05.03.2014 | 2. Mose 32,1-6.15-20 | Aschermittwoch
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Kennt ihr das Spiel „Reise nach Jerusalem“? Eine Gruppe von Mitspielern läuft um eine Stuhlreihe herum, wobei ein Stuhl weniger vorhanden ist, als Mitspieler, die um diese Stühle laufen. Während die Mitspieler um die Stühle laufen, ertönt Musik, die dann jedoch irgendwann ganz plötzlich unterbrochen wird. Und dann muss jeder Mitspieler so schnell wie möglich versuchen, sich einen Sitzplatz zu ergattern. Wer keinen findet, fliegt raus, darf nicht mehr mitmachen bei der Reise nach Jerusalem.

Um eine Reise nach Jerusalem geht es auch in der Predigtlesung des heutigen Abends: Da ist gleich ein ganzes Volk unterwegs auf der Reise nach Jerusalem – und dabei tanzen auch sie fröhlich im Kreis, bis mit einem Mal einer kommt und den Stecker zieht, nein nicht bloß vorübergehend bis zur nächsten Runde, sondern endgültig. Denn mit dem, was da gerade zuvor geschehen war, sind gleich alle Beteiligten auf einmal rausgeflogen bei der Reise nach Jerusalem.

Auf einer Reise nach Jerusalem befinden auch wir uns alle miteinander seit dem Tag unserer Taufe, auf der Reise ins himmlische Jerusalem. Doch heute, am Aschermittwoch, wird auch bei uns der Stecker gezogen, soll es auch bei uns mit einem Mal still werden in unserem Leben, damit wir innehalten, nachdenken darüber, was für Tänze wir da eigentlich auch in unserem Leben aufgeführt haben und aufführen, worum wir in unserem Leben gekreist sind und kreisen. Ja, darum, dass wir auf dem Weg bleiben nach Jerusalem, geht es jetzt in dieser Fastenzeit, dass wir nicht am Ende rausfliegen, statt am Ziel anzukommen. Und genau dazu kann uns die Predigtlesung des heutigen Aschermittwochs eine ganz wichtige Hilfe sein. Sie fragt uns ganz direkt: Woran hängt dein Glaube?

-    an Menschen?
-    an selbstgebastelten Göttern?
-    am lebendigen Gott?

I.
Da hatten die Israeliten in den Monaten zuvor eine Menge erlebt: Gott hatte sie aus Ägypten in die Freiheit geführt, hatte sie wunderbar am Schilfmeer gerettet, hatte sie am Sinai seine Gegenwart erleben lassen, ja, hatte mit ihnen einen Bund geschlossen, hatte verkündigt, dass er ihr Gott sein wolle und was er umgekehrt von ihnen erwartete: Dass sie nämlich ihr Herz ganz an ihn allein, den wahren Gott, hängen, und an niemanden sonst. Und dann hatte er den Mose oben zu sich auf den Sinai beordert, damit der sich dort noch mal die schriftliche Version dieses Bundes Gottes mit seinem Volk abholen sollte. Doch der Besuch des Mose dort oben dauert den Israeliten zu lange – und schnell zeigt sich, dass sie von den Zehn Geboten, die Gott ihnen zuvor gegeben hatte, herzlich wenig kapiert hatten: Ihr Glaube hängt, so zeigen sie, nicht an dem lebendigen Gott, sondern an dem Menschen Mose. Er, nicht Gott, ist es angeblich gewesen, der sie aus Ägypten geführt hat – und von daher ist die Abwesenheit dieses Menschen für sie nun zugleich Anlass für eine Glaubenskrise: Wenn der Mose nicht mehr da ist, dann brauchen wir auch einen neuen Gott, der vor uns hergeht!

