Neues Testament Teil III: Die "kleineren" Paulusbriefe.

Neues Testament Teil III: Die "kleineren" Paulusbriefe.

 

1. Der Galaterbrief
In seinem Galaterbrief richtet sich der Apostel Paulus an christliche Gemeinden in der Landschaft Galatien in der heutigen Zentraltürkei, die damals von Kelten (daher das Wort „Galater“) besiedelt war. Paulus hatte dort, wie aus Apg 16,6 hervorgeht, auf seiner zweiten Missionsreise gewirkt. Anlass seines Briefes sind Nachrichten, die Paulus wohl in Ephesus oder während der Fortsetzung seiner dritten Missionsreise durch Mazedonien nach Korinth etwa im Jahr 55/56 aus Galatien erhalten hatte: Dort waren judenchristliche Prediger in die Gemeinden eingedrungen und hatten behauptet, dass auch alle Christen, die aus dem Heidentum stammten, sich dem jüdischen Gesetz unterstellen und sich entsprechend auch beschneiden lassen müssten. Mit dieser Predigt hatten sie bei den Galatern offenbar Erfolg gehabt, und so schreibt der Apostel den Galatern einen leidenschaftlichen Brief, um die Galater wieder zum unverfälschten Evangelium zurückzurufen: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch bescheiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.“ (Gal 5,1.2.4) Während Paulus die meisten seiner Briefe zunächst mit einer Danksagung für die Gemeinde, an die er schreibt, beginnt, kommt er im Galaterbrief gleich zur Sache: „Mich wundert, dass ihr euch so bald abwenden lasst von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi, zu einem andern Evangelium.“ (Gal 1,6) In den ersten beiden Kapiteln beschreibt Paulus dann zunächst seinen Werdegang vom Christenverfolger zum Apostel Jesu Christi; diese Kapitel enthalten zahlreiche interessante historische Informationen aus dem Leben des Apostels. Mit diesem Rückblick will Paulus sowohl seinen Anspruch legitimieren, als Apostel in der Vollmacht Christi zu reden, als auch beschreiben, wie ihn die Erscheinung des auferstandenen Christus hat erkennen lassen, dass durch das Einhalten der Vorschriften des Gesetzes eben gerade kein Mensch gerettet werden kann. Dies ist allein durch den Glauben an Christus möglich, von dem Paulus sagt: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20) Diese These, dass wir durch den Glauben an Christus von den Ansprüchen des Gesetzes befreit sind und Glaube und Gesetz sich gegenüberstehen wie Freiheit und Knechtschaft, entfaltet Paulus dann in den folgenden beiden Kapiteln. In den beiden letzten Kapiteln spricht Paulus dann vom Leben des Christen: Der Glaube wirkt sich aus in der Liebe; zugleich bleibt das Leben des Christen aber auch gekennzeichnet vom Kampf zwischen „Fleisch“ und „Geist“. Dabei ist mit dem „Fleisch“ nicht etwa die Leiblichkeit des Menschen gemeint, wie dies oft missverstanden wird, sondern „der Mensch als Unerlöster“ – mit Leib und Seele! Dagegen beschreibt „Geist“ die neue Lebenswirklichkeit, die dem Christen in der Taufe geschenkt wird. Diese soll und wird sich dann auch im Handeln des Christen auswirken.


