04.05.2014 | Hebräer 13,20+21 | Misericordias Domini
Pfr. Dr. Gottfried Martens

„Yes, we can!“ – So lautete der Wahlkampfslogan, mit dem vor einigen Jahren Barack Obama erfolgreich für das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten von Amerika kandidierte. „Yes, we can!“ – Der Slogan war und ist sehr einprägsam, ja mitreißend: Er appelliert an unsere eigenen Fähigkeiten, an unser Gemeinschaftsgefühl, vermittelt ein positives Denken: Wenn wir denn nur wollen, dann können wir!

Im politischen Bereich ist an solch einem Slogan ja durchaus eine Menge dran: Natürlich lässt sich in jeder Gesellschaft, auch in unserer, so manches positiv verändern, wenn denn nur der gemeinsame politische Gestaltungswille vorhanden ist. Doch nicht nur die Erfahrungen, die der amerikanische Präsident in den vergangenen Jahren machen musste, sondern auch unsere eigenen Erfahrungen machen uns zugleich deutlich, wie begrenzt unsere Möglichkeiten schließlich doch sind, wie wenig wir oft genug vorankommen, selbst wenn wir wollen und meinen, wir könnten es auch. „Yes, we can“, das hat etwa bei der Grünen Revolution im Iran nicht gereicht, obwohl da so viele waren, die bei dieser Bewegung mitmachten. Und erst recht kommen wir mit dem „Yes, we can“ an unsere Grenzen, wenn es um Erfahrungen in unserem eigenen Leben geht: Da können wir noch so oft „Yes, we can“ rufen – das ändert nichts daran, dass viele von uns trotzdem viele Jahre zum Nichtstun verdammt werden, weil ihr Asylantrag über Jahre hinweg auf den Schreibtischen des Bundesamtes liegen bleibt. Da können wir noch so oft „Yes, we can“ rufen – das ändert nichts daran, dass die Qualifikationen von Menschen, die aus anderen Ländern hier nach Deutschland kommen, oft genug überhaupt nicht wahrgenommen und anerkannt werden. „Yes, we can“ – mit dem Ruf kommen wir nicht weiter, wenn wir in unserem Leben versagt haben, Schuld auf uns geladen haben. Die können wir nicht einfach loswerden, erst recht nicht dadurch, dass wir uns gegenseitig ein gutes Gefühl geben. Und „Yes, we can“, dieser Slogan passt erst recht nicht, wenn wir am Grab eines geliebten Menschen stehen und uns so sehr wünschen, dass er wieder unter uns sein könnte. Nein, da können wir überhaupt nichts machen, nicht allein und auch nicht mithilfe einer jubelnden Masse.

In unserer heutigen Predigtlesung vernehmen wir eine etwas, ja entscheidend andere Botschaft als jenes „Yes, we can“! Der Verfasser des Hebräerbriefs ruft uns stattdessen zu: „Yes, HE can“, ja, ER kann es! Und mit diesem „ER“ ist kein Geringerer gemeint als der „Gott des Friedens“, wie ihn der Hebräerbrief hier nennt, der Gott, der dazu in der Lage ist, Heil und Leben zu wirken, gerade auch dort, wo wir mit unserem „Yes, we can!“ nicht mehr weiterkommen.

Ja, dieser Gott des Friedens, der ist dazu in der Lage, uns wirklichen Frieden zu schenken, der mehr ist als ein gutes Gefühl, Frieden im Verhältnis zwischen sich und uns „durch das Blut des ewigen Bundes“, wie der Hebräerbrief es hier benennt. Dazu hat Gott seinen Sohn Jesus Christus am Kreuz in den Tod gegeben, dass unsere Schuld uns nicht mehr zu Boden zu drücken braucht, dass wir durch unsere Schuld nicht länger von Gott getrennt sind. Sein Blut, für uns vergossen, von uns empfangen im Heiligen Mahl, das stiftet Frieden, das stiftet Gemeinschaft zwischen Gott und uns, Gemeinschaft, die bleibt, die hält, die trägt, jawohl, „yes, HE can!“ Und dieser Gott des Friedens hat zugleich auch den großen Hirten der Schafe, unseren Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt, sagt der Hebräerbrief.

