20.08.2014 | 1. Korinther 10,23-31 | Mittwoch nach dem 9. Sonntag nach Trinitatis
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Immer wieder erlebe ich in diesen vergangenen Monaten, wie biblische Texte noch einmal einen ganz neuen Klang bekommen, wenn man sie im Zusammenhang der Arbeit, die wir hier in unserer Gemeinde erleben, liest. Da hatten wir am Sonntag die Geschichte von Daniel im Familiengottesdienst zum Abschluss der Kinderbibelwoche aufgeführt. Den Text für die Geschichte hatte ich schon vor fünf Jahren geschrieben für eine Aufführung in Zehlendorf. Doch nun klang derselbe Text mit einem Mal ganz anders: Da weigert sich Daniel, unreine Speisen in Babylon zu sich zu nehmen, etwa Schweinefleisch zu essen, weil Gott ihm das doch in seinem Wort verboten hat. Vor fünf Jahren wäre noch niemand bei uns in der Gemeinde auf die Idee gekommen, dies irgendwie direkter mit seinem Leben in Verbindung zu bringen: Die Weigerung, das Essen des Königs zu sich zu nehmen, war nur ein Ausdruck der Bindung an Gott, mehr nicht. Aber nun saßen am letzten Sonntag allein weit mehr als 200 Menschen bei uns in der Kirche, die in ihrem Leben immer wieder gehört hatten, dass es Sünde sei, Schweinefleisch zu essen, und die nun gerade hier in unserer christlichen Kirche erfahren hatten, dass man als Christ eben doch alles essen darf – genau wie es der König Nebukadnezar damals praktiziert hatte.

Und da passt nun die heutige Tageslesung sehr gut als Ergänzung zu dem, was die Kinder am Sonntag aufgeführt haben. Da hatten die Christen damals in Korinth auch ein Problem mit dem Essen. Nein, es ging nicht direkt um Schweinefleisch. Es ging um die Einladung in Privathäuser von Nichtchristen. Da gab es natürlich auch Essen, und mitunter war das Fleisch, was bei solchen Einladungen auf den Tisch kam, zuvor in einem Tempel einer heidnischen Gottheit geopfert worden. Das konnte man dem Fleisch aber natürlich nicht ansehen, ob das nun vorher mal in einem Tempel gewesen war oder nicht. Wie sollte man sich da als Christ verhalten? Da gab es die einen in der Gemeinde, die sagten: Wir gehen grundsätzlich nicht zu Essenseinladungen von Nichtchristen. Man kann ja nie wissen, was einem da bei Tisch untergejubelt wird. Und da gab es die anderen, die sagten: Wir sind als Christen freie Menschen; die können mit dem Fleisch vorher machen, was sie wollen. Das schadet uns als Christen doch nicht.

Und auf diese Diskussion in der Gemeinde reagiert nun der Apostel Paulus in den Worten unserer heutigen Tageslesung. Seine Antwort lässt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig: „Alles ist erlaubt!“ Jawohl, alles. Es gibt keine Unterscheidung zwischen halal und haram beim Essen. Keiner muss beim Essen nachfragen, was sich alles so in den Würstchen oder in der Spaghettisauce verbirgt. Keiner muss fragen, woher das Fleisch stammt, das bei einer Einladung auf den Tisch kommt. Es ist wirklich alles erlaubt. Aber dann nennt Paulus doch zwei Einschränkungen:

Die eine Einschränkung lautet: „Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient.“ Wenn ich weiß, dass Schwestern und Brüder in der Gemeinde dadurch belastet werden, dass ich meine christliche Freiheit lebe, auch beim Essen, dann soll ich mich aus Liebe eher zurückhalten, als sie zu verletzen oder in Schwierigkeiten zu bringen. Und die andere Einschränkung lautet: Wenn ich mit meinem Essen bei anderen den Eindruck erwecke, ich würde meinen Glauben an Christus verleugnen, dann darf ich natürlich auch nicht essen. Wenn der Gastgeber beim Essen erklärt: Dieses Fleisch hier wurde zu Ehren von Zeus geopfert, dann tue ich als Christ gut daran, mich anschließend doch lieber an den Blumenkohl und die Kartoffeln zu halten, um nicht den Eindruck zu erwecken, ich würde dieses Fleisch nun auch zu Ehren von Zeus verzehren. Bekenntnis zu Christus und Liebe zum Nächsten – sie bilden also die Grenze meiner Freiheit, die ich als Christ habe.