2. Der Epheserbrief
Der Epheserbrief ist ein Rundschreiben, das Paulus gegen Ende seines Lebens im Gefängnis – vermutlich in Rom, vielleicht auch in Cäsarea – verfasst hat. Wahrscheinlich war er an mehrere Gemeinden in Kleinasien, an der heutigen türkischen Westküste, gerichtet; eine davon war wohl die in Ephesus. Im Unterschied zu anderen Briefen geht Paulus im Epheserbrief nicht auf konkrete Probleme in einer einzelnen Gemeinde ein, sondern führt ganz grundlegend in die christliche Lehre und in das Leben des Christen ein. Von der Lehre handeln die Kapitel 1-3, vom Leben des Christen die Kapitel 4-6. Ein besonderes Thema des Epheserbriefs ist die Kirche als der Leib Christi: Christus ist der Herr über die ganze Welt und zugleich das Haupt der Kirche, die darum geradezu eine kosmische Dimension annimmt. Der ganze Brief ist gekennzeichnet vom lobpreisenden Staunen über das Wunder der Kirche: In ihr hat Gott Menschen, die „tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht“ (Eph 2,5). Diese Rettung des Menschen geschieht ohne sein Zutun: „Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.“ (Eph 2,8+9) Zugleich staunt Paulus darüber, wie Gott in der Kirche Heiden und Juden zu einer Einheit zusammengeschlossen hat durch Christus: „Denn Er ist unser Friede“ (Eph 2,14). Deutlich blickt Paulus bereits auf die Anfangszeit der Kirche zurück: Die Kirche ist „erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten“ (Eph 2,20). In ihrer Nachfolge hat Christus nun „Hirten und Lehrer“ eingesetzt, „damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes“ (Eph 4,11+12). Im zweiten Teil seines Briefes mahnt Paulus die Christen zunächst, die „Einigkeit im Geist“ zu wahren und erinnert daran, worin die Einheit der Kirche begründet ist: „ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ (Eph 4,5). Im Folgenden beschreibt er dann sehr konkret, was es für einen Christen heißt, aus der Taufe zu leben, den „alten Menschen“ abzulegen und den „neuen Menschen“ anzuziehen. Christen unterscheiden sich in ihrem Reden und Handeln deutlich erkennbar von Nichtchristen. Das Leben aus der Taufe prägt auch das Zusammenleben in Haus und Familie: In Eph 5 finden sich die schönsten Ausführungen des Neuen Testaments über die christliche Ehe, in der sich das Liebesverhältnis von Christus und seiner Kirche abbildet. Der Brief endet mit einer Mahnung des Apostels, im Kampf gegen alle bösen Mächte die „Waffenrüstung Gottes“ anzuziehen und so in diesem Kampf zu bestehen.


3. Der Philipperbrief
Die römische Militärkolonie Philippi in Mazedonien war die erste Stadt auf europäischem Boden, in der Paulus gepredigt und damit eine Gemeinde gegründet hatte. Zu dieser Gemeinde pflegte Paulus auch in der Folgezeit ein besonders herzliches Verhältnis: „Denn ihr Philipper wisst, dass am Anfang meiner Predigt des Evangeliums, als ich auszog aus Mazedonien, keine Gemeinde mit mir Gemeinschaft gehabt hat im Geben und Nehmen als ihr allein.“ (Phil 4,15) So ist der Ton dieses Briefes weitgehend geprägt durch besondere Herzlichkeit, auch wenn in der Mitte des Briefes mit einem Mal scharfe Töne gegen Irrlehrer laut werden, die in die Gemeinde einzudringen drohten und wohl ähnlich wie in den galatischen Gemeinden die Gemeindeglieder, die weitgehend aus dem Heidentum stammten, dazu drängten, sich beschneiden zu lassen und sich damit zur Erfüllung des jüdischen Gesetzes zu verpflichten: „Nehmt euch in Acht vor den Hunden, nehmt euch in Acht vor den böswilligen Arbeitern, nehmt euch in Acht vor der Zerschneidung!“ (Phil 3,2) Möglicherweise hatte Paulus gerade während der Abfassung seines Briefes, die sich ja aus technischen Gründen über längere Zeit hinzog, von den Aktivitäten dieser Irrlehrer erfahren. Paulus hat den Brief im Gefängnis geschrieben, wie aus Phil 1,12ff hervorgeht; er weiß nicht, ob er noch einmal frei kommt oder bald schon sterben muss, wobei er selber sich Letzteres durchaus wünscht: „Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“ (Phil 1,21) Aus welchem Gefängnis er geschrieben hat und wann er entsprechend den Brief geschrieben hat, ist nicht ganz klar; üblicherweise wird Rom als Abfassungsort genannt, doch sprechen manche Indizien für einen Gefängnisaufenthalt in Ephesus. Die Grundstimmung des Briefes ist die Freude über die Gemeinde und ihr geistliches Wachstum. Paulus ermahnt die Christen in Philippi dazu, einander in Demut höher zu achten als sich selbst und begründet dies mit dem Zitat eines der ältesten Kirchenlieder überhaupt, das den Weg Christi aus der göttlichen Herrlichkeit hinab bis zur tiefsten Erniedrigung, dem Tod am Kreuz, und seiner Erhöhung und Anbetung schildert (Phil 2,6-11). Besonders bekannt ist der Aufruf zur Freude in Phil 4,4: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!“ Dieser Aufruf endet mit dem uns bekannten „Kanzelsegen“: „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ (Phil 4,7)


