25.12.2014 | St. Lukas 2,15-20 | Heiliges Christfest
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Heute will ich euch von dem allerersten christlichen Gottesdienst überhaupt erzählen. Was ist für einen christlichen Gottesdienst unbedingt nötig? Nein, keine Orgel, kein Weihnachtsbaum, keine Kerzen, keine Gewänder, keine Gesangbücher. Unbedingt nötig ist nur eines, besser gesagt: einer: Er, Christus, der Mensch gewordene Gott. Der muss da sein, sonst ist es kein christlicher Gottesdienst. Um ihn versammeln sich Menschen, sonst ist es kein christlicher Gottesdienst. Die Gegenwart Christi, sie ist bei jedem Gottesdienst das Entscheidende – vor 2000 Jahren genauso wie heute bei uns.

Der erste christliche Gottesdienst fand in einem Stall statt, in ziemlichem Gestank, ohne funktionierende Elektrik und vermutlich auch in ziemlicher Enge. Und doch kann dieser erste christliche Gottesdienst uns noch heute helfen, besser zu verstehen, was eigentlich bei uns heute hier in Steglitz im Gottesdienst abgeht. Er kann uns nicht nur helfen wahrzunehmen, wie gut wir es doch hier bei uns haben, unter was für luxuriösen Bedingungen wir unsere Gottesdienste feiern, sondern die Schilderung des heiligen Lukas kann uns auch helfen, diejenigen noch besser zu verstehen, die damals am Gottesdienst teilnahmen und auch heute an unseren Gottesdiensten teilnehmen.

I.
Ganz unterschiedliche Gottesdienstteilnehmer werden uns hier von St. Lukas vor Augen gestellt: Da ist auf der einen Seite Maria, die Mutter Gottes, von der der Evangelist zu berichten weiß, dass sie alle Worte, die sie hörte, in ihrem Herzen bewegte und bewahrte. Maria – der Urtypus all derer, die im Gottesdienst ganz ruhig sitzen, die meditieren und nachdenken wollen, die Zeit brauchen, um all das zu erfassen, was da eigentlich in Wirklichkeit geschieht. Viele von uns werden sich in Maria wiederfinden, viele unter uns kommen genau mit dieser Erwartung hierher in die Kirche: Sie wollen hier Ruhe finden, Besinnlichkeit, wollen sich einfach nur auf die Worte konzentrieren, die sie hier hören, wollen ihnen in Ruhe nachsinnen können. Ja, diese Menschen haben ihren festen Platz ganz in der Nähe der Krippe, gehören mit in den christlichen Gottesdienst, sind aus ihm nicht wegzudenken, ganz gewiss.

Doch dann wird es im Stall von Bethlehem mit einem Mal unruhig: Da kommen Leute angehetzt, ja, sie kommen eilend, so betont es St. Lukas ausdrücklich, laufen einfach so in den Stall hinein und wollen gucken. Davon, dass sie vor dem Kind niedergekniet seien, dass sie in stiller Meditation vor ihm verharrt hätten, wird nichts bei St. Lukas berichtet. Die Leute laufen rein, gucken – und fangen gleich an zu reden, fangen gleich an zu erzählen, was sie vorher gehört hatten. Und danach kehren sie auch schon wieder um, laufen gleich wieder raus. Ob sie sehr lange da bei dem Kind in der Krippe gewesen sind, davon erfahren wir nichts. Aber sie waren da, diese Leute, im Gottesdienst, waren bei Christus, haben den gefunden, den sie gesucht hatten, und diese kurze Begegnung mit ihm, die verändert sie, verändert ihr Verhalten, ihr Leben.

In unsere Mariengemeinde sind in letzter Zeit auch immer mehr Hirten gekommen. Eilend kommen sie, nicht selten trotzdem zu spät nach unserem deutschen Zeitempfinden. Sehr meditativ ist ihr Verhalten nicht unbedingt. Sie kommen herein, halten auch nicht unbedingt den Mund, gucken, was hier passiert, drängen sich zur Krippe, drängen sich an den Altar, und dann kehren sie wieder um und sind wieder weg.

Maria und Josef haben damals die Hirten nicht vor die Tür gesetzt, haben ihnen nicht gesagt: Haut wieder ab, wir wollen hier in Ruhe „Stille Nacht“ singen und uns nicht von euch stören lassen! Nein, beide hatten sie damals ihren Platz an der Krippe: Diejenigen, die still alle Worte, die sie hörten, im Herzen bewahrten, und die, die eilends zur Krippe drängten, kurz hineinschauten und dann wieder weg waren. Beide haben sie je auf ihre Weise Gottesdienst gefeiert, haben den gesucht und gefunden, um den es im Gottesdienst doch geht: Christus, den Herrn, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.

Und so haben auch in unserem Gottesdienst beide ihren Platz: Diejenigen, die auch heute noch die Ruhe genießen, die hier im Haus Gottes herrscht, die sich vielleicht gar nicht vorstellen können, dass man als Gottesdienstteilnehmer nicht immer und immer tiefer in die Worte eindringen will, die man hier zu hören bekommt. Und diejenigen, die hier mit einem Mal angehetzt kommen, die nicht eine solche Ruhe ausstrahlen, die vielleicht wirklich auch nur wenig Zeit haben, weil sie zurück müssen zu ihrer Arbeit, Menschen, denen vielleicht nicht so sehr das Meditieren liegt und die doch wissen, wen sie hier suchen und finden: Christus, den Mensch gewordenen Gott, zu finden in der Krippe des Altars, gewickelt in die Windeln von Brot und Wein. Ja, ihm begegnen auch sie auf ihre Weise, feiern so auch auf ihre Weise Gottesdienst, eben weil es im Gottesdienst doch nur um eins geht: eben um die Begegnung mit Christus, der hier in unserer Mitte gegenwärtig ist.

