20.01.2013 | St. Johannes 12,34-36 | Verklärung Christi

In dieser Woche habe ich die Statistik unserer Gemeinde für das Jahr 2012 fertiggestellt. Darin findet sich gewiss viel Erfreuliches: Unsere Gemeinde ist um fast 100 Gemeindeglieder gewachsen; die Zahl der Kommunikanten ist um über 1000 auf insgesamt über 9000 gestiegen; wir hatten 79 Taufen, und die durchschnittliche Gottesdienstteilnehmerzahl ist allein in Zehlendorf um fast 28 auf 169 gestiegen. Doch da gibt es eben auch die anderen Zahlen: So ist etwa die Zahl der Restanten, also derjenigen, die im vergangenen Jahr kein einziges Mal den Leib und das Blut des Herrn empfangen haben, ebenfalls um fast 10% auf fast 300 gestiegen. Mehr als jedes dritte konfirmierte Gemeindeglied ist im vergangenen Jahr dem Altar ganz ferngeblieben. Dabei hatten diese Gemeindeglieder doch alle einmal Christus bei ihrer Konfirmation versprochen, ihm treu zu bleiben, hatten vielleicht auch tatsächlich noch über Jahre hinweg die Verbindung zu ihm gehalten. Aber nun kommen sie nicht mehr, hat so mancher auch schon länger den Kontakt zu Christus und seiner Kirche verloren.

Wie ist das nur möglich, so mögen wir uns fragen; woran mag das nur liegen? Ja, natürlich liegt das auch am Pastor, keine Frage, dass der diesen Menschen nicht genügend hinterher gegangen ist, sie nicht genügend angesprochen hat, ihnen vielleicht auch im Weg gestanden ist. Doch St. Johannes lässt uns in der Predigtlesung des heutigen Festtags noch tiefer blicken, deckt darüber hinaus auch tiefe geistliche Aspekte auf, die uns helfen können, wahrzunehmen, was da eigentlich geschieht, wenn Menschen nicht mehr den Weg zu Christus an seinen Altar finden.

Da berichtet St. Johannes hier, wie die Zuhörer Christi auf dessen Ankündigung reagieren, dass der Menschensohn nun bald erhöht werden wird, dass er also nun bald gekreuzigt werden wird: Das können sie überhaupt nicht verstehen: Sie erwarteten doch einen Messias, der kommen würde, um hier auf Erden ein ewiges Friedensreich zu errichten. Ein solcher Messias konnte doch nicht sterben, geschweige denn, dass er gekreuzigt werden könnte. Nein, solch eine Ankündigung widersprach doch allen Erwartungen, die sie hatten. Mit solch einem Messias konnten sie nichts anfangen; ja, was Jesus ihnen dazu erzählte, klang für sie so merkwürdig, dass sie überhaupt nicht mehr verstanden, was er eigentlich meinte.

Ähnliches erleben wir heute auch immer wieder: Menschen richten an die Kirche, an den christlichen Glauben ganz bestimmte Erwartungen: Sie wissen, was sie davon haben wollen, und sie möchten, dass ihre Erwartungen entsprechend auch erfüllt werden. Da gibt es manche Jugendliche, die von der Kirche gute Unterhaltung, gute Gemeinschaft mit anderen Jugendlichen erwarten. Und diese Erwartungen werden dann ja auch durchaus in der Konfirmandenzeit und in der Zeit danach ein ganzes Stück weit befriedigt. Doch wenn man dann einige Jahre später erlebt, dass es ja auch andere Angebote gibt, die diese Erwartungen vielleicht sogar noch besser zu erfüllen vermögen, dann braucht man Kirche und Glauben eben nicht mehr, dann sagen sie einem auf die Dauer nichts mehr. Oder da mag es genau umgekehrt sein, dass Jugendliche Kirche nur mit Zwang und Druck gleichsetzten und sich eben darum von ihr bald nach der Konfirmation lösten, weil sie von ihr, von dem Glauben an Christus eigentlich kaum etwas Positives erwarten konnten. Oder da erwarteten Menschen vom christlichen Glauben, dass er ihnen immer ein gutes Gefühl vermittelt, sie immer möglichst ohne große Probleme leben lässt. Doch wenn es dann im Leben ganz anders läuft, als man sich dies erwartet und erhofft hatte, dann taugt der Glaube, taugt Christus offenbar nichts, liefert er jedenfalls nicht das, was man von ihm haben wollte. Oder da hatte man sich im Laufe der Zeit eben einfach seine eigene Lebensphilosophie, seine eigene Lebensreligion zusammengebastelt, und die erwies sich dann allmählich doch als nicht vereinbar mit der Botschaft des christlichen Glaubens.

Menschen beurteilen Christus, beurteilen den Glauben nach ihren eigenen Erwartungen – und wenn das aus ihrer Sicht nicht zusammenpasst, dann wenden sie sich allmählich oder vielleicht auch ganz bewusst davon ab. Das war damals schon im Neuen Testament so, und das ist heute immer noch so.

Doch Christus macht hier in unserer Predigtlesung deutlich, dass er überhaupt nicht dazu gekommen ist, um die Erwartungen, die Menschen an ihn richten, zu erfüllen. Es geht nicht darum, dass Menschen ihn in dem Licht, das sie auf ihn zu werfen glauben, beurteilen. Sondern es ist genau umgekehrt: Wenn Menschen nicht in dem Licht leben, das er, Christus, auf ihr Leben wirft, ja, das er, Christus, selber in Person ist, dann können sie ihn, Christus, nicht verstehen, dann können sie aber auch sich selber, ihr eigenes Leben nicht verstehen. Dann leben sie in Wirklichkeit in der Finsternis, auch wenn sie selber den Eindruck haben mögen, selber eine große Leuchte zu sein oder im hellen Licht zu leben. Dann haben sie in Wirklichkeit gar keine Ahnung, wo es in ihrem Leben eigentlich lang geht und wohin ihr Leben eigentlich führt. Aber das heißt eben auch: Wenn sie nicht in dem Licht leben, das er, Jesus Christus, ist, werden sie ihn gar nicht unbedingt vermissen, werden vielleicht denken, dass sie ein wunderbares Leben führen, und merken gar nicht, wie dunkel es um sie in Wirklichkeit ist.