4. Der Kolosserbrief
Der Kolosserbrief ist gerichtet an eine Gemeinde in der kleinen Stadt Kolossae, die etwa 100 km östlich von Ephesus in der Westtürkei gelegen war. Die Stadt liegt nicht weit entfernt von Laodizea und Hierapolis, dem heutigen Pammukale; am Schluss seines Briefes erwähnt Paulus einen Brief an die Gemeinde in Laodizea, den er geschrieben hat, der uns aber nicht erhalten geblieben ist. Kol 4,16 ist das älteste Zeugnis im Neuen Testament dafür, dass die Briefe, die Paulus geschrieben hatte, ausgetauscht und auch in anderen Gemeinden gelesen wurden. Die Gemeinde in Kolossae war wohl nicht von Paulus selber, sondern von seinem Mitarbeiter Epaphras gegründet worden (vgl. Kol 1,7; 4,12). Zu ihr gehörten auch der Sklave Onesimus und damit wohl auch sein Herr Philemon, an den Paulus auch einen gesonderten Brief geschrieben hat. Paulus hat diesen Brief, wie aus Kol 4,18 hervorgeht, im Gefängnis geschrieben; vermutet wird eine Abfassung während eines Gefängnisaufenthaltes in Ephesus etwa im Jahr 54/55. Da sich der Stil des Kolosserbriefs in manchem von anderen Paulusbriefen unterscheidet, vermuten manche Ausleger, dass die Formulierungen des Briefes stärker von Timotheus stammen, der ebenfalls als Absender in Kol 1,1 genannt wird. Aufbau und Inhalt des Briefes ähneln in vielem dem Epheserbrief. Im Unterschied zu diesem geht Paulus im Kolosserbrief jedoch sehr viel direkter auf die konkrete Situation der Gemeinde ein: Auch dort waren wohl judenchristlich geprägte Irrlehrer aufgetreten, deren Frömmigkeit gekennzeichnet war durch Visionen, Askese und Engelverehrung und die die Gemeindeglieder in Kolossae mit allen möglichen gesetzlichen Auflagen beeindruckten. Dagegen betont Paulus: „So lasst euch nun von niemandem ein schlechtes Gewissen machen wegen Speise und Trank oder wegen eines bestimmten Feiertages, Neumondes oder Sabbats.“ (Kol 2,16) In Kol 1,15-20 zitiert Paulus, ähnlich wie in Phil 2, ein urchristliches Lied, das Christus als Schöpfer und Versöhner preist. Während Paulus in Kol 1 und 2 die christliche Lehre in Abgrenzung zu den Irrlehrern entfaltet, spricht er in den Kapiteln 3 und 4 vom Leben des Christen, ausgehend von der Taufe, in der der Christ mit Christus gestorben und auferstanden ist: Das Leben des Christen besteht darin, immer wieder den „alten Menschen“, der ohne Gott leben will, auszuziehen und den „neuen Menschen“, der in der Taufe geschaffen worden ist, anzuziehen.