Denkt darum immer wieder an die Weihnachtsgeschichte, wenn es hier in der Kirche mal wieder etwas lebendiger zugeht: Vielleicht sind wir gerade auch so und gerade dann besonders nahe dran an dem ersten Gottesdienst, damals im Stall von Bethlehem.

II.
Zu einem richtigen Gottesdienst gehört natürlich auch eine Predigt. Eigentlich sollte man ja erwarten, dass Maria, die, die schon so viel mit Jesus erlebt hatte, die schon so viel über Gottes Wort nachgedacht hatte, den Hirten hier eine Predigt hält, ihnen erklärt, was hier im Stall von Bethlehem nun eigentlich passiert ist.
Doch genau das Gegenteil schildert St. Lukas hier: Nicht Maria hält den Hirten die Predigt, auch nicht Josef. Sondern die Hirten erzählen von dem, was ihnen die Engel über dieses Kind verkündigt hatten, erklären Maria und Josef, was es mit diesem Kind auf sich hat, stärken mit dieser Predigt ihren Glauben, ja, mögen vielleicht gar Maria und Josef noch einmal ganz neu klargemacht haben, wer dieses Kind in Wirklichkeit ist, das da umgeben von meckernden Ziegen im Futtertrog lag.

Genau solch eine Erfahrung dürfen wir auch hier bei uns in unserer Gemeinde immer wieder machen. Da sitzen hier in unserer Mitte Menschen, die schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten treue Christen sind, schon so viele Predigten gehört haben, schon so viel über Gottes Wort nachgedacht haben. Und doch ist für sie, und da schließe ich mich selber gerne mit ein, vieles dabei auch schon so selbstverständlich geworden, haben wir uns an so vieles in unserem christlichen Glauben schon so gewöhnt, dass wir gar nicht mehr wahrnehmen, wie wunderbar, wie aufregend, wie zutiefst beglückend das ist, was wir hier hören dürfen – die Weihnachtsgeschichte bei St. Lukas mit eingeschlossen!

Und da sind nun auch zu uns die Hirten gekommen, Menschen, die noch einmal in einer ganz anderen Weise von Jesus gehört haben, die ihre ganz eigenen Erfahrungen mit Jesus gemacht haben und die im wahrsten Sinne des Wortes alles haben stehen und liegen lassen, nur weil ihnen dieser Jesus und die Einladung, zu ihm zu kommen, so wichtig geworden ist. Ja, diese Menschen haben uns, den Alteingesessenen, eine Menge zu erzählen, und wer bereit ist, ihnen zuzuhören, der wird erfahren, wie diese Menschen unseren Glauben zu stärken vermögen, uns noch einmal ganz neu zu schätzen lehren, was uns so normal und selbstverständlich erscheint. Ja, sie stecken uns mit ihrer Freude über Jesus an und kennen zugleich genau die Zeichen, an denen wir ihn erkennen können: die Windeln, Brot und Wein im Heiligen Mahl – da ist er, zu dem sie und wir mit ihnen eilen. Ja, wie wunderbar ist es, dass wir solche Prediger hier bei uns haben, Menschen, die einfach nur bezeugen, was ihnen gesagt worden ist und uns damit wieder neu die Augen öffnen. So war es damals beim Gottesdienst im Stall von Bethlehem, so ist es heute noch.

III.
Losgezogen sind die Hirten damals wieder, haben Gott gelobt und gepriesen für alles, was sie gehört und gesehen hatten. Ja, was hatten sie schon gesehen: ein Kind in einem Futtertrog, eine junge Familie in bitterer Armut, mehr nicht. Und doch sahen sie zugleich viel mehr: Sie sahen, was ihnen zuvor gesagt worden war: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Davon muss man doch erzählen, darüber muss man Gott doch loben, ganz klar!

Auch wir singen nachher wieder miteinander: „Meine Augen haben deinen Heiland gesehen“, singen, was damals auch die Hirten auf dem Rückweg vom Stall gesungen haben, und dann mag es sehr wohl sein, dass auch andere das mitbekommen, wie uns die Begegnung mit dem Kind in den Windeln verändert, mag es sehr wohl sein, dass auch diese Menschen dadurch den Weg zu ihm, Christus, finden. So erleben wir es jedenfalls bei uns, dass da immer wieder neu Leute bei uns hineinschauen, die auch mal gucken wollen, warum die Christen denn so viel Grund haben zur Freude und zum Singen.

Dabei ist der Grund doch so einfach: Unser Heiland, unser Retter ist geboren, Gott selber ist Mensch geworden, damit wir nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Unser Heiland, unser Retter ist da, beschenkt uns auch heute mit seiner Gegenwart. Wie gut, wenn sich viele Menschen dabei um ihn scharen, ja, wenn wir einander helfen, ihn, Christus, zu erkennen und uns an ihm zu freuen! So war es damals in Bethlehem, so ist es auch bei uns heute noch, Gott sei Dank! Amen.