2. - Artikel 1: Von Gott
Zuerst wird gemäß dem Beschluss des Konzils von Nicäa einmütig gelehrt und festgehalten, dass ein einziges göttliches Wesen sei, das Gott genannt wird und wahrhaftig Gott ist und doch drei Personen in diesem einen göttlichen Wesen sind, jede gleich mächtig, gleich ewig: Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist. Alle drei sind ein göttliches Wesen, ewig, unteilbar, unbegrenzt, von unermesslicher Macht, Weisheit und Güte, ein Schöpfer und Erhalter aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Unter dem Wort ‚Person’ wird nicht ein Teil oder eine Eigenschaft von etwas anderem verstanden, sondern etwas, das in sich eigenständig ist, so wie die Kirchenväter diesen Begriff in dieser Sache gebraucht haben.
Deshalb werden alle Ketzereien verworfen, die diesem Artikel widersprechen, wie die Manichäer, die zwei Götter annehmen: einen bösen und einen guten; ebenso die Valentinianer, Arianer, Eunomianer, Muslime und alle, die ähnlich denken. Verworfen werden auch die Samosatener, die alten und die neuen, die nur eine Person annehmen und über die beiden anderen, nämlich ‚das Wort’ und den Heiligen Geist, die spitzfindige Ansicht vertreten, es seien nicht ‚unterschiedliche Personen’, sondern ‚das Wort’ bedeute so viel wie gesprochenes Wort oder Stimme, und der Heilige Geist sei eine erschaffene Regung in den Geschöpfen.
An dem ersten Artikel lässt sich einiges Grundsätzliche zu den Lehrartikeln des Augsburger Bekenntnisses aufzeigen: Immer wieder heißt es in diesen Artikeln zu Beginn: „Es wird gelehrt“. Im weiteren Verlauf des Augsburger Bekenntnisses wird deutlich, dass mit „Lehre“ jeweils die Predigt im Gottesdienst gemeint ist. „Lehre“ meint also dem lutherischen Bekenntnis zufolge nicht eine von Theologen konstruierte „Theorie“, auch nicht eine umzusetzende Vorschrift, sondern beschreibt den Inhalt der gottesdienstlichen Verkündigung. Wenn eine Kirche irgendwo in ihrer Grundordnung bestimmte Bekenntnisse erwähnt, wenn aber die für die Verkündigung Verantwortlichen im Gottesdienst etwas ganz anderes predigen, als was die Bekenntnisse beschreiben, dann ist Letzteres die eigentliche „Lehre“ der Kirche. Die Bekenner von Augsburg vermeiden alles, was den Eindruck erwecken könnte, als hätten sie eine neue Kirche gegründet und eine neue Lehre geschaffen: Sie beschreiben nur, was de facto in den Kirchen und Gemeinden verkündigt wird, die dies Augsburger Bekenntnis als Zusammenfassung ihrer Lehre verstehen: „Es wird gelehrt“ – und zwar, wohlgemerkt, „einmütig“. Dies kennzeichnet eine Bekenntniskirche, dass in ihr nicht jeder Pastor wieder etwas Anderes verkündigt, sondern dass in den Grundinhalten der Predigt Einmütigkeit herrscht. Wo eine Kirche nicht mehr davon sprechen kann, dass sie in den Grundfragen des Glaubens einmütig reden kann, ist sie in Wahrheit gar nicht mehr eine Kirche.
Die Bekenner von Augsburg fangen ganz bewusst mit dem Glauben an Gott an. Das hatte natürlich auch politische Gründe: Das Nizänische Glaubensbekenntnis war damals auch reichsrechtlich verankert; wer dieses Bekenntnis leugnete, schloss sich nicht nur aus der Kirche aus, sondern lief auch Gefahr, für diese Leugnung hingerichtet zu werden. Da den Anhängern Luthers mithilfe von völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Lutherzitaten unterstellt wurde, sie würden das Bekenntnis zu dem dreieinigen Gott in Frage stellen, war es wichtig, gleich zu Beginn in aller Deutlichkeit und Feierlichkeit klarzustellen, dass die Aussagen des Konzils von Nicäa auch für die Bekenner von Augsburg verbindlich sind und von ihnen ohne Einschränkung geteilt werden. Doch war dies nicht nur ein politischer Schachzug, mit dieser Erklärung zu beginnen. Es gab dafür natürlich auch inhaltliche Gründe. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass das Nizänische Glaubensbekenntnis selbstverständlich auch in den Gottesdiensten derer, die das Augsburger Bekenntnis unterschrieben, seinen festen Platz nach der Verlesung des Heiligen Evangeliums hatte. Der Artikel beschreibt also, was tatsächlich auch im gottesdienstlichen Vollzug praktiziert wurde. Weiterhin verfolgt der erste Artikel mit seinem Bezug auf das Konzil von Nicäa natürlich auch die Absicht, herauszustellen, dass es ganz wichtige Grundaussagen des christlichen Glaubens gibt, in denen sich die verschiedenen „Parteien“ innerhalb der einen Kirche ganz einig sind. Dies gilt bis heute: Das Nizänische Glaubensbekenntnis ist auch heute noch das Glaubensbekenntnis, das Christen verschiedener Kirchen miteinander verbindet. Während das Apostolische Glaubensbekenntnis den Ostkirchen unbekannt ist, bekennen wir das Nizänische Glaubensbekenntnis in der Tat „mit der ganzen Christenheit“. Es hat von daher auch ökumenische Bedeutung, wenn wir das Nizänische Glaubensbekenntnis – abgesehen von der Fastenzeit – in jedem Hauptgottesdienst an Sonn- und Feiertagen beten.
