12.01.2014 | Jesaja 42,1-4 | Taufe Christi
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Als ich vor einem guten halben Jahr nach Steglitz umgezogen bin, habe ich viele Sachen weggeworfen, die sich bei mir im Laufe der Jahre angesammelt hatten. Vieles hatte ich noch aufbewahrt, obwohl es eigentlich schon kaputt war. Aber vielleicht kann man es ja doch noch gebrauchen, hatte ich gedacht. Doch nun, bei meinem Umzug, stellte ich fest: Es hat keinen Zweck, was kaputt ist, ist kaputt, das kann man wirklich nur noch entsorgen.

Um Dinge, die man nur noch entsorgen kann, die man nur noch wegschmeißen kann, weil sie kaputt sind, weil sie nicht mehr zu gebrauchen sind, geht es auch in der alttestamentlichen Lesung dieses Festtags: ein Schilfrohr, das umgeknickt ist, kann man nicht wieder aufrichten oder anderweitig reparieren; das kann man nur noch abbrechen, das ist nicht mehr zu gebrauchen. Ein Docht, der verlöscht ist, der nur noch glimmt, weil da nichts mehr ist, was ihn brennen lassen könnte, kann sich nicht selber wieder entzünden. Aus, vorbei, weg damit!

Ein geknicktes Rohr, ein glimmender Docht – das sind starke Bilder für Erfahrungen, die wir aus unserem eigenen Leben kennen mögen: Da hatten wir in unserem Leben vielleicht große Pläne, große Hoffnungen, wussten doch eigentlich genau, wie es mit uns weitergehen würde. Doch dann mussten wir erleben, wie diese Pläne, wie diese Hoffnungen mit einem Mal geknickt wurden, wie da nichts mehr von dem übrig blieb, was vorher so fest zu stehen schien. Das kann das Vertrauen in Menschen sein, die man so gut zu kennen glaubte, und das mit einem Mal solch einen Knick erfährt; das kann das Zusammenleben in einer Ehe sein, das so geknickt wird, das können Hoffnungen sein, die man auch auf ein Zusammenleben in einer Gemeinde gesetzt hatte, die unwiderruflich geknickt werden, ja, das können noch viel weitergehende Lebenspläne sein, so können es viele von euch berichten, die solch einen gewaltigen Knick in ihrem Leben hinter sich haben, alles aufgeben mussten, was sie hatten, und im Rückblick genau wissen: Jawohl, das kannst du alles knicken, was da mal gewesen ist, das wird nie mehr zurückkommen, wird nie mehr so sein wie vorher! Und was bleibt? Im Empfinden von vielen von euch nicht mehr als ein glimmender Docht, nichts, was noch irgendwie neue Hoffnung aufflackern lassen könnte. Was kaputt ist, ist klar, was kommen soll – wer könnte es erkennen? Das eigene Leben – reif zur Entsorgung, nicht mehr zu gebrauchen!

Doch da erleben wir nun heute hier in unserer alttestamentlichen Lesung, wie uns da jemand vor Augen gestellt wird, der anders mit geknickten Rohren, mit glimmenden Dochten umgeht, als Menschen dies sonst zu tun pflegen, ja, als wir selber dies auch zu tun pflegen. Dieser eine, der uns hier vor Augen gestellt wird, erklärt geknickte Rohre und glimmende Dochte, erklärt geknickte Lebensperspektiven und gescheiterte Pläne, erklärt verloschene Hoffnungen und Trümmer, die aus einst scheinbar heilen Welten übrig geblieben sind, nicht für Wegwerfprodukte, übergibt sie nicht der Entsorgung und macht endgültig Schluss damit.

Nein, dieser eine ist nicht irgendjemand: Kein Geringerer als Gott selber stellt ihn hier vor, nennt ihn seinen Knecht, seinen Auserwählten. Und nachdem wir eben das Heilige Evangelium dieses Festtages gehört haben, wissen wir auch, wer dieser eine ist, den Gott hier vorstellt: Es ist kein anderer als Christus selber, er, der Knecht Gottes und Sohn Gottes zugleich ist, er, an dem Gott seine Freude hat, weil er mit ihm eins ist.