5. Der 1. Thessalonicherbrief
Der 1. Thessalonicherbrief ist der älteste Brief des Apostels Paulus. Er ist gerichtet an die Gemeinde in Thessalonich, der Hauptstadt der Provinz Mazedonien. Von Philippi kommend hatte Paulus in Thessalonich nur für kurze Zeit wirken können, bevor seine Verkündigung in der Stadt solche Unruhen ausgelöst hatte, dass er Thessalonich schnell verlassen musste und über Beröa nach Athen weiter zog. Da Paulus in großer Unruhe war, was mit der Gemeinde in Thessalonich nach seiner überstürzten Abreise wohl geschehen war, sandte er von Athen aus Timotheus nach Thessalonich, der von dort mit guten Nachrichten zurückkehrte und von der Standhaftigkeit der Gemeinde berichten konnte. Daraufhin schreibt Paulus etwa im Jahr 50 diesen Brief an die Gemeinde, der in den ersten drei Kapiteln geprägt ist von der Erleichterung und dem Dank für die positive Entwicklung der Gemeinde. Paulus blickt noch einmal auf die Entstehung der Gemeinde zurück und bedauert zugleich, dass es ihm bisher nicht möglich war, noch einmal zurückzukehren, „um zu ergänzen, was an eurem Glauben noch fehlt.“ (1. Thess 3,10) Da er nur kurze Zeit in der Gemeinde war, konnte er mit den Neugetauften nicht alle Fragen des christlichen Glaubens durchsprechen. Paulus hatte sie mit besonderer Eindringlichkeit auf die Wiederkunft Christi verwiesen; dies wird auch in seinem Brief deutlich. Nun waren die Thessalonicher beunruhigt, was mit den Gemeindegliedern werden würde, die in der Zwischenzeit, vor der Wiederkunft des Herrn gestorben waren. Sie tröstet der Apostel im zweiten Teil seines Briefes und ermahnt sie zugleich, über dem Warten auf Christus nicht das Leben als Christ im Alltag zu übersehen. Der Brief schließt mit einem Segen, der uns als Abschluss des Beichtgottesdienstes bekannt ist: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.“ (1. Thess 5,23+24)


6. Der 2. Thessalonicherbrief
Auch in seinem 2. Brief an die Thessalonicher geht Paulus auf Verunsicherungen ein, die die Botschaft von der Wiederkunft Christi in der Gemeinde ausgelöst hatte: Einige in der Gemeinde hatten offenbar geglaubt, die Wiederkunft Christi gleichsam fast mit „Datumsangabe“ vorhersagen zu können; dies wiederum hatte Gemeindeglieder dazu veranlasst, ihren Beruf aufzugeben und nicht mehr zu arbeiten, weil sich dies vor der Wiederkunft Christi ja doch nicht mehr lohnen werde. Dagegen wendet sich der Apostel. Er kündigt an, dass vor der Wiederkunft Christi sich „der Mensch der Bosheit“, „der Widersacher“ erheben und vorgeben wird, er sei selber Gott (2. Thess 2,4). Christus wird also gerade dann kommen, wenn viele sich verführen lassen und mit seiner Wiederkunft gerade nicht rechnen. Auch ist es für den Apostel kein Zeichen besonderer Frömmigkeit, wegen der Erwartung der Wiederkunft Christi nicht länger seinem Beruf nachzugehen. Vielmehr sagt er deutlich: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.“ (2. Thess 3,10) So ermahnt und ermutigt Paulus in seinem zweiten Brief die Thessalonicher, die auch weiterhin unter Verfolgungen und Bedrängnissen zu leiden hatten, mit dem Verweis auf das Kommen des gerechten Gerichtes Gottes, auch wenn man dessen Zeitpunkt gerade nicht berechnen kann und soll.


7. Der 1. Timotheusbrief
Der 1. und 2. Timotheusbrief und der Titusbrief werden im kirchlichen Sprachgebrauch als „Pastoralbriefe“ bezeichnet. Sie sind im Unterschied zu den bisher vorgestellten Paulusbriefen nicht an eine Gemeinde, sondern an Einzelpersonen gerichtet. Am Ende seiner Wirksamkeit weist Paulus in diesen drei Briefen die Gemeindeleiter Timotheus und Titus an, wie sie ihr Amt in der Gemeinde im Weiteren versehen sollen.