Heute am Aschermittwoch geht es um diese Frage auch bei uns: Woran hängt dein Glaube? Woran hängt dein Leben? Genau das ist ja der Sinn des Fastens, mit dem wir heute beginnen, dass jeder für sich danach fragt, wovon er in seinem Leben abhängig sein könnte, was ihn hindern könnte, als freier Mensch zu leben. Und genau darauf wollen wir dann in diesen kommenden Wochen verzichten, um unsere Freiheit wieder neu einzuüben, in die wir durch unsere Taufe gestellt sind: Das können bei dem einen die Zigaretten sein, beim anderen der Alkohol, beim dritten die Süßigkeiten, beim anderen das Fernsehen, beim anderen das Computerspielen oder das Facebookchatten. Ja, um unsere Freiheit geht es dabei, genauso wie bei den Israeliten damals. Doch heute, am Aschermittwoch, lässt uns Gottes Wort noch tiefer blicken: Wie steht es nicht nur mit deinen kleinen Abhängigkeiten im Leben, wie steht es mit deinem Glauben insgesamt? Hängt dein Glaube etwa auch an irgendwelchen Menschen? Machst Du vielleicht gar dein Kommen zur Kirche, zum Gottesdienst abhängig von einem Menschen, von dem, der den Gottesdienst leitet? Hast du oder hättest du Probleme damit, wenn ein Mensch, mit dem du auf deinem Glaubensweg eine gewisse Wegstrecke gemeinsam gegangen bist, von Gott woanders hinbeordert wird und du den Weg nun ohne ihn weitergehen sollst? Verändert sich dadurch vielleicht gar etwas in deinem Glauben, wie damals bei den Israeliten? Ja, es ist gut, dass uns Gottes Wort heute bei unserer Reise nach Jerusalem mal den Stecker zieht, dass wir darüber neu nachzudenken beginnen!

II.
Einen anständigen Gott wollen die Israeliten haben, einen Gott, mit dem man etwas anfangen kann, der so ist, wie man sich einen richtigen Gott wünscht. Der Erzähler hier in unserer Geschichte spricht von einem goldenen Kalb, das Aaron damals aus den Ohrringen der Israelitinnen und der Israeliten formte – ja, so fortschrittlich war man damals in Israel schon! Doch damit macht sich der Erzähler einfach lustig über das, was Aaron hier in Wirklichkeit aus dem ganzen Gold zusammenbastelt: nämlich einen richtig schönen Stier, das Symbol für Kraft, Stärke und Fruchtbarkeit schlechthin. Solch einen Gott wollten die Israeliten damals haben: einen Gott, den man sehen konnte, einen Gott, der den Israeliten Erfolg versprach, Wohlbefinden, Glück, Reichtum, Fruchtbarkeit, einen Gott, der den Israeliten versprach, dass er alle ihre Probleme löst. Ja, um solch einen Gott tanzt man gerne herum. Er hat nur einen Nachteil: Er ist selbstgebastelt, Projektion der Wünsche von Menschen, mehr nicht. Doch davon wollen die Israeliten erst einmal nichts wissen. Ihnen ist nur eines wichtig: Hauptsache, man hat etwas, woran man sich halten kann, Hauptsache, man glaubt an irgendeinen Gott, Hauptsache, dieser Gott verschafft einem die positiven Gefühle, die man haben möchte!

An was für einen Gott glaubst du? Die Frage mag dir überflüssig vorkommen – ist doch klar, an welchen Gott ich glaube! Doch was erwartest du von deinem Gott? Warum glaubst du an ihn? Erhoffst du von ihm, dass er dir in deinem Leben immer das gibt, was du dir wünschst? Gesundheit, Erfolg, einen Pass für Deutschland? Und wie gehst du mit deinem Gott um, wenn er dir nicht gleich gibt, was du von ihm erwartest, wenn er dich in deinem Leben ganz andere Wege führt? Fängst du dann vielleicht auch an, dir in deinem Herzen deinen eigenen Gott zu basteln, an den du glauben möchtest, einen Gott, der anders ist als der, der dich nicht so behandelt, wie du das möchtest? Und wenn es dir im Augenblick vielleicht ganz gut geht – Ist dir klar, dass daran dein Glaube nicht hängen darf, wie es dir geht? Bist du offen dafür, dich von ihm auch ganz andere Wege führen zu lassen? Ja, genau darum geht es jetzt in der Fastenzeit, dass wir uns wieder neu darüber klar werden, an welchen Gott wir eigentlich glauben: an den Gott unserer Wünsche oder an den lebendigen Gott? Genau darum geht es jetzt in der Fastenzeit, dass wir uns durch Gottes Wort wieder neu dazu anleiten lassen, Gottes Wegen auch dann zu folgen, wenn sie uns nicht bieten, was wir wollen. Ja, wie gut, dass uns dazu heute am Aschermittwoch der Stecker gezogen wird, dass wir erkennen: um welchen Gott sind wir eigentlich in unserem Leben in dieser vergangenen Zeit getanzt?

