17.11.2013 | Jeremia 8,4-7 | Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr
Pfarrer Dr. Gottfried Martens


Gott ist traurig; Gott weint. Er weint aus Liebe, trauert um geliebte Menschen, die ihm am Herzen liegen und die umgekehrt so gar nichts mehr von ihm wissen wollen. Was für eine ungewöhnliche Botschaft, die wir in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags vernehmen!

An sein Volk Israel, jawohl, an sein eigenes, geliebtes Volk sind die Worte gerichtet, die der Prophet Jeremia hier im Auftrag Gottes verkündigt. Diese Menschen kannten doch sein Wort, das Wort Gottes, die lebten doch im Bund mit ihm, ihrem Gott. Doch was muss Gott mit ansehen? Statt ihm, dem lebendigen Gott, zu vertrauen, wenden sich die Menschen seines Volkes anderen Göttern zu, erhoffen sich Glück, Wohlstand, Spaß von irgendwelchen Fruchtbarkeitsgöttern, die scheinbar mehr zu bieten haben als er, der Gott Israels. Statt sich darauf zu verlassen, dass Gott es in seinem Wort, in seinen Geboten gut mit ihnen meint, glauben sie, sie wüssten selber besser, was für sie gut ist, suchen nur ihren eigenen Vorteil, unterdrücken die Armen, die Rechtlosen im Lande, glauben, es würde ja niemand mitbekommen, wenn sie mit Lüge und Betrug arbeiten. Und das Allerschlimmste ist: Sie lassen sich durch nichts und niemand davon abhalten, auf diesem Weg immer weiterzugehen, verrennen sich in ihr eigenes Unglück wie ein Schlachtross, das im Kampf immer weiter rennt, ohne sich von irgendjemand aufhalten zu lassen. Taub geworden sind sie, die Menschen seines Volkes, taub für das Wort Gottes, taub auch für die Stimme ihres eigenen Gewissens. Es ist wirklich nur noch zum Weinen.

Gott ist traurig; Gott weint. Ja, hat er das denn nötig? Könnte er denn nicht einfach mal auf den Tisch hauen, ja, mehr noch: Könnte er sich nicht einfach an seinem Volk rächen, die Leute einfach alle in die Hölle befördern, die sich so unmöglich verhalten? Jawohl, das könnte er natürlich; selbstverständlich wäre und ist er dazu in der Lage, gar keine Frage. Doch Gott ist anders. Er will nicht einfach bloß Recht behalten. Er gibt nicht auf in seinem Bemühen, die Herzen der Menschen zu gewinnen, die er liebt. Und Herzen gewinnt man eben nicht mit Drohungen, nicht mit Zwang und Gewalt, nicht damit, dass man seine eigene Stärke ausspielt. Herzen gewinnt man nur mit leisen Worten, mit Einladungen, mit dem Verzicht darauf, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Nein, das ist nicht bloß eine Taktik, die Gott hier einschlägt. Das ist seine Art: Menschen nicht zwingen zu wollen, Menschen gewinnen zu wollen mit seiner Liebe. Und so bringt Gott hier durch den Propheten einfach seinen Liebeskummer zum Ausdruck, seinen Liebeskummer gegenüber Menschen, die es in seiner Gemeinschaft so gut haben könnten und es doch einfach nicht wollen.

Weint Gott auch um dich und um mich? Grund genug dazu hätte er allemal. Nein, Gott ist das nicht egal, wenn er mitbekommt, wie du dich am Sonntagmorgen gegen ihn und seine Einladung entscheidest, weil dir Anderes wichtiger, dringlicher erscheint, als dich von ihm beschenken zu lassen. Das macht ihn traurig, und wie! Gott ist das nicht egal, wie du hinter dem Rücken anderer Menschen über sie redest. Gott ist das nicht egal, wenn Menschen Angst haben, vielleicht sogar in einer christlichen Gemeinde, Angst davor, was andere über sie verbreiten könnten. Gott ist das nicht egal, wenn Menschen, die sich Christen nennen, ihr Herz vor der Not der Armen und Hilfsbedürftigen verschließen, sich von ihnen in ihrem Wohlbefinden nicht stören lassen wollen. Gott ist das nicht egal, wenn auch unser innerer Kompass immer nur auf uns selber zeigt, auf unser Ich, auf unseren Vorteil. Ihm tut das weh, wenn wir uns von ihm, von seinem Wort abwenden, wenn wir damit die Bestimmung unseres Lebens verfehlen, um die wir doch eigentlich ganz genau wissen.

