18.06.2014 | St. Lukas 10,21-24 | Mittwoch nach Trinitatis
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Der Professor schüttelte in seinem Lehnstuhl verständnislos den Kopf: Wie ungebildet sind doch die Leute, die immer noch glauben, ihre Religion, an die sie glauben, sei die richtige! Es gibt so viele verschiedene Religionen, und alle glauben sie, dass sie Recht haben. Wer nur ein wenig seinen Verstand einschaltet, der kann doch nur zu dem Ergebnis kommen, dass alle Religionen das Ergebnis menschlichen Nachdenkens über Gott sind. Und wieso sollte da irgendjemand meinen, er sei klüger als die anderen!

Schwestern und Brüder, es sind nicht nur solche Leute, die sich für besonders klug halten, die mit dem Anspruch des christlichen Glaubens nichts anfangen können. Ich erlebe ähnliche Argumente immer wieder auch, wenn ich Menschen davon erzähle, dass sich ehemalige Muslime dem christlichen Glauben in unserer Gemeinde zuwenden: Wieso sind die denn so blöd und bringen sich in Gefahr? Wir glauben letztlich doch alle an den gleichen Gott!

Sollten wir als Christen also vielleicht den Mund doch nicht so voll nehmen, sollten wir den christlichen Glauben vielleicht doch nur als einen Weg zu Gott unter vielen, als Angebot an kulturell speziell interessierte Zeitgenossen verkündigen?

Eines ist in der Tat richtig: Niemals sollten wir als Christen den Eindruck erwecken, wir seien bessere Menschen als andere, oder wir seien klüger als andere, weil wir Christen sind. Diesen Eindruck sollten wir auch und gerade gegenüber Muslimen niemals erwecken. Und doch können wir uns nicht, wie dies leider auch immer mehr in so mancher Kirche geschieht, darauf zurückziehen, den christlichen Glauben nur noch zu einem religiösen Angebot unter vielen zu erklären. Das können wir eben nicht, wenn wir ernst nehmen, was Jesus Christus selber in der Predigtlesung des heutigen Abends sagt.

Jesus selber macht zunächst einmal deutlich, dass es im christlichen Glauben nicht um kluge Gedanken geht, die Menschen sich über Gott machen. Die klugen Gedanken, die Menschen sich über Gott machen, vermögen den lebendigen Gott eben gerade nicht zu erfassen, sondern führen immer wieder an Gott vorbei, erschaffen sich ein Bild von Gott, das mit dem realen Gott gerade nichts zu tun hat. Und das gilt gerade auch für all diejenigen, die so vollmundig behaupten, alle Menschen würden doch an denselben Gott glauben. Was so logisch zu klingen scheint, beweist doch in Wirklichkeit nur, dass man sich mit seiner eigenen, bequemen Vorstellung von Gott zufrieden gibt und sich lieber nicht mit dem Gedanken befasst, dass sich der lebendige Gott tatsächlich ganz konkret uns Menschen zu erkennen gegeben hat.

Doch eben genau dies behauptet Jesus hier. Er ist eben nicht bloß religiöser Lehrer, ist eben nicht bloß Prophet, sondern der Sohn, der Sohn des Vaters, der Sohn Gottes, der einzige, der nicht bloß seine eigenen religiösen Vorstellungen über Gott zum Besten gibt, sondern der im wahrsten Sinne des Wortes aus eigener Anschauung von Gott zu berichten und zu erzählen vermag.

Und Jesus, der erzählt eben nicht bloß von Gott seinem Vater. Sondern wo er ist, da ist Gott selber zu sehen, da ist Gott selber gegenwärtig. „Selig sind die Augen, die sehen, was ihr seht!“ – So verkündigt es Jesus hier seinen Zuhörern. Herzlichen Glückwunsch – ihr dürft schauen, wonach Menschen sich seit alters gesehnt haben, Propheten, Könige und viele mehr: Ihr dürft schauen, wie Gott selber zu den Menschen kommt. Dass es allerdings tatsächlich Gott ist, der da vor ihnen steht, das leuchtete auch damals den Menschen nicht unmittelbar ein: Sie sahen zunächst einmal nur einen ganz normalen Menschen, nicht ausgestattet mit Heiligenschein oder anderen Leuchtmitteln. Sie sahen einen Menschen, der einen nicht gleich mit seiner Erscheinung so umhaute, dass einem sofort klar war: Der ist es – und alle anderen Religionen sind folglich nur Quatsch! Dass es wirklich der Sohn Gottes ist, der da vor ihnen steht, das vermochten die Menschen nur zu erkennen, wenn sie auf sein Wort hörten, wenn sie dieses Wort ernst nahmen, ja, wenn Christus selber ihnen durch dieses Wort die Augen für ihn, für seine Person öffnete, sich ihnen offenbarte, wie es hier heißt.