Wir feiern heute den Hirtensonntag, Misericordias Domini. Und immer wieder muss an diesem Sonntag klargestellt werden, was denn mit dem Hirten und den Schafen gemeint ist. Nein, es geht eben nicht darum, uns Christen damit als dumm verkaufen, als naiv, immer nur dem Herdentrieb folgend. Zunächst einmal sind Schafe sehr intelligente Tiere. Neulich hörte ich die Geschichte von einem Schäfer aus Süddeutschland, dem eines Nachts alle 111 Schafe, die er besaß, auf einmal gestohlen worden waren. Schnell fand die Polizei heraus, dass diese Schafe wohl in einem großen Transport gelandet waren, der mit der Bahn Richtung Südosteuropa gehen sollte. Die Tiere waren schon verladen, als der Schäfer am Bahnhof ankam. Es waren mehr als 5000. Doch dann erlaubte man dem Schäfer, seinen Lockruf erschallen zu lassen – und siehe da, nach kurzer Zeit versammelten sich genau 111 Schafe um den Schäfer. Sie kannten genau die Stimme ihres Hirten, und der Schäfer durfte sie wieder mit sich nehmen. Ach, wenn wir doch auch nur so klug wären wie diese Schafe, wenn wir doch nicht einfach immer mit der Masse mitmachen würden, sondern genau auf die Stimme des einen guten Hirten hören würden, dem wir gehören! Denn dieser Hirte will für uns doch nur das Allerbeste, will nur unser Leben. Und das ist das Andere, noch Wichtigere, worum es bei dem Hirten und den Schafen geht: Der Hirte setzt alles ein, was er hat, nur um seine Schafe zu schützen. So ein ganz sonderlich guter Hirte war dieser eine Hirte wohl nicht, dem man nachts einfach seine ganze Herde klauen konnte. Doch der Hirte, zu dem wir gehören, der wacht rund um die Uhr über uns, ja, mehr noch: Der hat sein Leben für uns in den Tod gegeben, nur damit wir nicht verloren gehen. Und diesen großen Hirten Jesus Christus, dessen Herde nicht nur hier in Steglitz zu finden ist, sondern auf der ganzen Welt, diesen großen Hirten Jesus Christus hat Gott von den Toten heraufgeführt, hat ihn nicht im Tode gelassen. Und das heißt doch: Wenn wir zu seiner Herde gehören, wenn wir seine Stimme hören, wenn wir durch die Taufe seinen Namen tragen, dann werden wir diesem großen Hirten auf seinem ganzen Weg folgen, eben schließlich auch aus dem Tod in das neue Leben. Wir könnten das von uns aus natürlich nie, aber er, der gute Hirte, er kann es, sorgt dafür, dass der Tod auch in unserem Leben nicht die Endstation ist, yes, HE can! Ja, er kann es, und er macht es auch, so hat er es heute Morgen Isabella zugesagt, so verspricht er es allen, die er in der Taufe in seine Herde aufnimmt.

Doch Gott wird eben nicht erst am Ende deines Lebens aktiv, wenn du selber überhaupt nichts mehr kannst. Sondern derselbe Gott des Friedens, der die Macht der Sünde und des Todes gebrochen hat, der mischt sich auch jetzt hier schon in dein Leben ein, macht dich tüchtig zu allem Guten, wie es hier heißt, dass du dazu in der Lage bist, seinen Willen zu tun. Nein, er motiviert dich nicht bloß mit irgendwelchen Slogans, sondern er schafft in dir, was ihm gefällt. Ja, der Gott des Friedens ist dazu in der Lage, ganz bemerkenswerte Dinge in dir zu vollbringen: Er ist dazu in der Lage, aus einem Menschen, der ein überzeugter Moslem war, einen Menschen zu machen, der von Herzen an Jesus Christus glaubt. Er ist dazu in der Lage, aus einem Menschen, dessen Herz voller Hass war, einen Menschen zu machen, der dazu in der Lage ist, anderen zu vergeben. Er ist dazu in der Lage, einen Menschen, der sonntags morgens im Bett liegt, dazu zu bringen, dass er aufsteht und sich auf den Weg zum Gottesdienst begibt. Er ist dazu in der Lage, Menschen so zu prägen und zu verändern, dass sie anderen Menschen mit Liebe begegnen. Er ist dazu in der Lage, auch im Zusammenleben einer Gemeinde wirksam zu sein, dass Menschen, die aus dem Iran, die aus Afghanistan, die aus der Ukraine, aus Russland, den USA und Deutschland stammen, einander annehmen, sich übereinander freuen, einander mit Respekt und Liebe begegnen. Wenn seine Kraft so groß ist, dass er Christus von den Toten auferwecken konnte, dann reicht seine Kraft auch allemal für dein Leben, reicht sie auch für das Zusammenleben in unserer Gemeinde.

Ja, diese Kraft will er dir auch heute wieder schenken hier am Altar, wenn du den Leib und das Blut deines Herrn empfängst. Wenn du dann am Ende die Worte hörst: „Das stärke und erhalte dich im wahren Glauben zum ewigen Leben“, dann ist das nicht bloß ein netter Wunsch. Diese Worte haben Kraft, sie bewirken, was sie sagen, weil doch Jesus Christus selber in dir lebt. Er kann es bewirken, dass du es kannst – leben, wie es Gott gefällt. Er kann es, er wirkt es in dir, und eben darum können wir es als Christen tatsächlich dann auch mit vollem Recht behaupten: „Yes, we can!“ Amen.