4. Die Liturgischen Gewänder

Diejenigen, die im Gottesdienst im Altarbereich besondere Aufgaben wahrnehmen, tragen dazu liturgische Gewänder. Diese Gewänder sollen zum Ausdruck bringen, dass ihre Träger dort nun nicht als Privatpersonen tätig sind, sondern ein Amt wahrnehmen. Dass besondere Kleidung und auch Gewänder diese Funktion haben, ist uns auch ansonsten aus unserem Alltag bekannt: So tragen etwa bei Gerichtsverhandlungen schwarze Gewänder als Amtskleidung; damit lassen sie erkennbar werden, dass sie ihre Urteile ebenfalls nicht als Privatpersonen, sondern im Namen des Volkes fällen.

Die liturgische Gewandung zählt nach der Lehre unserer lutherischen Kirche zu den sogenannten „Adiaphora“, also den „Mitteldingen“, die von Gottes Wort weder geboten noch verboten sind. Hier haben wir als Kirche einerseits eine große Freiheit, was den Gebrauch dieser „Mitteldinge“ angeht; andererseits gibt es für diesen Gebrauch durchaus auch gewisse Kriterien. Dass etwas ein „Adiaphoron“ ist, heißt eben gerade nicht, dass man es deswegen abschaffen sollte, weil es ja nur überflüssiges Brimborium ist.

Auch wenn bestimmte Dinge, wie etwa die liturgischen Gewänder, Adiaphora sind, wird durch ihren Gebrauch doch eine bestimmte Botschaft vermittelt. So haben die einzelnen liturgischen Gewänder, die auch in unserer SELK in Gebrauch sind, jeweils eine bestimmte Geschichte, in die man sich hineinstellt, wenn man die jeweiligen Gewänder benutzt. Dies gilt beispielsweise auch für den schwarzen Talar mit dem Beffchen, der über längere Zeit auch in vielen Gemeinden unserer SELK in Gebrauch war. Eingeführt wurde er vom preußischen König Friedrich Wilhelm III., demselben König, der die Zwangsunion von lutherischer und reformierter Kirche in Preußen durchsetzte, per Kabinettsorder im Jahr 1811: Richter, Pastoren und jüdische Rabbiner sollten diesen Talar in ihrer Eigenschaft als Staatsbeamte als eine Art von „Arbeitsuniform“ tragen. Der Talar selber als schwarzes, knöchellanges Gewand hat allerdings eine längere Geschichte: Er war im Mittelalter und in der Reformationszeit die Standeskleidung der Gelehrten, der Professoren und Doktoren und wurde auch „Schaube“ genannt. Diese Schaube war, wohlgemerkt, die Alltagskleidung der Gelehrten und wurde von daher auch von Martin Luther getragen – allerdings nicht am Altar. Dort im Gottesdienst trug Luther, wie in seiner Zeit üblich, die traditionellen Messgewänder oder ein weißes Chorhemd. Das Beffchen wiederum ist das Relikt eines weißen Umlegekragens, mit der Funktion, den weißen Puder aus den gepuderten Amtsperücken aufzufangen. Erst in neuerer Zeit wurde dem Beffchen dann eine tiefere Symbolik zugesprochen, wonach ein geöffnetes, gespreiztes Beffchen einen lutherischen Pastor und ein geschlossenes Beffchen einen reformierten Pastor kennzeichne. Weil die Kabinettsorder von Friedrich Wilhelm III. noch aus der Zeit vor der Einführung der preußischen Union liegt, übernahmen auch die lutherischen Pastoren diese Gewandung; sie wurde die übliche Kleidung auch in den Vorgängerkirchen unserer SELK und wurde von Missionaren auch in andere Länder, zum Beispiel in die USA und nach Südafrika, exportiert.

Auch die anderen liturgischen Gewänder, die in der lutherischen Kirche gebräuchlich sind, haben natürlich ihre Geschichte. Diese Geschichte reicht sehr viel länger zurück als die Geschichte des preußischen Talars. So bringt das Tragen dieser traditionellen Gewänder das Selbstverständnis unserer lutherischen Kirche zum Ausdruck, in der Geschichte und Einheit der Kirche aller Zeiten zu stehen und damit im besten Sinne des Wortes „katholisch“ zu sein.

Das liturgische Grundgewand ist die Albe. Der Name kommt vom lateinischen „albus“, was „weiß“ bedeutet. Die Albe ist aus der Tunika aus römischer Zeit entstanden; sie ist weiß und knöchellang und erinnert an das Taufkleid und die weißen Gewänder der Boten Gottes im Neuen Testament und der Vollendeten im Himmel in der Johannesoffenbarung. Weiß ist zudem schon vom Neuen Testament her in der Geschichte der Kirche immer wieder die Christusfarbe gewesen. Dieses weiße Grundgewand kann nicht nur vom Liturgen, sondern auch von anderen Helfern im Gottesdienst getragen werden.

Die Albe kann mit einem Band oder Gürtel, dem „Zingulum“, zusammengehalten werden, wie es in unserer Gemeinde auch die Vikare, die aus den USA stammten, getragen haben. Auch dieses Zingulum stammt bereits aus der Antike und hat einen ganz praktischen Hintergrund: In der Antike wurde das Untergewand mit solch einem Band hochgeschürzt, um besser gehen und arbeiten zu können. So symbolisiert das Zingulum die Bereitschaft, loszugehen, um sich ganz für die Arbeit im Reich Gottes einzusetzen. Ist die Albe in Form einer Mantelalbe geschnitten, wie sie von mir in den Gottesdiensten in Steglitz oder bei Hausabendmahlsfeiern getragen wird, dann entfällt dieses Zingulum.