Timotheus war einer der engsten Mitarbeiter des Paulus; ihm überließ Paulus bei seiner Abreise aus Ephesus die Leitung der dortigen Gemeinde(n) (1. Tim 1,3). Paulus erinnert ihn an seine Ordination, in dem ihm die Verkündigung der apostolischen Lehre anvertraut und der Heilige Geist zur Ausübung seines Amtes mitgeteilt worden ist (1. Tim 1,18; 4,14; vgl. 2. Tim 1,6). Aufgrund dieses Auftrags und dieser Vollmacht soll Timotheus nun seinen Dienst in der Kirche versehen: Er soll darauf Acht haben, dass Gemeindeleiter („Episkopen“, daraus hat sich unser Wort „Bischof“ entwickelt. Die Gemeindeleiter damals entsprechen aber eher unseren Pastoren, während der Auftrag des Timotheus selber eher dem eines „Bischofs“ entspricht) und Diakone nach bestimmten Kriterien in ihr Amt eingesetzt werden, wobei zugleich die Warnung gilt: „Die Hände lege niemandem zu bald auf!“ (1. Tim 5,22). Zugleich gibt Paulus Anweisungen für die Gestaltung des Gottesdienstes (1. Tim 2) und für den Umgang mit den verschiedenen Gruppen in der Gemeinde, wobei er sich besonders ausführlich dem Dienst der Witwen in der Gemeinde zuwendet (1. Tim 5). Die eigentliche Aufgabe des Timotheus und derer, die die Gemeinde leiten, sieht Paulus aber in der Lehre und damit zugleich auch im Kampf gegen die Irrlehre. Auch in den Gemeinden, für die Timotheus verantwortlich war, waren Prediger aufgetreten, die wohl eine Frühform der so genannten „Gnosis“ (auf Deutsch: Erkenntnis, vgl. 1. Tim 6,20) vertraten. Diese Religion, die sich oftmals mit einem christlichen Mäntelchen tarnte, vertrat die Auffassung, dass sich in jedem Menschen ein göttlicher Lichtfunken befindet, der gleichsam durch einen göttlichen Betriebsunfall in den widergöttlichen Bereich der Materie herabgestürzt sei. Nun würde Gott den Menschen Lehrer senden, die in den Menschen die Erkenntnis der Existenz dieses göttlichen Lichtfunkens in ihrem Inneren wecken sollten und sie dazu veranlassen sollten, sich von allem Leiblich-Materiellen abzuwenden und diesen Lichtfunken wieder in der geistigen Welt mit dem Göttlichen zu vereinigen. Als solch ein „Erkenntnis-Lehrer“ wurde in bestimmten gnostischen Strömungen auch Christus verehrt; besonderes Merkmal vieler dieser gnostischen Strömungen war eine asketische Grundhaltung, die der Abkehr von allem Materiellen dienen sollte. Paulus warnt Timotheus hier in seinem ersten Brief vor solchen „Fabeln“ (1. Tim 1,4) und vor allem vor denen, die „gebieten, nicht zu heiraten und Speisen zu meiden, die Gott geschaffen hat“ (1. Tim 4,3) und betont dagegen, dass die Schöpfung gerade nicht gottfeindlich, sondern von Gott geschaffen ist. Darum ist das Dankgebet die rechte Weise des Umgangs des Christen mit der Schöpfung (1. Tim 4,5). Neben diesen grundlegenden Anweisungen gibt Paulus Timotheus aber auch sehr persönliche Ratschläge und Ermutigungen mit auf den Weg: „Niemand verachte dich wegen deiner Jugend!“ (1. Tim. 4,12) und: „Trinke nicht mehr nur Wasser, sondern nimm ein wenig Wein dazu um des Magens willen.“ (1. Tim 5,23)


