24.12.2013 | 1. Timotheus 3,16 | Christvesper
Pfr. Dr. Gottfried Martens

„Wo ist Gott?“ Ist das eine Frage, die euch irgendwie noch ernsthaft interessiert – oder ist das eine Frage, die euch eher langweilt, weil ihr die Antwort darauf längst zu kennen meint? Wo ist Gott? Ja, im Himmel natürlich, irgendwo da droben, überm Sternenzelt eben, genügend weit weg, dass er uns in unserem alltäglichen Leben nicht sonderlich stört, aber doch immer noch nah genug, dass wir ihn als Ehrengast bei besonderen Anlässen mit dabei haben können, bei Familienfeiern und eben auch am Heiligen Abend.

Doch die Frage danach, wo Gott denn ist, kann für uns mit einem Mal ganz aktuell werden, wenn da Dinge in unserem Leben ganz anders laufen, als wir uns das gedacht und erhofft hatten. Da ist sie dann ganz aktuell, die Frage danach, wo denn Gott ist, warum er denn scheinbar so weit weg ist, nicht eingegriffen hat, wo er hätte eingreifen sollen.

Wir haben heute Abend hier in unserer Mitte viele Menschen, für die die Frage danach, wer Gott ist und wo Gott ist, tatsächlich zur wichtigsten Frage ihres Lebens geworden ist, für die diese Frage so wichtig geworden ist, dass sie dazu bereit gewesen sind, für die Antwort auf diese Frage alles aufzugeben, was sie hatten: ihren Besitz, ihre Familie und Freude, ja nicht selten auch ihre Gesundheit. Als zutiefst bedrückend hatten sie empfunden, was ihnen von Kindheit an immer wieder gesagt worden war: dass Gott ganz weit weg ist, dass er so groß ist, dass wir uns vor ihm fürchten müssen, dass er uns bestraft und in die Hölle steckt, wenn wir nicht seine Gesetze halten. Einen solchen Gott kann man nicht lieben, über einen solchen Gott kann man sich nicht freuen, man kann sich ihm höchstens unterwerfen, freiwillig oder eben auch unfreiwillig. Doch dann hörten sie von eben diesem Geheimnis des christlichen Glaubens, um das es auch in unserer heutigen Predigtlesung geht, hörten von dem Geheimnis, das wir jedes Jahr zu Weihnachten bestaunen und anbeten: Khoda dur nist – Gott ist nicht weit weg, er kommt uns ganz nahe, wird „offenbart im Fleisch“, wie es in dem Kirchenlied heißt, das der Apostel Paulus hier in unserer Predigtlesung zitiert. „Den aller Weltkreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß“, so singen wir es heute in diesem Gottesdienst mit Martin Luther. Der große Gott macht sich so klein, dass er in einen Futtertrog passt, der allmächtige Schöpfer macht sich so klein, dass er in Windeln gewickelt wird, der scheinbar so ferne Gott kommt uns so nahe, dass er von seiner Mutter in den Arm genommen werden kann. Aus Liebe zu uns macht er dies, kommt zu uns, weil er eben dies eine auf keinen Fall möchte: dass wir Menschen von ihm getrennt bleiben, dass unser Leben endet in der Finsternis des ewigen Todes.

„Wo ist Gott?“ – Schau, da liegt er, auf Heu und Stroh, dein Schöpfer, der Herr deines Lebens, kein Gott, der dich zwingt, sondern der dein Herz mit seiner Liebe zu dir gewinnen will. Schau, da liegt er, ja, er weiß, wie es dir geht, er kennt deine Traurigkeit, deine Schmerzen, deine Angst, deine Krankheit, deine Hilflosigkeit, ja, er kennt auch deine Frage danach, wo Gott denn ist, warum er nicht eingreift: Das Kind, dessen Geburt wir heute feiern, ist derselbe, der schließlich am Kreuz ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

„Wo ist Gott?“ Ja, du findest ihn in Bethlehem in der Krippe. Aber du findest ihn eben nicht nur dort, so macht es das Lied deutlich, an das Paulus den Timotheus hier in seinem Brief erinnert. Du findest ihn auch heute, hier in deinem Leben. Nein, du findest ihn nicht einfach irgendwo draußen in der Natur – jedenfalls nützt es dir nichts, wenn du ihn dort irgendwo findest. Sondern du findest ihn dort, wo Menschen sich versammeln, um auf sein Wort zu hören, wo Menschen sich versammeln, um seinen Leib und sein Blut zu empfangen im Heiligen Abendmahl. Da kommt er zu dir, und da will er auch dir den Glauben an ihn schenken, diesen Glauben, den du dir nicht selber aus den Rippen leiern kannst, sondern der nur entsteht, wo Menschen ihm, dem lebendigen Herrn, begegnen.

Gott ist da, will mit dir, mit deinem Leben zu tun haben, nicht nur heute Abend, sondern auch an den folgenden 364 Tagen, möchte, dass dir auch aufgeht, wie wunderbar, wie wichtig das für dich ist, Gott finden zu können, Gott begegnen zu können. Gott ist da, wo Jesus Christus ist – und er möchte nichts lieber, als dass du dich darüber so von Herzen freuen kannst wie unsere Brüder und Schwestern aus dem Iran und Afghanistan, denen eben dies in ihrem Leben aufgegangen ist, denen eben dies die wichtigste und schönste Nachricht ihres Lebens geworden ist.

Ja, eben darum feiern wir Weihnachten, feiern wir, dass Gott Mensch geworden ist, dass Gott zu finden ist, dass er uns ganz nahe kommt, um uns eine Lebensperspektive zu schenken, die weiter reicht – bis in die Ewigkeit. Nein, diese gute Nachricht können wir doch nicht für uns behalten, die  müssen wir einfach weitererzählen, und an die sollen wir uns immer wieder erinnern. Gott ist da – ein kleines Kind in der Krippe. Das ist so umwerfend schön, das sollen auch unsere Kinder schon wissen. Und damit die das auch ja nicht vergessen, warum wir eigentlich Weihnachten feiern, sollen die nun auch gleich ein Weihnachtsgeschenk bekommen: ein Kissen mit dem Kind in der Krippe. Ja, so nahe wie solch ein Kissen, in das die Kinder sich kuscheln können, so nahe kommt Gott zu uns, umhüllt uns mit seiner Liebe. Dazu ist er geboren, Jesus Christus, unser Heiland, unser Herr. Und eben darum wünsche ich   euch allen miteinander wirklich fröhliche Weihnachten! Amen.