“; das ist ein quälend langer Weg, den dieser königliche Beamte hier zurücklegen muss.

Schwestern und Brüder: wie gut können wir diesen Menschen auf seinem Weg verstehen, wie sehr entspricht dieser Weg auch unseren Glaubenserfahrungen, die wir immer wieder machen: Auch wir machen in aller Regel nicht die Erfahrung, dass wir in unserem Leben nur einmal kurz schnipsen müssen und dass uns dann sofort alles von Jesus geschenkt wird, was wir haben wollen. Viel öfter machen wir wohl die Erfahrung, dass wir wie jener königliche Beamte unterwegs sind und sich der Weg, auf dem wir uns befinden, möglicherweise ganz schön lang hinzieht. Alle möglichen Sorgen und Probleme mögen wir im Nacken sitzen haben, mögen uns immer wieder die eine Frage stellen, ob es sich denn lohnt, sich mit all dem, was uns bedrückt, überhaupt an ihn, Jesus, zu wenden, oder ob das letztlich doch gar nichts bringt.

Schwestern und Brüder, wir würden die Geschichte, die uns St. Johannes hier erzählt, gewiss missverstehen, wenn wir sie so auslegen würden, als müssten wir uns immer erst auf einen mühsamen Weg bergauf zu Jesus machen, um zu ihm zu gelangen, um mit seiner Hilfe rechnen zu können. Jesus stellt hier in unserer Geschichte keine Zulassungsbedingungen auf, verlangt hier überhaupt nichts. Doch es ist einfach eine Lebenserfahrung nicht weniger Menschen, dass sie mitunter erst ganz schön schwierige, verschlungene Wege in ihrem Leben zurücklegen mussten, bevor sie dann schließlich bei ihm, Jesus, ankamen, ohne dass ihnen bis dahin klar war, ob ihnen das überhaupt etwas bringen würde, zu ihm, Jesus, zu kommen. Ja, auch wenn wir schon bei ihm waren und immer wieder zu ihm kommen, auch wenn wir dafür am Sonntagmorgen keine 26 km zu Fuß zurücklegen müssen, bleiben wir doch ein Leben lang unterwegs, bleiben uns auch als glaubenden Menschen Fragen, Sorgen und Zweifel nicht erspart.

II.

Und dann kommt der königliche Beamte schließlich in Kana an. Ein Uhr mittags ist es mittlerweile geworden – die heißeste Zeit des Tages, in der man seine Siesta hielt und in der es als extrem unhöflich galt, jemanden ausgerechnet in diesem Augenblick zu stören und von ihm etwas zu erwarten.

Doch der königliche Beamte kann nicht bis zum Ende der Mittagspause warten. Unten am See Genezareth liegt sein Sohn im Sterben; da kommt es doch möglicherweise auf jede Minute an. Und so bittet dieser Mann Jesus allen Ernstes, jetzt sofort in der Mittagszeit aufzustehen und sich auf einen fünfstündigen Marsch durch die Hitze nach Kapernaum zu begeben.

Die Antwort Jesu fällt jedoch ernüchternd aus: Statt auf die Bitte des verzweifelten Vaters direkt einzugehen, spricht Jesus vom Glauben, spricht davon, dass der Glaube der Menschen, mit denen er dort in Kana zu tun hat, immer wieder neu auf Zeichen und Wunder angewiesen ist, dass er sich nicht an sein Wort allein hält. Scheinbar ist ihm diese Frage des Glaubens wichtiger als die ganz praktische Frage nach dem Gesundheitszustand des Jungen. Kein Wunder, dass der königliche Beamte auf diese Antwort Jesu nicht gerade mit Begeisterung reagiert, sondern Jesus stattdessen nun noch stärker bedrängt: Kyrie, Herr, so redet er ihn an; ja, diesen Respekt hat er schon vor ihm. Aber dann drängelt er doch, kaum höflicher als der Mantafahrer in der Bäckerei: Nun komm doch endlich mit, komm, beweg dich, bevor mein Sohn stirbt, bevor es zu spät ist!

