4. - Artikel 14: Vom kirchlichen Stand

Vom kirchlichen Stand wird gelehrt, dass niemand in der Kirche öffentlich predigen oder die Sakramente verwalten soll, wenn er nicht nach kirchlichem Gebrauch berufen ist.

Im 14. Artikel des Augsburger Bekenntnisses geht es um die Frage des kirchlichen Amtes, die auch heute noch von großer ökumenischer Bedeutung ist.

Schwierig ist es schon, im Deutschen die angemessene Terminologie zu finden für den Inhalt, der in diesem Artikel beschrieben wird: Spricht man von „Amt“, so klingt bei vielen gleich das Wort „Behörde“ mit, als ob jemand, der das kirchliche Amt innehat, so etwas wie ein Behördenvertreter sei oder ein „Kirchenbeamter“. Der deutsche Text des Augsburger Bekenntnisses spricht vom „Kirchenregiment“ – was aber auch leicht missverstanden werden kann, wenn nicht deutlich gemacht wird, dass es Christus selber ist, der die Kirche durch seine Gnadenmittel regiert, dass aber selbstverständlich nicht die Pfarrer über die Gemeinde regieren und sie nach ihrem Wohlwollen beherrschen. Der lateinische Text des Augsburger Bekenntnisses spricht vom „ordo ecclesiasticus“. Beim Wort „ordo“ hören wir im Deutschen schnell das Wort „Ordnung“, und das Missverständnis legt sich dann nahe, als ob es hier lediglich um die praktische Umsetzung einer angeblichen deutschen Tugend ginge, um praktische Regelungen, die natürlich auch je nach Situation und unterschiedlichem Ordnungsempfinden ganz unterschiedlich ausfallen können.

Für die Hörer des Jahres 1530 war jedoch klar: Mit dem „ordo“ war eine bestimmte Gruppe von Menschen gemeint, die von Gott selbst in diesen Stand berufen worden sind – eben durch die „ordinatio“, die Ordination, durch die Christus Menschen in diesen „ordo“ einfügt. Jeder Zuhörer damals wusste, dass mit dem „ordo“ die Pfarrer gemeint waren, diejenigen, die von Christus beauftragt waren, den Gottesdienst zu leiten und die Gnadenmittel auszuteilen. Dieser „ordo“ ist ein kirchlicher ordo, das heißt: Er ist kein Selbstzweck, nicht abgehoben von der Kirche, sondern eben dazu bestimmt, der Kirche zu dienen.

Beschrieben wird zunächst einmal, was Aufgabe derer ist, die zu diesem „ordo“ gehören: sie sollen zum einen „lehren“, so heißt es hier wörtlich. Mit dem „Lehren“ ist aber nun nicht der Unterricht an einer Schule, an einer Universität und auch nicht zuerst der Konfirmandenunterricht (den es zu der damaligen Zeit gar nicht gab) gemeint, sondern die Predigt. Darum ist auch vom „öffentlichen“ Lehren die Rede, im Unterschied etwa zur Unterweisung der Kinder durch ihre Eltern im häuslichen Umfeld. Zum anderen sollen diejenigen, die zum „ordo“ gehören, die Sakramente verwalten. Ihr Amt wird also ganz streng als Gnadenmittelamt verstanden: Sie sollen die Gaben Christi weiterreichen, die ihnen anvertraut sind.

Eben dies sollen aber eben auch nur sie tun, und niemand anders sonst: Niemand soll öffentlich predigen oder die Sakramente verwalten, wenn er nicht „rite vocatus“ ist, so formuliert es das Augsburger Bekenntnis hier. In dem Wort „rite“ verbirgt sich das Wort „Ritus“, das uns ja auch im Deutschen bekannt ist: eine Ordnung für die Durchführung einer liturgischen Handlung. Nach solch einer Ordnung soll derjenige, der öffentlich predigt und die Sakramente verwaltet, berufen (vocatus) sein. Wie diese Ordnung im Fall des kirchlichen ordo aussah, war den Verfassern des Augsburger Bekenntnisses ebenso klar wie den Hörern auf der anderen Seite: Sie bestand in der Ordination unter Handauflegung. In dieser Ordination konkretisiert sich der Ruf Christi an einen bestimmten Menschen, den dieser zuvor schon auf anderen Wegen – etwa durch die Berufung einer Gemeinde oder durch den Auftrag der Kirche – vernommen haben mag. In dem Ritus der Ordination verdichtet sich dieser Ruf aber jetzt und wird eindeutig vernehmbar – und auch unwiderruflich. Nur diejenigen, die Christus in diesen Dienst und damit in diesen ordo berufen hat, sollen also die Gnadenmittel verwalten.