8. Der 2. Timotheusbrief
Der zweite Brief des Apostels an Timotheus hat in manchem noch einen persönlicheren Klang als sein erster Brief. Er trägt in vielem die Züge eines Testaments des Apostels, der auf sein Leben zurückblickt: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten.“ (2. Tim 4,7) Eindringlich stellt Paulus dem Timotheus vor Augen, dass ihm in seinem Dienst ebenso wie dem Apostel Leiden bevorstehen werden und dass er sich in seinem Dienst in einen dauernden Kampf begibt. Dabei gilt jedoch der Trost: „Sind wir untreu, so bleibt ER doch treu; denn ER kann sich selbst nicht verleugnen.“ (2. Tim 2,13) Der Kampf, der Timotheus bevorsteht, ist dabei nicht allein durch äußerliche Bedrängnisse hervorgerufen, sondern besonders auch durch die Irrlehrer, von denen er schon im ersten Brief sprach: „Denn es wird eine Zeit kommen, da sie die heilsame Lehre nicht ertragen werden; sondern nach ihren eigenen Gelüsten werden sie sich selbst Lehrer aufladen, nach denen ihnen die Ohren jucken.“ (2. Tim 4,3) Dagegen ermahnt der Apostel seinen Schüler: „Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und was dir anvertraut ist.“ (2. Tim 3,14) Auffallend sind im 2. Timotheusbrief die vielen persönlichen Bezüge auf gemeinsame Bekannte; bewegend ist der Bericht des Apostels über sein eigenes Schicksal: „Bei meinem ersten Verhör stand mir niemand bei, sondern sie verließen mich alle. Es sei ihnen nicht zugerechnet.“ (2. Tim 4,16)


9. Der Titusbrief
Von Titus berichtet Paulus: „Deswegen ließ ich dich in Kreta, dass du vollends ausrichten solltest, was noch fehlt, und überall in den Städten Älteste einsetzen, wie ich dir befohlen habe.“ (Tit 1,5) Wie Timotheus in Ephesus sollte auch Titus bischöfliche Aufgaben auf Kreta wahrnehmen. Die Themen, die im Titusbrief angesprochen werden, ähneln sehr denen der Timotheusbriefe: Es geht um die Einsetzung von Gemeindeleitern, um die Auseinandersetzung mit Irrlehrern und um die Anleitung der Christen zum Zusammenleben in der Gemeinde und in der Welt. Dabei erinnert der Apostel Titus wiederholt an die „Erscheinung“ der heilsamen Gnade Gottes in Christus, die im Leben des einzelnen Christen konkret wird in der Taufe, dem „Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist“ (Tit 3,5).


10. Der Philemonbrief
In diesem kürzesten Brief des Apostels Paulus wendet sich dieser an ein Glied der Gemeinde in Kolossae namens Philemon. Philemon war Besitzer eines Sklaven namens Onesimus, der ihm entlaufen war. Onesimus hatte sich daraufhin zu Paulus geflüchtet, der vermutlich in Ephesus im Gefängnis saß und den Onesimus vermutlich über Philemon kannte. Dort bei Paulus im Gefängnis war Onesimus Christ geworden. Nun schickt Paulus Onesimus mit diesem Brief zurück zu dessen Herrn Philemon und bittet ihn, Onesimus wegen seiner Flucht nicht zu bestrafen, wie dies sonst üblich war, sondern ihn vielmehr anzunehmen „nicht mehr als einen Sklaven, sondern als einen, der mehr ist als ein Sklave: ein geliebter Bruder“ (Phm 16). Bewegend ist die persönliche Art, in der Paulus diese Bitte äußert: „Obwohl ich in Christus volle Freiheit habe, dir zu gebieten, was sich gebührt, will ich um der Liebe willen doch nur bitten, so wie ich bin: Paulus, ein alter Mann, nun aber auch ein Gefangener Christi Jesu. … Wenn du mich nun für deinen Freund hältst, so nimm ihn auf wie mich selbst. Wenn er aber dir Schaden angetan hat oder etwas schuldig ist, das rechne mir an.“ (Phm 8-9.17-18) Der Philemonbrief ist ein eindrückliches Zeugnis für die Überwindung der Sklavenhaltung durch den christlichen Glauben: Diese erfolgte nicht durch den Aufruf zu sozialrevolutionärer Veränderung, sondern durch innere Aushöhlung: Ein Christ konnte einen Sklaven, der ebenfalls Christ war, eben nicht mehr als „Sache“ betrachten, wie dies damals üblich war, sondern nur als Bruder in Christus. Entsprechend konnte er ihn auch nur als Bruder behandeln. Da das soziale Los vieler freigelassener Sklaven oftmals noch schlechter war als das Los der Sklaven selber, war diese innere Überwindung der Sklaverei letztlich auch für die Sklaven selber der bessere Weg. So bezeugt auch dieser Brief, was Paulus im Galaterbrief grundsätzlich theologisch entfaltet hatte: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,28)

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