Ja, Gott ist traurig, auch über dich und mich, über unser Leben. Und er sagt es uns auch, ja, auch jetzt in seinem Wort. Und was macht er? Er unternimmt immer noch weiter Versuche, unser Herz zu gewinnen, hofft immer noch darauf, dass wir uns von ihm zur Umkehr bewegen lassen, von ihm und seiner Trauer über uns. Gott gibt nicht auf, versucht alles, wirklich alles, um uns davor zu bewahren, unser Leben endgültig gegen die Wand zu fahren. Statt uns zu bestrafen, lässt er seinen einzigen Sohn weinen über uns, ja mehr noch, lässt er ihn für uns sterben, nur um uns doch noch zu gewinnen für ein Leben in seiner Gemeinschaft.

Und so lässt dir Gott auch heute wieder seine gute Botschaft vom Leiden und Sterben seines Sohnes Jesus Christus an deiner Statt verkündigen, vertraut darauf, dass diese Botschaft tatsächlich die Kraft hat, dein Herz zu verändern, dich wieder neu umkehren zu lassen zu ihm. Und das Wunder geschieht ja in der Tat immer wieder, dass diese Botschaft von Gottes Liebeskummer um uns Menschen ankommt und Menschen wieder neu oder ganz neu die Wahrheit ihres Lebens erkennen lässt.

Ein solches Beispiel haben wir heute hier in diesem Gottesdienst miterlebt: Die Brüder und die Schwester, die heute getauft wurden, die waren über Jahre hinweg bei den Zeugen Jehovas aktiv. Und wer in diese Organisation erst einmal hineingerät, der ist erfahrungsgemäß auf Argumente, ja, auf die zentrale biblische Heilsbotschaft so wenig ansprechbar wie ein Schlachtross mitten im Kampf. Ja, so oft gleicht ein Gespräch mit Menschen, die in die Fänge dieser Sekte geraten sind, dem Gespräch mit einer Betonmauer – so sehr sind sie umgepolt, immunisiert gegen das, was ihren Weg in Frage stellen könnte. Doch unsere Brüder und unsere Schwester wurden durch Gottes lebendiges Wort, durch das Wort seiner Liebe schließlich doch erreicht, erkannten durch dieses Wort, dass sie in die völlig falsche Richtung gelaufen waren, ließen sich zur Umkehr und zur Taufe rufen und haben sie nun entdeckt: die Botschaft von der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, von der Freiheit, die uns nur da geschenkt wird, wo wir uns durch Gottes Wort die Augen öffnen und in diese Freiheit führen lassen. Ja, da herrschte heute Freude im Himmel bei allen Engeln Gottes und bei Gott selber dazu, als er heute wieder vier neue Kinder in seine Arme schließen durfte, als sein liebendes Wort heute bei diesen Menschen an sein Ziel gekommen ist.

Und genauso herrscht heute wieder Freude im Himmel bei den Engeln Gottes und bei Gott selber, wenn du nachher hierher zum Altar kommst, um den Leib und das Blut deines Herrn zu empfangen, um dich wieder neu reinwaschen zu lassen von all deiner Schuld, um dein Leben wieder neu auszurichten auf ihn, Jesus Christus, deinen Herrn und Erlöser.

Ja, Gott geb’s, dass dir dieser Kompass in der kommenden Woche, ja überhaupt in deinem Leben nicht mehr abhanden kommt! Gott geb’s, dass dir immer klarer wird, dass es schlicht und einfach auch vernünftig ist, in der Gemeinschaft mit ihm, Gott, in der Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus zu leben! Ja, Gott geb’s, dass du dein Leben nicht an die Wand fährst, sondern schließlich dort ankommst, wo du nach Gottes Willen ankommen sollst: dort, wo Gott sich einmal vor Freude über dich nie mehr einkriegen wird! Amen.