3. - Artikel 13: Vom Gebrauch der Sakramente

Vom Gebrauch der Sakramente wird gelehrt, dass die Sakramente eingesetzt sind nicht allein darum, dass sie Kennzeichen seien, an denen man Christen äußerlich erkennen kann, sondern vielmehr, dass sie Zeichen und Zeugnisse des uns geltenden göttlichen Willens sind, die dazu dienen sollen, den Glauben bei denen zu erwecken und stärken, die sie gebrauchen. Darum soll man die Sakramente so gebrauchen, dass der Glaube hinzukommt, der den Verheißungen glaubt, die durch die Sakramente dargereicht und veranschaulicht werden.

Zu den klassischen Klischees darüber, was die lutherische Kirche von der römisch-katholischen Kirche unterscheidet, gehört die Behauptung, die römisch-katholische Kirche habe sieben Sakramente, die lutherische dagegen nur zwei. Ersteres ist gewiss richtig, dass die römisch-katholische Kirche, genauso wie die orthodoxe Kirche, sich auf die Siebenzahl der Sakramente festgelegt hat. Nicht richtig ist dagegen, dass es Lehre der lutherischen Kirche ist, dass es nur zwei Sakramente gibt. Im Augsburger Bekenntnis folgt der zusammenfassende Artikel über den Gebrauch der Sakramente auf die Artikel von Taufe, Heiligem Abendmahl und Beichte, sodass Melanchthon offenbar zumindest von drei Sakramenten ausgeht. In der Apologie des Augsburger Bekenntnisses erklärt Melanchthon sodann, dass es, je nachdem, wie man ein Sakrament definiert, durchaus auch möglich sei, die Ehe oder die Ordination ein Sakrament zu nennen. Ausdrücklich erklärt er, dass es müßig sei, sich über Zahlen zu streiten. Viel wichtiger sei vielmehr, zunächst einmal zu klären, was man eigentlich unter einem Sakrament versteht – und noch wichtiger, wie es zu gebrauchen sei.

Im Neuen Testament selber werden Taufe, Abendmahl und Beichte nicht mit dem Fachbegriff „Sakrament“ bezeichnet. Sehr wohl werden diese Handlungen jedoch auch im Neuen Testament schon einander zugeordnet, wenn etwa in Johannes 19,34 der Evangelist Johannes den gemeinsamen Ursprung der Wirkung von Abendmahl und Taufe (Blut und Wasser) im Kreuzestod Jesu festmacht oder wenn Taufe, Abendmahl und Beichte die drei Handlungen sind, deren Stiftung im Neuen Testament unmittelbar mit dem Geschehen von Kreuz und Auferstehung verknüpft wird (Matthäus 26,26-28; Matthäus 28,16-20; Johannes 20,22-23).

Der Begriff sacramentum ist die lateinische Übersetzung des griechischen Begriffes mysterion, was so viel wie Geheimnis heißt. So bezeichnet sich Paulus selber als „Haushalter über Gottes Geheimnisse“ (1. Korinther 4,1), und in Epheser 5,32 bezeichnet er es ebenfalls als „großes Geheimnis“, dass sich im Verhältnis von Mann und Frau in der Ehe das Verhältnis von Christus und seiner Kirche widerspiegelt. Wenn im Neuen Testament vom „Geheimnis“ gesprochen wird, muss aber zugleich bedacht werden, dass es für die Glaubenden eben gerade nicht mehr verborgen und rätselhaft ist, wie dies bei Geheimnissen sonst zumeist der Fall ist, sondern dass sich dies Geheimnis den Glaubenden erschlossen hat und diese darüber nun voller Freude anbetend staunen können. In diesem Sinne singen wir in der Sakramentsliturgie ja auch: „Geheimnis des Glaubens“. Damit meinen wir gerade nicht, dass wir eigentlich nicht so genau wissen können, was da auf dem Altar geschieht, sondern dass wir anbetend staunen, dass sich uns erschlossen hat, dass wir nun den Fleisch gewordenen Gott mit seinem Leib und Blut in den Gestalten von Brot und Wein finden können.

Erst im dritten Jahrhundert wurde das Wort „Sakrament“, zuerst von dem Kirchenvater Tertullian, zunächst auf Taufe und Abendmahl angewendet. Der Kirchenvater Augustin formulierte dann die klassische Definition eines Sakraments, auf die auch Luther immer wieder gerne sich bezogen hat: Accedat verbum ad elementum et fit sacramentum: Kommt das Wort zum Element, so wird daraus ein Sakrament. Erst im Mittelalter legte man sich dann auf die Siebenzahl der Sakramente fest; dabei präzisierte man noch einmal die Sakramentsdefinition, die grundsätzlich auch von der lutherischen Kirche übernommen wurde: Ein Sakrament ist eine Handlung, die von Christus selbst eingesetzt ist. Durch ein sichtbares Zeichen lässt er uns eine unsichtbare Gabe zukommen.

Diskutieren lässt sich dann darüber, in welcher Weise die Einsetzung durch Christus verstanden werden muss: Fordert man hier Stiftungsworte im engeren Sinne, so wird man nur drei Sakramente (Taufe, Beichte, Abendmahl) anerkennen können. Lässt man es dagegen gelten, dass Jesus zum Beispiel Apostel berufen hat und diese das Amt durch Handauflegung weitergegeben und diese Handauflegung als wirksames Zeichen, durch das der Heilige Geist mitgeteilt wird, verstanden haben (vgl. 2. Timotheus 1,6), so ist auch die Ordination als Sakrament zu bezeichnen. In der Regel versteht man in der lutherischen Kirche in der Tat unter der „unsichtbaren Gabe“ ganz wesentlich die Sündenvergebung. Diese wird nun durch die Ordination, die Konfirmation oder die Ehe nicht mitgeteilt. Aber es bleibt eben alles eine Frage der Definition – jedenfalls nichts, was als solches erst einmal kirchentrennenden Charakter hätte.