III.
Die Israeliten erfahren am Ende ihres Tanzes um das Goldene Kalb sehr drastisch, was sie sich damit eingebrockt haben, dass sie sich einen Gott nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen geschaffen haben: Mose sagt nicht: Ach, wenn die Mehrheit von euch dieses Goldene Kalb besser gefällt als der Gott, der euch die Zehn Gebote gegeben hat, dann will ich das nicht so eng sehen! Dann bleibt ruhig dabei! Hauptsache, ihr seid irgendwie religiös, Hauptsache, ihr glaubt überhaupt an einen Gott! Ja, glauben wir nicht alle letztlich an denselben Gott? Wichtig ist doch nur, dass ihr euch dabei wohlfühlt! O nein, der wahre, lebendige Gott ist nicht tolerant, der duldet keine anderen Götter neben sich, der macht den Israeliten sehr deutlich, dass sie sich mit ihrem Tanz um das Goldene Kalb ihre Reise nach Jerusalem total vermasselt haben, dass sie nichts anderes verdient haben als den Tod. Sehr eindrücklich lässt Mose hier die Israeliten erfahren, wie lächerlich der Gott ist, um den sie da zuvor getanzt sind: der lässt sich einschmelzen, ja mehr noch: Die Israeliten müssen am Ende im wahrsten Sinne des Wortes die Suppe auslöffeln, die sie sich eingebrockt haben, mitsamt dem Pulver des Gottes, der sich da gerade in Staub aufgelöst hat.

Was die Israeliten erfahren haben, gilt auch heute noch für uns: Ihm, dem lebendigen Gott, ist es nicht egal, an wen wir unser Herz hängen, wer die Nummer 1 in unserem Leben ist. Er, der lebendige Gott, gibt sich nicht damit zufrieden, in unserem Leben nur ein beliebiges Freizeitangebot zu sein. Sehr deutlich lässt er uns erkennen, dass auch wir uns mit unserer Abwendung von ihm, mit unserem Misstrauen gegenüber seiner Führung in unserem Leben den Tod eingebrockt haben, dass wir es selber verschuldet haben, dass wir kein Recht mehr dazu haben, den Weg weiterzugehen, der uns ins himmlische Jerusalem führt. Ja, frage dich nur noch einmal, was dir in dieser vergangenen Woche alles wichtiger gewesen ist als Gott und sein Wort, um was du alles in dieser vergangenen Woche mit deinen Wünschen und Sorgen gekreist bist. Dann weißt du, dass du nichts anderes verdienst als die Israeliten damals auch, dass du es verdient hast, auszulöffeln, was du dir eingebrockt hast.

Doch dann darfst du sie nun zugleich hören, die wunderbare Botschaft, die dir nun in dieser kommenden Fastenzeit immer wieder verkündigt wird, die sich dir immer tiefer ins Herz einprägen soll: Gott hat einen anderen die Suppe für dich auslöffeln lassen, die du dir eingebrockt hast, Gott hat einen anderen die Strafe tragen lassen, die du verdient hast: seinen Sohn Jesus Christus, der auch für dich am Kreuz gestorben ist, damit dein Weg doch ins himmlische Jerusalem führt, trotz deines Versagens, trotz deiner Schuld. Vergeben will dir Gott, nicht dich verdammen, ja, das lässt er dich heute auch ganz leibhaftig erfahren, ganz ähnlich wie die Israeliten damals: trinken sollst und darfst du die Folgen deiner Schuld: das Blut deines Herrn und Heilandes Jesus Christus, für dich vergossen zur Vergebung der Sünden. Trinken darfst du es – nicht zu deiner Verdammnis, sondern zum ewigen Leben. Wegzehrung soll dir das Heilige Mahl heute Abend wieder neu sein bei deiner Reise nach Jerusalem; Stärkung soll es sein für deinen Glauben, dass du an Christus, deinem Herrn, festhältst, dass du ihm nachfolgst, auch wenn dich dieser Weg durch dunkle Täler, durch Enttäuschungen und Niederlagen hindurchführt. Halte dich nur an ihn, deinen Heiland Jesus Christus, an ihn, den lebendigen Gott! Der löst sich am Ende nicht einfach in Nichts auf. Der führt dich schließlich auch noch durch das dunkle Tal des Todes hindurch, lässt dich am Ende als Sieger dastehen, als Sieger bei der Reise nach Jerusalem, zu dem Fest, bei dem wir endgültig nie mehr fasten werden! Amen.