Was heißt das nun für uns? Es heißt zum einen natürlich, dass wir uns hier in unserer Gemeinde keine Gedanken darüber machen, ob irgendein Essen verboten oder unrein sein könnte. Wir wissen: Alles ist erlaubt; es gibt keine Speiseverbote bei uns Christen. Christus hat sie aufgehoben, als er gesagt hat: Alles, was von außen in den Menschen hineingeht, kann ihn nicht unrein machen. Wir leben diese Freiheit ganz bewusst, auch wenn wir wissen, dass hier bei uns Menschen am Essen teilnehmen, die vielleicht noch keine Christen sind. Und wir wissen: Die Menschen, die neu zu uns kommen, wissen gerade diese Freiheit sehr zu schätzen. Da müssen wir dann oft genug schon eher die andere Seite betonen: Nicht alles dient zum Guten, nicht alles baut auf. Alkohol ist nicht haram, ihn zu trinken ist keine Sünde. Aber wenn ich mich von ihm beherrschen lasse, wenn ich von ihm nicht mehr lassen kann, wenn ich nicht mehr weiß, was ich tue, wenn ich getrunken habe, dann ist das nicht gut, dann gefährde ich im Gegenteil meine christliche Freiheit, dann lege ich mit meinem Verhalten nicht unbedingt ein gutes Zeugnis für Christus ab.

Wir könnten das Thema jetzt in vielfacher Weise durchkonjugieren. Wie ist das beispielsweise, wenn ich als Christ zu einem muslimischen Fest eingeladen werde? Darf ich als Christ am großen Fest zum Ende des Ramadan teilnehmen oder nicht? Hier werden die Worte des Apostels Paulus dann auch wieder ganz aktuell: Wenn es einfach nur um eine fröhliche Familienfeier geht, ist dagegen sicher nichts einzuwenden. Wenn ich aber mit meiner Teilnahme gegenüber den anderen den Eindruck erwecke, ich würde meinen christlichen Glauben verleugnen, ich würde den muslimischen Glauben vielleicht doch als wahren Glauben anerkennen, dann sollte ich bei solch einer Feier lieber nicht mitmachen. Selbst Kirchenführer zeigen in solchen Fragen nicht immer das notwendige Fingerspitzengefühl. Es ist hier in Deutschland üblich geworden, dass Bischöfe und Kirchenpräsidenten den Muslimen Grußbotschaften zum Beginn und zum Ende des Ramadan schicken. Nun ja, wenn es denn einfach nur der guten Nachbarschaft dienen soll, ist daran ja nicht unbedingt etwas einzuwenden. Aber muss man, wie unlängst geschehen, Muslime dann auch gleich als Brüder und Schwestern im Glauben anreden? Muss man ihnen gegenüber den Eindruck erwecken, als würden Muslime und Christen letztlich doch an den gleichen Gott glauben? Niemals sollen und dürfen wir selbst und gerade da, wo es scheinbar nur um Etikette und Höflichkeit geht, unseren Glauben an Christus als unseren Herrn und Gott verleugnen oder verschleiern. Das wäre nicht recht verstandene Liebe.

Doch die Ausführungen des Apostels Paulus sind ja nicht nur im Umgang mit dem Islam aktuell. Wir leben ja heute in einer Zeit, in der aus ganz anderen Richtungen alle möglichen Speisegebote und Speiseverbote erlassen werden. Fast täglich erreichen mich irgendwelche Spam-Mails, die mir weismachen wollen, wenn ich dieses oder jenes essen oder nicht essen würde, würde dies meine Lebenserwartung enorm verlängern. Und wir kennen alle miteinander die Hysterie, die uns von Zeit zu Zeit hier in Deutschland überfällt, wenn irgendjemand herausgefunden hat, wie ungesund dieses oder jenes Lebensmittel angeblich oder wirklich ist. Natürlich ist nichts gegen eine gesunde Ernährung einzuwenden. Doch wenn uns von irgendwelchen Moralaposteln dieses oder jenes Essen ganz verboten wird, dann dürfen wir als Christen auch einmal ganz fröhlich feststellen: Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist. Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, wenn es nach einem Tischgebet gegessen oder getrunken wird. Wir wissen als Christen doch: Wir müssen unsere Zukunft nicht mit der richtigen Ernährung retten. Unsere Zukunft hat Christus doch längst gerettet, als er uns in unserer Taufe ein neues, unvergängliches Leben geschenkt hat. Und wir wissen um die eine Speise, die uns mehr schenkt als einfach nur ein paar zusätzliche Lebensjahre: Wir wissen um die eine Speise, die uns das wahre, ewige Leben schenkt: der Leib und das Blut Christi, für uns am Kreuz geopfert. Hier am Altar finden wir sie: die Quelle unserer Freiheit als Christen, die Quelle unserer Freiheit, die uns zugleich befähigt zum Bekenntnis zu Christus und uns in Liebe auf das achten lässt, was unser Bruder und unsere Schwester braucht. Was du auch an Einladungen sonst annehmen magst – vergiss nie die Einladung an den Tisch deines Herrn! Denn hier vergibt er dir immer wieder dein Versagen auch im Umgang mit deiner christlichen Freiheit. Ja, gerade so schenkt er dir hier immer wieder ein richtig gutes Gewissen. Amen.