Doch Jesus bewegt sich überhaupt nicht, macht überhaupt keinerlei Anstalten, sich Richtung Kapernaum in Bewegung zu setzen. Im Gegenteil: Er schickt den königlichen Beamten ganz allein wieder zurück, ohne ihn zu begleiten. Das Einzige, was er ihm mitgibt, ist die Zusage: Dein Sohn lebt! Was für eine Zumutung, die der königliche Beamte hier erfährt: Erst erklärt ihm Jesus, dass mit seinem Glauben ja wohl nicht viel los ist, und dann schickt er ihn scheinbar mit leeren Händen wieder zurück, mit einem kurzen Satz, der durch nichts Anderes gedeckt ist als durch den, der diesen Satz gesprochen hat!

Schwestern und Brüder: Auch diese Erfahrung des königlichen Beamten ist uns in unserem Umgang mit Jesus gewiss nicht unbekannt: Ja, da hat es vielleicht auch in unserem Leben schon solche Situationen gegeben, in denen wir nach unserem Empfinden ganz schnell, ja sofort Hilfe von ihm, Christus, gebraucht hätten – nicht, weil wir ihn testen wollten, ob sich der Glaube an ihn lohnt, sondern weil die Not, in der wir uns befanden, einfach so groß war. Und dann haben auch wir ihn vielleicht angefleht im Gebet, vielleicht wieder und wieder – und Jesus schien überhaupt nicht zu reagieren. Statt uns zu helfen, kam von ihm scheinbar gar keine Reaktion, ließ er uns scheinbar ganz allein hängen, ließ sich scheinbar durch das, was wir ihm vortrugen, überhaupt nicht beeindrucken. Ja, solche Erfahrungen mögen unseren Glauben ganz schön auf die Probe stellen, mögen uns ganz ernsthaft die Frage stellen lassen, ob es sich denn überhaupt noch lohnt, an Jesus, am Glauben an ihn festzuhalten, wenn uns das am Ende doch nichts bringt, wenn er sich taub zu stellen scheint, wenn wir ihn am dringendsten brauchen. Ja, dass das Zauberwörtchen „sofort“ und unser Glaube oft genug nicht zusammenpassen, das lässt uns Jesus mitunter in unserem Leben auch auf sehr schmerzliche Weise erfahren.

III.

Und dann kommt das eigentliche Wunder in dieser Geschichte, die uns St. Johannes hier erzählt: Ja, natürlich ist es auch ein Wunder, dass der Sohn dieses königlichen Beamten wieder gesund wird, obwohl er doch schon im Sterben lag, dass er gesund wird einzig und allein durch diesen einen kurzen Satz, den Jesus spricht: Dein Sohn lebt! Doch noch größer ist das Wunder, dass dieser königliche Beamte sich auf dieses Wort Jesu hin tatsächlich auf den Weg macht, dass er Jesus nicht länger nötigt, mit ihm mitzukommen, sondern sich an diesem Wort genügen lässt. Und um dieses eigentliche Wunder noch genauer ins Auge fassen zu können, muss man im griechischen Text noch mal ganz genau hinschauen: Nein, der Vater des kranken Jungen sprintet nicht gleich wieder von Kana den Berg runter, um es möglichst schnell, möglichst noch bis Abends wieder nach Kapernaum zu schaffen, um zu sehen, wie es seinem Sohn nun geht. Sondern nachdem Jesus dieses Wort geredet hat, geht der Vater in aller Seelenruhe nun wieder los, lässt sich sogar so viel Zeit, dass er überhaupt erst am nächsten Tag wieder in Kapernaum ankommt. Der Mann hat also offenbar, nachdem ihm Jesus in der Mittagssonne die Zusage gegeben hatte, erst noch irgendwo übernachtet, bevor er schließlich den Rest des Weges nach Kapernaum zurücklegte. Unglaublich ist das, wie dieser kurze Satz Jesu das ganze Leben des königlichen Beamten entschleunigt, ihn nun ganz gelassen seinen Weg zurückgehen lässt. Nein, er muss nicht erst noch sehen, dass sein Sohn gesund ist, bevor er beruhigt sein kann; das Wort Jesu reicht ihm aus: Wenn der es spricht, dann kann er sich ruhig erst noch ins Bett packen; dann kann er ganz gemütlich wieder zum See Genezareth schlendern.