Es ist für manche erstaunlich, dass die Confutatio, also die Antwortschrift der päpstlichen Seite auf das Augsburger Bekenntnis, diesem Artikel zustimmt, auch wenn sie dann das „rite“ so auslegt, dass nur ein in der Gemeinschaft mit dem Papst stehender Bischof diese Ordination vollziehen darf. Genau auf diesen Punkt geht dann auch Melanchthon in seiner Apologie, der Antwortschrift auf die Confutatio, ein.

Grundsätzlich ist aber erst einmal festzuhalten: Das Augsburger Bekenntnis möchte auch im 14. Artikel in der Frage des kirchlichen Amtes zunächst einmal einen kirchlichen Konsens formulieren. Es knüpft mit der Formulierung „rite vocatus“ ausdrücklich an die kirchliche Tradition an, die es bereits vorfand.

Die Lehre des Augsburger Bekenntnisses unterscheidet sich damit deutlich erkennbar von einem vulgärprotestantischen Verständnis des kirchlichen Amtes, wonach es sich hierbei um eine reine „Ordnungsfrage“ handelt und eigentlich im Prinzip auch jedes Gemeindeglied predigen und die Sakramente verwalten darf. Verwiesen wird dabei immer wieder auf die lutherische Lehre vom Priestertum aller Getauften, oft verkürzt auch als „allgemeines Priestertum“ wiedergegeben. Schaut man in das lutherische Bekenntnis, so stellt man fest, dass dort nirgendwo das Amt der Kirche mit der Lehre vom Priestertum aller Getauften begründet wird. Es handelt sich hierbei auch um zwei ganz unterschiedliche Themen: die Lehre vom Priestertum aller Getauften besagt, dass wir als getaufte Christen den freien Zugang zu Gott haben, uns mit unseren Gebeten direkt an Gott wenden können und den Auftrag haben, auch anderen Menschen die Botschaft von diesem freien Zugang zu Gott zu vermitteln (vgl. Römer 5,2; 1. Petrus 2,9). Als getaufte Priester haben wir den Auftrag, als Christen unsere Verantwortung an den Orten wahrzunehmen, an die wir von Gott gestellt sind. Dazu zählt natürlich auch die christliche Gemeinde. Zu diesem Auftrag kann im Notfall auch zählen, sich dagegen zur Wehr zu setzen, wenn Pfarrer etwas predigen, was nicht der Heiligen Schrift entspricht.

In der Reformationszeit verwiesen Martin Luther und andere auf das Priestertum aller Getauften, wenn sie die Degeneration des kirchlichen Amtes zu einem „Messopferpriestertum“ beklagten: Pfarrer predigten nicht mehr das Evangelium und teilten auch kaum das Altarsakrament aus, sondern brachten nur noch den Leib und das Blut Christi in Messen ohne Gemeindebeteiligung dar – oft genug auch nur für bereits Verstorbene. Dagegen betont Luther: Eine solche Vermittlung zwischen Mensch und Gott brauchen wir nicht; sie wird auch dem Auftrag des kirchlichen Amtes nicht gerecht. Es ist Aufgabe aller getauften Priester, darauf zu achten, dass sie von denen, die ordiniert sind, auch tatsächlich die Gnadenmittel so gereicht bekommen, wie Christus dies befohlen hat.