Über die Entstehung des Nizänischen Glaubensbekenntnisses kursieren immer wieder alle möglichen Behauptungen, die auch durch beständige Wiederholung nicht richtiger werden: Behauptet wird, im Konzil von Nicäa hätten sich die Konzilsväter im Jahr 325 die Lehre von der Dreieinigkeit und von der Gottheit Christi gleichsam erst ausgedacht, die in den ersten Jahrhunderten der Kirche noch völlig unbekannt gewesen seien. Und es wird behauptet, mit der Begrifflichkeit, die auf dem Konzil von Nicäa gebraucht wurde, habe man die schlichte biblische Botschaft mit griechischer Philosophie überfremdet. Beides ist in Wirklichkeit absoluter Humbug: Schon im Neuen Testament wird unverkennbar „trinitarisch“ geredet, angefangen schon mit dem Taufbefehl Christi, wonach die Jünger Jesu „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ taufen sollen (St. Matthäus 28,19). Der, der diesen Befehl gegeben hat, behauptet zugleich: „Ich und der Vater sind eins.“ (St. Johannes 10,30) Doch derselbe Christus, der dies sagt, wendet sich zugleich an seinen Vater im Gebet, nimmt ihn also als Gegenüber wahr – und lässt es dann zugleich wieder zu, dass Thomas vor ihm niederfällt und ihn, Christus, anbetet: „Mein Herr und mein Gott.“ (St. Johannes 20,28). Und Johannes selber formuliert es in seinem „Prolog“ sehr deutlich: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. ... Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. ... Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt.“ (St. Johannes 1,1.14.18) Alles Bekennen der christlichen Kirche muss sich also auf das Zeugnis dessen zurückbeziehen, der Gott als einziger gesehen hat und als einziger zuverlässig von ihm Kunde geben kann – eben Christus.
Und genau so sind auch die Väter auf dem Konzil von Nizäa verfahren: Sie haben versucht, als Bekenntnis zu formulieren, was ihnen als Zeugnis der Heiligen Schrift vorgegeben war: Unbestritten war: Wir glauben nur an einen Gott, nicht an mehrere Götter. Christen sind keine „Tritheisten“, die an drei Götter glauben, wie es ihnen im Koran immer wieder unterstellt wird. Wenn dieser eine Gott als „göttliches Wesen“ umschrieben wird, dann wird darin im Griechischen die Selbstbezeichnung Gottes in 2. Mose 3,14 aufgenommen: „Ich bin, der ich bin“, bzw. „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Der philosophische Begriff „Wesen“ wird also biblisch gefüllt – er „überfremdet“ also nicht die biblische Sprache, ganz im Gegenteil. Zugleich musste man aber auch zum Ausdruck bringen, dass sich dieser eine Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist zu erkennen gegeben hat und dass diese drei nicht bloß „Erscheinungsformen“ des einen Gottes sind, sondern je für sich in dem einen Wesen den beiden anderen jeweils gegenüberstehen: Der Sohn verkündigt den Vater und spricht mit ihm; der Heilige Geist wird vom Sohn gesandt und geht vom Vater aus; er bezeugt zugleich Jesus Christus als den Sohn des Vaters. Dafür gebrauchten die Konzilsväter den Begriff „Person“, der ursprünglich etwas völlig Anderes meinte und auch nicht etwa mit dem heutigen Verständnis von „Persönlichkeit“ verwechselt werden darf: Gott gibt sich zu erkennen als ein Gott, der sich dem Menschen zuwendet. Nur weil er der dreieine Gott ist, können wir wissen, wer er ist, und können ihn lieben: Ohne den Sohn Jesus Christus hätten wir keine Ahnung vom Vater; ohne den Heiligen Geist können wir Jesus Christus nicht unseren Herrn und Gott nennen und an ihn glauben. Ganz entscheidend in diesem Zusammenhang ist die Formulierung im ersten Artikel des Augsburger Bekenntnisses, „dass ein einziges göttliches Wesen sei, das Gott genannt wird und wahrhaftig Gott ist.“ Das heißt: Gott ist nicht bloß eine Idee; wir übertragen nicht unsere Vorstellungen und Sehnsüchte auf ein Jenseits und konstruieren uns selber ein Wesen, das Gott genannt wird, sondern dieses Wesen ist wahrhaftig Gott, geht also all unseren Benennungen schon ewig voraus. Gott ist nicht erst seit 325 ein dreieiniger Gott, sondern er war es schon in alle Ewigkeit.