Im 13. Artikel des Augsburger Bekenntnisses macht Melanchthon nun jedoch eine andere, ganz wichtige Unterscheidung: Er unterscheidet zwischen dem Sakrament und dem Gebrauch der Sakramente. Dass in den Sakramenten Christus gegenwärtig ist und wirkt, ist von den vorhergehenden Artikeln her klar. Aber nun geht es darum, wie sie recht gebraucht werden.

Zunächst betont Melanchthon hier noch einmal, was die Sakramente nicht sind: Sie sind nicht Handlung des Menschen, sondern Handlungen Gottes, nicht menschlicher oder kirchlicher „Selbstvollzug“, sondern Bewegung Gottes auf den Menschen zu. Der Artikel wendet sich hier mit einem fast wörtlichen Zitat gegen den Schweizer reformierten Theologen Huldreich Zwingli, für den die Sakramente nur Ausdruck des Glaubens der sie Feiernden sind. Dieses Sakramentsverständnis ist auch heute noch im Protestantismus weit verbreitet und hat in ähnlicher Gestalt zum Teil sogar Einzug in römisch-katholische Theologie und Praxis gefunden.

Wenn Melanchthon dann auch selber die Sakramente als „Zeichen“ bezeichnet, darf man dieses Wort nicht im heute üblichen Sinne verstehen, als ob das Zeichen nur auf etwas anderes hinweist, was außerhalb seiner selbst liegt. „Signum“ war vielmehr ein feststehender kirchlicher Fachausdruck für die Sakramente, der zum Ausdruck brachte, dass in ihnen auch äußerlich erkennbar wird, was durch sie gewirkt wird.

Melanchthon betont dabei, dass es in den Sakramenten darum geht, dass durch sie das Verhältnis zwischen Gott und dem einzelnen Menschen festgemacht wird: Sie sind Zeugnis des uns geltenden göttlichen Willens. Eben darum zielen sie aber nun auf den Glauben des Menschen und wirken ihn zugleich, denn der Glaube ist ja die Art und Weise, in der Gott Gemeinschaft zwischen sich und uns Menschen stiftet. Wenn Gott den Menschen durch die Sakramente in das rechte Verhältnis zu ihm setzt, dann kann der Mensch dem nur durch den Glauben, nicht etwa durch sein eigenes Tun und Handeln, entsprechen. Das Sakrament ist zuerst da, auch unabhängig vom Glauben. Aber wenn es recht gebraucht werden soll, muss der Glaube „hinzukommen“.

Auch hier muss noch einmal ganz deutlich formuliert werden: Das Wesen des Sakraments ist nicht vom Glauben des Empfangenden abhängig: Die Taufe wirkt die Wiedergeburt des Menschen, weil in ihr Gottes Wort und das Element Wasser zusammenkommen und daraus ein Sakrament wird. Die Elemente Brot und Wein werden im Heiligen Altarsakrament Leib und Blut Christi, auch wenn die Empfangenden dies leugnen. Denn die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in den Elementen hängt einzig von dem wirksamen Wort Christi ab und nicht vom Glauben derer, die die Gabe des Sakramentes empfangen. Genau das bezeichnete die mittelalterliche Kirche mit dem Fachausdruck „ex opere operato“: Wenn das Sakrament vollzogen wird, wie Christus es gestiftet hat, dann dürfen wir gewiss sein, dass es gültiges und wirksames Sakrament ist und dabei von uns und unserem Glauben ganz wegschauen. Recht verstanden lehrt auch die lutherische Kirche ebenso wie die römisch-katholische Kirche, im Unterschied etwa zu reformierten Kirche, diese Gabe und Wirkung des Sakraments ex opere operato.
Von dem Wesen des Sakraments zu unterscheiden ist sein Gebrauch: Die Gabe des Sakraments nützt mir nichts, wenn ich sie nicht im Glauben empfange. Im Taufunterricht verdeutliche ich dies immer an einem Beispiel: „Wenn ich euch einen Briefumschlag mit einer Million Euro schenke, dann könnt ihr ihn bei euch in den Schrank legen und dort liegen lassen. Ihr seid dann ganz reiche Menschen – aber wenn ihr den Umschlag da liegen lasst, dann nützt euch euer ganzer Reichtum gar nichts. Sondern ihr sollt von diesem Umschlag auch Gebrauch machen. So ist das auch mit der Taufe.“ Wenn die Sakramente ausgeteilt werden, dann sollen sie auf den Glauben der Empfangenden zielen und zugleich auch im Glauben von ihnen empfangen werden. Es ist nicht recht, die Taufe zu spenden, wenn nicht davon auszugehen ist, dass das Kind, das die Taufe empfängt, jemals von seiner Taufe erfährt. Und es ist nicht recht, die Gabe des Altarsakraments an Menschen auszuteilen, die die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in den Elementen leugnen. Denn dies würde ihnen nicht nur nicht nützen, sondern im Gegenteil sogar schaden. Es geht in den Sakramenten nicht bloß und nicht zuerst darum, dass ich etwas subjektiv „fühle“, sondern dass mein Glaube sich auf die Worte bezieht, die das Sakrament überhaupt erst zu einem Sakrament werden lassen. Eben darum kann die Kirche auf einen sorgfältigen Sakramentsunterricht und auch auf eine sorgfältige Zulassung zum Sakrament nicht verzichten. Denn es ist ihre Aufgabe, zum rechten Gebrauch der Sakramente anzuleiten.