Einen Auftrag bekommt er, der Knecht Gottes, hier in unserer Predigtlesung: Er soll hinaus zu den Völkern, soll allen Menschen das Recht bringen, soll das Verhältnis aller Menschen zu Gott wieder in Ordnung bringen. Ganz anders, als man denken könnte, geht dieser Knecht Gottes dabei vor: Er betätigt sich nicht als Marktschreier, er macht keine platten Versprechungen: Kommt zu mir, und ich löse alle eure Probleme; kommt zu mir, und alles in eurem Leben wird wieder gut. Im Gegenteil: Ganz leise tritt dieser Knecht Gottes auf, so leise, dass man ihn ganz leicht überhören kann im Stimmengewirr der Menschen. Er schreit nicht, sondern wird einer von uns, teilt am Ende unser Schicksal, verlöscht und zerbricht am Ende selbst, erfährt es selber, wie es ihm die Leute zurufen: „Weg, weg mit ihm!“ Den brauchen wir nicht mehr!

Doch das Wunder geschieht: Dieser Knecht Gottes, der so ganz anders ist als alle anderen, bringt in Ordnung, was doch scheinbar gar nicht mehr in Ordnung gebracht werden kann, heilt unser kaputtes Verhältnis zu Gott durch seinen Tod am Kreuz, lässt aus dem, was auch in unserem Leben endgültig an sein Ende gekommen zu sein scheint, doch noch Neues entstehen. Ganz anders, als wir es geplant und gedacht haben, mag dieses Neue aussehen, und doch so, dass er uns darin aufrichtet, dass er uns darin wieder neu aufstrahlen und aufleuchten lässt.

Genau so haben wir es auch heute wieder in diesem Gottesdienst erlebt: Da standen hier vorne Menschen, deren Leben in jedem einzelnen Fall schon einen ganz gewaltigen Knick erfahren hat, bei denen ganz viel an sein Ende gekommen zu sein scheint, was vor gar nicht langer Zeit noch selbstverständlich zu sein schien. Und mit der Taufe ist dieser Knick heute nun erst recht endgültig geworden: Nein, es gibt für euch nun endgültig keinen Weg mehr zurück in euer altes Leben in eurer alten Heimat, nicht als getaufte Christen, nicht mit diesem Einschnitt in eurem Leben. Doch zugleich ist er, euer Herr Jesus Christus, heute in euer Leben eingetreten und hat euch und uns allen, die wir getauft sind, eine ganz neue Lebensperspektive eröffnet: Was auch bei euch kaputt gegangen, was auch an sein Ende gekommen sein mag: Nun seid ihr Kinder Gottes, Menschen, an denen Gott Wohlgefallen hat, Menschen, die von Gott unendlich geliebt sind, Menschen, die Gott ihren Vater nennen dürfen. Nun seid ihr Menschen, die das Leben vor sich haben, das neue, unzerstörbare Leben, das sich nie mehr knicken, nie mehr auslöschen lässt: das Leben in der Gemeinschaft mit Christus, eurem Herrn. Nun trennt euch nichts mehr von Gott, weil Christus euch in das richtige Verhältnis zu Gott gesetzt hat. Ja, nun kann auch hier und jetzt in eurem Leben Neues entstehen. Gespannt dürft ihr darauf warten, was Christus selber nun in eurem Leben neu wachsen lässt, wo er es neu hell werden lässt bei euch, ohne dass ihr dies zuvor auch nur ahnen konntet.

Was andere auch über euch denken und urteilen mögen: Ihr braucht nicht geknickt durchs Leben zu gehen, dürft den aufrechten Gang üben als Kinder eures himmlischen Vaters. Euer Leben wird nicht versinken im Dunkel; Christus, das Licht der Welt, leuchtet euch ab heute voran, will auch euch aufstrahlen lassen, will auch euch zum Licht für andere werden lassen. Keinen Grund gibt es dazu, euch zu entsorgen, euch verschwinden zu lassen, euch abzuschieben. Hört nicht auf das laute Geschrei so vieler anderer, hört auf die leise, liebevolle Stimme eures Herrn. Was er sagt, ist allein entscheidend, was er sagt, wiegt mehr als alles Gebrüll: Gott steht auch hinter euch – er hält euch, er gibt auch euch seinen Geist, er richtet euch auf, wenn ihr am Boden liegt. Denn ihr seid und bleibt es doch: geliebte Kinder Gottes, um des einen willen, der sein Leben für euch in den Tod gegeben hat, dort auf der Müllkippe von Jerusalem, auf Golgatha. Amen.