Die Stola, ein schalartiges, beiderseits knielanges Gewandstück, ist ein Zeichen des ordinierten Amtsträgers. Sie wird bei der Ordination dem Ordinanden umgelegt und soll das Joch Christi (St. Matthäus 11,29) symbolisieren: Der Ordinierte ist ganz und gar Diener seines Herrn und erfüllt in seinem Amt Seinen Willen. Die Stola ist jeweils in der liturgischen Farbe des jeweiligen Sonn- und Feiertags gehalten. Sie wird über der Albe, aber unter dem Messgewand, der Kasel getragen. Lediglich Bischöfe tragen die Stola über dem Messgewand. In neuerer Zeit gibt es allerdings auch die Form der schlichten weißen Kasel, über der jeweils die Stola in der entsprechenden liturgischen Farbe getragen wird.

Das Messgewand, auch Kasel (vom lateinischen „casula“, Zelt, abgeleitet, wegen ihrer zeltförmigen Form) genannt, ist ein ärmelloser Überwurf mit Kopfausschnitt, zumeist in der liturgischen Farbe des Tages oder Festes, und wird über der Albe getragen. Das Messgewand ist eine Weiterentwicklung der klassischen römischen Paenula, einem römischen Überziehmantel, der in seiner Form einem heutigen Poncho entspricht. Heute hat das Messgewand wieder zumeist die klassische „Glockenform“, während es seit dem Mittelalter oft zur sogenannten „Bassgeigenform“ verkürzt war. Das Messgewand soll das ungenähte Gewand Christi (St. Johannes 19,23) symbolisieren und zum Ausdruck bringen, dass die Person, die es trägt, an Christi Statt steht und das Sakrament verwaltet. Das Messgewand wird von daher nur bei Sakramentsgottesdiensten getragen, und zwar von demjenigen, der die Sakramentsfeier leitet.

Das Chorhemd ist ein hüft- oder knielanges weißes, oft mit Falten versehenes Obergewand, das von der Albe abstammt und über dem Talar getragen wird. Es wird bei Gottesdiensten ohne Sakramentsfeier, etwa bei Beichtgottesdiensten, Beerdigungen oder auch bei Stundengebeten wie Matutin oder Vesper getragen. Es ist auch die verbreitetste Kleidung der Ministranten, auch in unserer Gemeinde.

In der Reformationszeit wurden die traditionellen liturgischen Gewänder in der lutherischen Kirche zunächst zumeist beibehalten, während sie in der reformierten Kirche und von schwärmerischen Gruppen schnell abgeschafft wurden. Bekannt ist Luthers Ausspruch in einer seiner Tischreden: „Bei den Schwärmern sind das die besten Prediger, die diese vier Stücke wohl können: Eins, keinen Chorrock anziehen, das andere, keine Kasel; das dritte, nichts von der Beichte halten; und zum vierten, dass im Sakrament des Altars sei nichts denn Brot und Wein.“ Luther bringt damit zum Ausdruck, dass auch die Abschaffung von liturgischen Gewändern ein Signal für eine veränderte Lehre und gottesdienstliche Praxis sein kann. In der Tat verschwanden die bunten gottesdienstlichen Gewänder in der lutherischen Kirche in Deutschland dann spätestens im Zeitalter des Rationalismus und der Aufklärung, als das Verständnis für den eigentlichen Sinn des Gottesdienstes und für das Sakrament völlig verlorenging. Umgekehrt ging die Wiederentdeckung des Sakraments und der Liturgie in der lutherischen Kirche immer wieder auch mit der Wiederentdeckung der traditionellen liturgischen Gewänder der Kirche einher, die im Übrigen in lutherischen Kirchen außerhalb Deutschlands überall auf der Welt zumeist ganz selbstverständlich getragen werden.

Auch in unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche hat es in der Frage der Gewänder in den letzten 50 Jahren eine deutliche Entwicklung gegeben: War vor 50 Jahren noch der schwarze Talar mit Beffchen in den meisten Gemeinden verbreitet, und waren Gemeinden wie Zehlendorf, in denen das Chorhemd getragen wurde, damals noch eine absolute Ausnahme, so hat sich das Tragen der Stola durch den Pfarrer mittlerweile in den meisten Gemeinden der SELK durchgesetzt. Vermutlich in deutlich mehr als der Hälfte der Gemeinden der SELK sind in der Zwischenzeit auch weiße Gewänder bekannt. Und hier in Berlin ist mittlerweile schon in der Mehrzahl der Gemeinden das Messgewand als liturgische Kleidung des Pfarrers üblich geworden.

Gewiss lohnt es sich nicht, um die liturgische Gewandung des Pfarrers Kämpfe zu führen. Dass er das Evangelium richtig predigt und die Sakramente nach der Einsetzung Christi verwaltet, ist allemal wichtiger als die Frage, welche Gewandung er trägt. Doch kann eben auch die Gewandung eine Botschaft übermitteln, die das gottesdienstliche Geschehen noch einmal unterstreichen kann. Dass der Gottesdienst auch den Leib des Menschen, auch seine Augen, anspricht, weil Leib und Seele zusammengehören, ist eine alte Einsicht, die wir auch in unserer lutherischen Kirche wiederentdeckt haben. Wie schön, wenn darum einer Gemeinde auch die liturgische Gewandung als eine Hilfe zur fröhlichen Mitfeier des Gottesdienstes dient!