In den lutherischen Bekenntnisschriften wird das kirchliche Amt dagegen auf „den gemeinen Beruf der Apostel“ (Tractatus 10), also auf die Berufung der Apostel durch Christus, zurückgeführt, konkret auf seine Verheißung an die Apostel: „Wer euch hört, der hört mich.“ (Lukas 10,16 – so im 28. Artikel des Augsburger Bekenntnisses, §22 und in Apologie 7,28) Von daher ergibt sich dann auch der Sinn des „rite vocatus“: Es geht hier um den Ritus, den schon das Neue Testament in der Beschreibung der Weitergabe des apostolischen Amtes benennt: die Auflegung der Hände bei der Heiligen Ordination (vgl. 1. Timotheus 4,14; 2. Timotheus 1,6).

Es muss mit Nachdruck darauf verwiesen werden, dass der 14. Artikel des Augsburger Bekenntnisses nicht praktische Ordnungsfragen, sondern eine Lehrfrage behandelt. Eine Kirche, die es mit dem lutherischen Bekenntnis ernst meint, kann darüber nicht einfach hinwegspringen oder diesen Artikel uminterpretieren, um eine davon abweichende Praxis zu rechtfertigen. Die Verwaltung des heiligen Abendmahls durch Vikare oder Kirchenvorsteher oder andere Gemeindeglieder, wie dies im Protestantismus heute oftmals geübt wird, ist mit dem lutherischen Bekenntnis nicht zu vereinbaren – auch nicht, wenn die betreffende Person telefonisch oder schriftlich mit diesem Dienst „beauftragt“ und damit doch angeblich „berufen“ worden ist oder sie „unter Aufsicht“ oder „in Verantwortung“ eines Ordinierten diesen Dienst versehen. Auch in unserer lutherischen Kirche werden wir immer wieder zu prüfen haben, inwieweit unsere Praxis, auch Nichtordinierte, zum Beispiel Vikare, öffentlich predigen zu lassen, mit diesem Artikel des Augsburger Bekenntnisses zu vereinbaren ist.

Die Ordination wird vollzogen durch solche, die in der Kirche den Auftrag zum Ordinieren haben. Die lutherischen Bekenntnisse betonen immer wieder, dass es ihr Wunsch ist, dass die Ordinationen nach Möglichkeit durch Bischöfe vollzogen werden. Nur wenn sich kein rechtgläubiger Bischof findet, der zur Ordination derer bereit ist, die sich dem Augsburger Bekenntnis verpflichtet wissen, ist in der Not auch die Ordination durch andere ordinierte Amtsträger möglich. Dabei muss man wissen, dass es im 16. Jahrhundert eine weit verbreitete Lehrmeinung in der römisch-katholischen Kirche war, dass in der Ordination auch dem Priester schon die Vollmachten des Bischofsamtes zuteil werden – dass diese aber bei ihm gleichsam „gebunden“ bleiben, solange ihm nicht das bischöfliche Amt übertragen wird. Wenn die lutherische Kirche in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts anfing, selber Pfarrer durch Pfarrer ordinieren zu lassen, wollte sie also nicht mit der kirchlichen Tradition brechen, sondern sah sich auch mit dieser Praxis in der Kontinuität der Kirche. Auch die lutherische Kirche geht davon aus, dass das Amt von der Zeit der Apostel von einer Generation zur nächsten weitergegeben worden ist und nicht einfach im Verlauf der Kirchengeschichte gleichsam „durch Selbstentzündung“ entstanden ist. Wichtig bleibt der lutherischen Kirche jedoch, dass auch eine solche „apostolische Sukzession“, also die Aufeinanderfolge von Weitergaben des apostolische Amtes durch die Jahrhunderte bis heute, gar nichts nützt, wenn mit ihr nicht eine Weitergabe der biblischen Lehre verbunden ist. Beides muss miteinander Hand in Hand gehen – und die Wirksamkeit der Sakramente hängt auch nicht daran, dass derjenige, der das Sakrament verwaltet, gleichsam einen „klerikalen Stammbaum“ bis zur Zeit der Apostel nachweisen kann. Wohl aber soll die Gemeinde gewiss sein dürfen: Der uns jetzt die Gnadenmittel reicht, ist dazu von Christus beauftragt und handelt in seinem Namen und in seiner Vollmacht. Eben darin will Christus die Amtsträger wie auch die Gemeinde durch die Ordination gewiss machen.