Und genau so ist es eben auch bei so vielen derer, die mittlerweile von Christus, von seinem Heiligen Mahl nichts mehr wissen wollen: Das ist kein böser Wille bei ihnen. Sie nehmen einfach den Weg nicht mehr wahr, auf dem sie zum Ziel ihres Lebens gelangen würden. Sie erkennen den Weg nicht mehr, der sie zum Licht, zu Christus, führen würde. Und das quält sie in aller Regel überhaupt nicht, das ist für sie so normal, dass sie auch gar nicht auf die Idee kommen, diesen Weg noch zu suchen, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, dass ihnen im Leben die Orientierung fehlt. So fest eingerichtet haben sie sich in ihrem eigenen Lebensentwurf, dass sie es nur als Störung empfinden würden, wenn Christus mit seinem Licht allzu hell dort hineinscheinen würde.

Schwestern und Brüder, Christus, unser Herr, gibt uns hier in unserer Predigtlesung keine Anweisungen an die Hand, wie wir daran etwas ändern könnten. Er nennt hier keine Tricks oder Programme, mit denen wir Menschen, die sich von dem Licht Jesus Christus abgewandt haben, wieder in diesen Lichtschein befördern können. Wir selber können das von uns aus ohnehin nicht. Vielmehr spricht Christus uns selber an, warnt uns davor zu glauben, uns könne das ja nicht passieren, dass wir uns aus seinem Lichtschein entfernen, für uns sei das ja ohnehin selbstverständlich, dass wir immer in diesem Lichtschein leben.

„Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt!“ – So ruft es uns Christus zu. Nutzt die Möglichkeiten, die ihr habt, euch von diesem Licht bescheinen zu lassen! Lasst euch von dem Licht des Wortes Gottes immer wieder den Weg in eurem Leben weisen, lasst dieses Licht immer wieder in euer Leben hineinscheinen, damit ihr erkennt, was in eurem Leben wirklich wichtig ist! Nutzt die Möglichkeiten, die ihr jetzt habt, immer wieder zum Gottesdienst, zum Heiligen Mahl zu kommen, nutzt die Möglichkeiten, immer wieder fröhlich gemeinsam nach dem Empfang des Heiligen Mahles zu singen: Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, ein Licht, zu erleuchten die Heiden! Ja, nutzt die Möglichkeiten, denkt daran, dass es eben nicht selbstverständlich ist, dass dieses Licht euch scheint!

Am Ende unserer Predigtlesung berichtet Johannes, dass Jesus wegging und sich vor denen verbarg, zu denen er zuvor noch geredet hatte. Das kann es geben, dass Menschen die Zeit verpassen, in denen Jesus mit seinem Wort in ihr Leben hineinscheint, und dass sie später dann keinen Zugang mehr zu ihm finden. Das kann es geben, dass Menschen nicht zu schätzen wissen, wie einfach sie es über lange Zeit gehabt hätten, den Weg in den Gottesdienst zu gehen, und dann irgendwann nicht mehr dazu in der Lage sind, aus welchen Gründen auch immer, sich auf diesen Weg zu begeben. Ja, das kann es geben, dass in ganzen Ländern, in denen die christliche Botschaft früher an so vielen Orten verkündigt wurde, diese Verkündigung heute schweigt, kaum noch möglich ist. Wer kann sich heute noch vorstellen, dass es früher in Afghanistan zahlreiche christliche Bischofssitze gab? Wer kann sich heute noch vorstellen, dass früher einmal die heutige Türkei das Land war, in dem der christliche Glaube am weitesten verbreitet war? Doch wir brauchen eben nicht nur in den Orient zu schauen. Wenn wir uns von Berlin aus einfach mal Richtung Norden begeben, dauert es nicht lange, bis wir in Gegenden kommen, in denen sonntags weit und breit kaum noch ein christlicher Gottesdienst gefeiert wird. Und wie oft geschieht es in unserem Land, dass selbst dort, wo christliche Gottesdienste gefeiert werden, von dem Licht Jesus Christus in diesen Gottesdienst kaum noch etwas zu erkennen und zu vernehmen ist!

Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt! Nutzt die Zeit, die ihr habt, um Kinder des Lichtes zu werden, Menschen, deren Leben ganz auf ihn, Christus, ausgerichtet ist! Ja, seid dankbar dafür, dass ihr in diesem Licht leben dürft, dass dieses Licht euch den Weg zum Ziel weist! Ja, lasst uns aufeinander acht haben, dass niemand von uns aus diesem Lichtkegel verschwindet und im Dunkeln abtaucht! Und hören wir nicht auf, diejenigen, die nicht mehr in diesem Licht leben, an das Licht zu erinnern, das doch auch ihnen am Tag ihrer Taufe aufgegangen ist. Dieses Licht lässt sich nicht auslöschen, das leuchtet weiter, und es hat Kraft. Geben wir darum von uns aus keinen Menschen auf, der nicht mehr in diesem Licht lebt, und bleiben wir selber dran an diesem Licht, damit wir ja nicht selber die Orientierung in unserem Leben verlieren. Wir haben es doch noch, dieses Licht, Gott sei Dank! Amen.