Schwestern und Brüder: Wie Mut machend ist das, was St. Johannes uns hier schildert, auch für uns: Wenn Jesus uns etwas zusagt und verspricht, dann geschieht es auch, dann geschieht es in der Tat sofort – und doch nicht so, dass wir es gleich auch sehen und überprüfen können, dass wir uns sofort dessen vergewissern können, dass das auch wirklich stimmt. Doch beruhigt sein dürfen wir, sobald Jesus sein Wort gesprochen hat. Dann ist alles schon geschehen, auch wenn wir es noch nicht vor Augen haben.

Ja, genau so soll und darf unser Leben als Christen immer wieder aussehen: Da hat Christus dem kleinen Oliver heute Morgen in der Taufe zugesagt, dass auch er leben wird, nein, nicht nur ein paar Jahrzehnte hier auf Erden, sondern tatsächlich in alle Ewigkeit. Sehen kann man das jetzt noch nicht. Doch in Wirklichkeit steht das jetzt schon bombenfest, eben weil Jesus es gesagt hat. Und darum darf euer Oliver in seinem Leben ganz ruhig schlafen, dürft auch ihr, liebe Eltern, ganz ruhig schlafen: Das Entscheidende im Leben eures Kindes ist heute Morgen geschehen. Das steht jetzt schon fest. Und das gilt natürlich nicht nur für Oliver, das gilt genauso für einen jeden Getauften unter uns heute Morgen: Wir dürfen in der Tat ganz beruhigt durch unser Leben gehen, brauchen nicht mehr im Ungewissen zu sein, was unsere Zukunftsperspektive betrifft: Jesus hat es auch dir gesagt: Ich lebe, und du sollst auch leben. Und darauf darfst du dich verlassen, brauchst keine weiteren Beweise sofort.

Und wenn du dann auf dich selber, auf dein eigenes Leben blickst, wenn du merkst, dass du dich in deinem Leben gerade nicht so verhalten hast wie der königliche Beamte, dass du doch immer wieder zweifelst, ob sich das mit dem Glauben wirklich lohnt? Dann komm immer wieder her zu ihm, deinem Herrn, hier in der Beichte. Du brauchst keine 26 km zu laufen; du hast es viel leichter, ja auch viel näher zu ihm. Und dann sagt es dir Christus wieder auf den Kopf zu: Dir sind deine Sünden vergeben. Und dann gilt das sofort, augenblicklich, darfst du gewiss sein, dass das, was dir nun gerade durch das Wort Christi vergeben worden ist, nie mehr bei Gott zur Sprache kommen wird.

Ja, Christus spricht – und es geschieht sofort, auch wenn du es noch nicht sehen kannst. Um nichts Anderes geht es auch jetzt gleich wieder hier im Heiligen Abendmahl. Da sagt Christus selber: Das ist mein Leib, das ist mein Blut. Und indem er es sagt, geschieht es auch, schafft Christus diese neue Wirklichkeit. Und du darfst sie auch heute wieder hier am Altar erfahren, darfst von hier vorne dann wieder ganz fröhlich, beruhigt und gelassen zurückkehren. Nein, Christus verspricht dir hier vorne nicht, dich künftig in deinem Leben vor allen Sorgen und Problemen zu bewahren. Aber er verspricht dir, in dir zu leben und dich auch durch alle dunklen Täler deines Lebens hindurchzutragen, so gewiss du nun gleich wieder eins wirst mit ihm hier im Sakrament.

Ja, genau das heißt Glauben: Ganz gelassen durchs Leben gehen zu dürfen im Vertrauen auf das, was Christus uns sagt. Du brauchst es nicht mehr zu testen und zu kontrollieren. Es stimmt, weil er es sagt. Denn was er sagt, das geschieht – sofort! Amen.