Wir können Jesus heute nicht mehr so sehen, wie ihn damals die Leute in Israel gesehen haben. Und doch unterscheidet sich unsere Situation grundsätzlich gar nicht so sehr von der Situation der Leute damals: Auch wir sehen hier im Gottesdienst nichts Überragendes, nichts Blendendes: Wir hören eine Predigt, die uns nach einem langen Tag möglicherweise nicht sonderlich vom Hocker reißt, wir sehen gleich wieder einige Hostien in einer Hostienschale, sehen Wein in einem Kelch. Alles so wenig beeindruckend wie der Anblick dieses Jesus von Nazareth damals für seine Zuhörer. Doch Jesus öffnet uns auch heute Augen und Ohren, ja, gerade nicht, weil wir so klug wären, sondern gerade weil wir nicht versuchen, mit unserer eigenen Klugheit an Gott heranzukommen. Und so dürfen auch wir heute hören, wonach sich Könige und Propheten gesehnt haben, dürfen hören, wie der lebendige Gott durch bescheidenes menschliches Wort zu uns spricht, dürfen in den Gestalten von Brot und Wein den Herrn des Universums erkennen. Ja, herzlichen Glückwunsch euch, wenn ihr dies im Glauben erkennen dürft!

Wir befinden uns gerade in der Trinitatiswoche, in der Woche, in der wir in besonderer Weise das Geheimnis der Dreieinigkeit Gottes feiern und anbeten. Nein, auch die Dreieinigkeit Gottes ist nicht das Ergebnis klugen theologischen Nachdenkens, keine Theorie, die irgendwelche Bischöfe oder Theologieprofessoren ausgekaspert haben. Sondern von dem dreieinigen Gott sprechen wir einzig und allein, weil Jesus ihn uns in seiner Person offenbart hat, weil er sich als der Sohn des Vaters zu erkennen gegeben hat, der uns in der Kraft des Heiligen Geistes für diese Realität die Augen öffnet.

Jesus selber freut sich im Heiligen Geist, so heißt es hier. Und so ist auch das Trinitatisfest ein Freudenfest – ein Fest, an dem wir uns eben darüber freuen dürfen, dass wir nicht länger über Gott zu spekulieren brauchen, dass wir uns nicht mit einem universal einsetzbaren Feld-, Wald- und Wiesengott zufrieden zu geben brauchen, sondern wissen dürfen, wer Gott ist: Der Vater, der seinen Sohn für uns in den Tod gibt und uns dies durch seinen Heiligen Geist erkennen lässt. Ja, diese Freude ist es, die uns davon abhält, den lebendigen Gott mit allen möglichen anderen religiösen Gottesvorstellungen gleichzusetzen. Diese Freude ist es, die uns dazu drängt, auch Muslimen die frohe Botschaft von dem nahen, liebenden Gott zu verkündigen, der uns unendlich mehr gesandt hat als bloß einen Propheten, der uns auch heute den schauen lässt, der der einzige Weg zu Gott ist. Wer vor Christus hier am Altar niederkniet, der kann nicht mehr davon sprechen, dass es doch egal ist, in welcher Religion man an Gott glaubt. Ja, wer vor Christus hier am Altar niederkniet, dem hat Gott die Augen dafür geöffnet, wer er ist. Mögen wir dies Wunder nie als selbstverständlich ansehen, mögen wir uns darüber freuen in der Kraft des Heiligen Geistes – heute Abend, und auch in den Tagen, die nun wieder vor uns liegen! Amen.