Und genau darin besteht nun auch das besondere Anliegen dieses ersten Artikels des Augsburger Bekenntnisses: Er macht deutlich, dass der Glaube an den lebendigen dreieinigen Gott tatsächlich die Grundlage für alles Weitere ist, was in den folgenden Artikeln ausgeführt wird. Wenn dieser dreieinige Gott nicht durch unser Denken geschaffen wird, sondern umgekehrt selber der Schöpfer und Erhalter ist, dann ist er ein handelnder Gott, und dann stellt sich von selbst die Frage, in was für einem Verhältnis wir, seine Geschöpfe, eigentlich zu ihm, dem Schöpfer, stehen.
Zum Bekenntnis gehört als Kehrseite immer auch die Verwerfung: Wenn ich zu etwas Ja sage, sage ich damit zugleich auch Nein zu dem, was diesem Ja widerspricht. „Verworfen“ werden hier diejenigen, die diesem Bekenntnis zum dreieinigen Gott widersprechen, das heißt: Es wird festgestellt, dass sie sich mit ihrer Lehre aus der kirchlichen Gemeinschaft, aus der Sakramentsgemeinschaft am Altar ausgeschlossen haben. Es würde im Rahmen dieser Glaubensinformationen zu weit führen, wenn nun die kirchengeschichtlichen Hintergründe der verschiedenen hier genannten Irrlehren breiter erläutert werden sollten. Grundsätzlich werden all diejenigen verworfen, die die biblische Spannung zwischen dem Bekenntnis zu dem einen Gott und dem Bekenntnis der Pluralität innerhalb des einen göttlichen Wesens aufzulösen versuchen, indem sie entweder mehr als einen Gott bekennen oder die Personen der Trinität zu verschiedenen „Erscheinungsweisen“ des einen Gott verdünnen oder die wahre Gottheit Christi und/oder des Heiligen Geistes leugnen. Interessant ist, dass in diesem Zusammenhang der Islam als christliche bzw. nachchristliche Sekte behandelt und aufgeführt wird. Dies ist kirchen- und geistesgeschichtlich durchaus nicht falsch: Der Islam lässt sich letztlich nur im Gegenüber und in Abgrenzung zum christlichen Glauben mit seinem Bekenntnis zum dreieinigen Gott als Versuch einer „Überbietung“ des christlichen Glaubens verstehen: Die Gottheit Christi wird geleugnet; darin steht der Islam Seit an Seit mit den Arianern, gegen die sich das Nizänische Glaubensbekenntnis richtet. Und verworfen wird hier in Artikel 1 schließlich auch die Verwechslung des Heiligen Geistes durch alle möglichen Formen von Emotionen, Begeisterungen und Stimmungen. Auch diese Verwerfung ist hochaktuell, wenn man bedenkt, in welcher Weise der Heilige Geist und sein Wirken in manchen Teilen der Christenheit heutzutage beschrieben und verkündigt wird.
Das Kommen des Sohnes Gottes in diese Welt geschieht „um uns Menschen und um unserer Seligkeit willen“, so heißt es im Nizänischen Glaubensbekenntnis. Auch wenn dies im ersten Artikel des Augsburger Bekenntnisses nicht ausdrücklich zitiert wird, machen die folgenden Artikel doch deutlich, worin der tiefste Sinn dieses Beginns der Artikel mit dem Glauben an Gott besteht: Es geht um unser Heil, um unsere Seligkeit. Diese wird uns dadurch zuteil, dass sich Gott als der dreieinige Gott zu erkennen gibt und als solcher handelt. Und unser Heil besteht schließlich im tiefsten auch darin, dass wir teilhaben werden an der innigsten Gemeinschaft des dreieinigen Gottes: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein.“ (St. Johannes 17,21) Von diesem Gott spricht hier Artikel 1.