19.04.2015 | St. Johannes 10,11-16.27-30 | Misericordias Domini
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Vor einigen Monaten kam heraus, dass im Jahr 2012 Facebook mit seinen Nutzern ein großes Psycho-Experiment angestellt hatte: Fast 700.000 Nutzer hatten eine Woche lang ohne ihr Wissen entweder nur positive oder nur negative Meldungen von ihren Freunden zu lesen bekommen. Dann wurde untersucht, wie diese darauf reagierten – und in der Tat: Diejenigen, die nur positive Meldungen von ihren Freunden bekommen hatten, posteten auch selber häufiger positive Kommentare auf Facebook – und bei denen, die nur negative Meldungen erhalten hatten, war es genau umgekehrt. Der große Psychotest zeigte wieder einmal, was für Möglichkeiten es mittlerweile gibt, uns Menschen zu manipulieren, ohne dass wir das überhaupt mitbekommen. Wir halten uns für frei und selbstbestimmt und werden doch in Wirklichkeit ganz sanft und unbemerkt von anderen Kräften und Interessen gesteuert.

Im heiligen Evangelium des heutigen Tages stellt sich Jesus Christus uns als der gute Hirte vor. Mit Hirten haben wir heute in aller Regel nicht mehr viel zu tun – und erst recht fällt es uns beim ersten Hinhören schwer, uns nun mit irgendwelchen Schafen zu identifizieren, wenn wir nicht eine solch intensive kirchliche Sozialisation mitbringen, dass wir das Lied „Weil ich Jesu Schäflein bin“ als Ausdruck unserer eigenen persönlichen Frömmigkeit lieben und schätzen. Doch bevor wir nun die Worte unseres Herrn Jesus Christus als nicht mehr zeitgemäß beiseite packen, sollten wir doch noch einmal genauer hinschauen und hinhören, und dann werden wir sehr schnell feststellen, dass diese Worte überhaupt nicht altmodisch und überholt sind, sondern so aktuell, dass wir schon fast den Atem anhalten mögen, wenn wir sie nun noch einmal genauer betrachten.

Denn eines macht uns Christus hier im heiligen Evangelium von Anfang an deutlich: Die Vorstellung, wir Menschen würden völlig frei und selbstbestimmt handeln und uns, wenn wir denn einen einigermaßen anständigen Charakter haben, von niemandem etwas sagen und vorschreiben lassen, ja, eben diese Vorstellung ist völlig unrealistisch. Und wenn wir es uns nicht von Christus sagen lassen, dann erinnern uns Meldungen wie die über das eben geschilderte Facebook-Experiment daran. Die Frage ist nicht, ob wir einem Hirten folgen oder nicht. Die Frage ist einzig und allein, welchem Hirten wir folgen, auf wessen Stimme wir hören, von wem wir uns in unserem Leben bestimmen, beeinflussen, führen lassen.

Noch einmal anders ausgedrückt: Die Frage ist, welche Interessen diejenigen verfolgen, die uns auf unterschiedliche Weisen dazu bewegen wollen, ihnen zu folgen, uns von ihnen bestimmen zu lassen. Mit den Worten Jesu formuliert: Folgen wir der Stimme eines Hirten oder der Stimme eines Mietlings?

Damals in Israel machte es einen großen Unterschied aus, ob eine Herde von einem Hirten bewacht wurde, dem die Schafe gehörten, der ein persönliches Verhältnis zu den Schafen hatte, oder ob sie bewacht wurden von einem angemieteten Aufpasser, der auch nach offizieller Rechtsprechung das Recht dazu hatte, die Herde zu verlassen, wenn ein Wolf in der Nähe auftauchte, weil er nicht dazu verpflichtet war, sein Leben für die Schafe zu riskieren. Wer von einem angemieteten Hirten bewacht wurde, hatte als Schaf Pech, wenn es wirklich hart auf hart kam: Dem angemieteten Hirten ging es nur um einen Job, ums Geldverdienen; die Schafe selber waren ihm letztlich egal.

Schwestern und Brüder: Auch wenn es heutzutage nicht mehr viele grasende Schafe bei uns gibt – Hirten, die uns nur zu ihrem Vorteil benutzen, ja ausnutzen wollen, die in der Tat nur unser Bestes wollen: unser Geld, unsere Gesundheit, unser Leben, die gibt es auch heute mehr als genug. Was für großen Führern sind Menschen hier in unserem Land, aber auch in anderen Ländern immer wieder nachgelaufen – Führern, die ihr Volk letztlich nur ins Verderben gestürzt haben! Was für vielfältige Angebote gibt es im religiösen Supermarkt unserer Tage, die letztlich immer wieder nur Menschen ausnutzen, um Geld zu machen oder Macht auszuüben, ohne dass die Betroffenen das gleich immer auch merken. Ich denke etwa an die Zeugen Jehovas, die ja gerade auch unter farsisprachigen Menschen so aktiv sind und viele verführen, dass sie sich einsetzen zum Wohle einer Aktiengesellschaft in New York. Ja, das macht angemietete Hirten so besonders gefährlich, dass sie mitunter sehr fromme Sprüche im Munde führen und Menschen dabei doch nicht an Jesus Christus, sondern allein an sich selber binden. Das geschieht in großem Stil bei Sekten oder anderen religiösen Bewegungen; das geschieht aber leider auch im kleineren Stil immer wieder, wenn selbsternannte geistliche Führer, ja leider sogar Menschen, die den Titel „Hirten“, also „Pastoren“, führen, Menschen zur Erfüllung ihrer Wünsche und Bedürfnisse missbrauchen. Ach, wie traurig aktuell sind die Worte unseres Herrn Jesus Christus im Heiligen Evangelium auch heute noch, ja, gerade heute!

Was unterscheidet den einen guten Hirten von all den angemieteten Hirten? Ganz einfach: Der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe. Der gute Hirte will nichts von den Schafen, sondern alles für die Schafe – und so gibt er sich schließlich sogar selbst für sie in den Tod. Den guten Hirten erkennt man am Kreuz, dort, wo er alles hingibt, was er hat, nur um die zu retten,  die zu ihm gehören. Und darum gibt es eben auch nur einen einzigen guten Hirten, ihn, Jesus Christus allein. Mohammad ist nicht für dich am Kreuz gestorben. Mark Zuckerberg und Bill Gates können und werden ihr Leben ebenfalls nicht für dich in den Tod geben. Ja, auch kein Pastor ist von daher ein guter Hirte, weil eben kein Pastor dich retten kann, sein Leben für dich hingeben kann, damit du dadurch gerettet wirst vor dem ewigen Tod, vor dem ewigen Verderben. Halte dich darum ganz und gar an Jesus Christus. Der will nichts von dir, der will nur alles für dich: Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit.

Halte dich nur an Jesus Christus – wie sieht das ganz praktisch aus? Christus selbst nennt hier im Evangelium zweierlei: Es geht um Hören und um Kennen. Hören sollen wir auf die Stimme Christi. Schafe können die Stimme ihres Hirten ganz genau von der Stimme aller anderen Hirten unterscheiden; da kann ihn niemand etwas vormachen. Ja, Schafe sind wirklich kluge Tiere. Ach, wenn doch auch wir so klug wären wie Schafe, wenn doch auch wir allein auf die Stimme des guten Hirten Jesus Christus hören würden, auf das, was er uns sagt, und nicht immer wieder auf alle möglichen anderen Stimmen hereinfallen würden, die uns alles Mögliche versprechen und doch niemals an das herankommen können, was Jesus Christus uns verspricht und für uns tut! Doch dafür müssen wir zunächst einmal die Stimme unseres Herrn Jesus Christus ganz genau kennen, müssen sie immer wieder neu hören. Und genau das geschieht eben in jedem Gottesdienst, wenn er, der gute Hirte, zu uns spricht in seinem Wort – in den Lesungen der Heiligen Schrift, ja, und auch in der Predigt. Das heißt nun allerdings in der Tat, dass wir die Stimme des guten Hirten immer wieder hören durch die Stimme sehr menschlicher Hirten, die im Auftrag des einen guten Hirten seine Stimme laut werden lassen. Und genau das ist eben die Aufgabe der menschlichen Hirten, nichts Anderes zu verkündigen als eben das, was er, der gute Hirte Jesus Christus, zu sagen hat. Weh denen, die nicht seine Stimme, sondern nur ihre eigene Stimme laut werden lassen, die nicht selber ganz hinter der Stimme dieses einen guten Hirten Jesus Christus zurücktreten! Denn die, die ihnen von Christus anvertraut sind, sind ja darauf angewiesen, gerade auch in ihrem Wort, in ihrer Predigt die Stimme Christi zu vernehmen und immer besser kennenzulernen! Und doch gebraucht Christus auch weiter genau diesen Weg, durch menschliche Stimmen seine Stimme laut werden zu lassen, Menschen dadurch immer besser seine Stimme erkennen zu lassen. Nein, diese Stimme ist nicht spektakulär, sie ist oftmals sehr leise, nicht auffällig – und eben doch eine Stimme, die um uns, um unser Herz wirbt, weil der, der darin spricht, weiß, wie sehr wir seinen Hirtendienst brauchen. Hören wir darum genau hin, damit wir ja diese eine Stimme in unserem Leben niemals mit anderen Stimmen verwechseln, damit wir sie ja niemals überhören!

Aber Christus geht es noch um mehr als um das Hören. Es geht ihm darum, dass er uns kennt und wir ihn. Mit „Kennen“ ist in der Bibel viel mehr gemeint als bloß eine Information darüber, wer denn der jeweils andere ist. „Kennen“ bedeutet in der Bibel so viel wie „ganz enge Gemeinschaft mit jemandem haben“, mit ihm persönlich ganz eng verbunden sein. Ja, in diesem Sinne lernst du Jesus Christus immer wieder kennen, wenn du ihm begegnest hier am Altar, im Heiligen Mahl. Da kommt er zu dir, nicht um etwas von dir zu fordern, sondern um dich zu beschenken mit seinem Leib, für dich am Kreuz geopfert, mit seinem Blut, für dich am Kreuz vergossen. Da gibt er sich dir eindeutig zu erkennen als dein Gott, der sich hingibt für dich, damit du leben darfst. Gott geb’s, dass dir ein Leben klar bleibt, was du an diesem guten Hirten hast, dass du ihm folgst und bei ihm bleibst. Denn dieser Hirte sagt dir doch ganz klar, was er vorhat mit dir: „Ich gebe ihnen das ewige Leben.“ Das kann wirklich nur einer, er, dein guter Hirte Jesus Christus. Und er kann es nicht nur, er gibt es dir, auch jetzt gleich wieder, wenn er zu dir kommt, er, dein Herr und Gott, um sich mit dir zu verbinden, er, dein Herr, der sich dir so klar und eindeutig vorstellt: „Ich und der Vater sind eins.“ Amen.