8. Die Evangelische Kirche (Teil 2)
Die Lutherische Kirche definiert sich nicht durch Abgrenzung von anderen Kirchen; sie sieht ihr Existenzrecht nicht darin begründet, dass sie auf die Fehler und Missstände in anderen Kirchen verweisen und diese vielleicht gar erleichtert zur Kenntnis nehmen kann. Dies gilt auch im Verhältnis zur Evangelischen Kirche in Deutschland. Dennoch wird sie immer wieder dazu genötigt, klarzustellen, was sie von der Evangelischen Kirche unterscheidet, da diese, wenn es darauf ankommt, auch immer wieder den Anspruch erhebt, doch „auch lutherisch zu sein“ – was in der Konsequenz bedeutet, dass die Evangelische Kirche seit den Zeiten der Union im 19. Jahrhundert die Existenz einer selbständigen lutherischen Kirche als überflüssig und den Fortbestand einer selbständigen lutherischen Kirche als Angriff auf die eigene konfessionelle Integrität betrachtet. Deutlich wurde dies in letzter Zeit wieder neu in den Diskussionen um die Präsenz der SELK und anderer lutherischer Bekenntniskirchen in der Lutherstadt Wittenberg. Bischof Wolfgang Huber erklärte daraufhin in einem Radiointerview, seine Evangelische Kirche sei doch eine lutherische Kirche; darum sei es völlig unnötig, dass Bekenntnislutheraner dort nun auch noch präsent sein müssten. Und noch deutlicher erklärten Vertreter der EKD anlässlich der Eröffnung der „Lutherdekade“ bis zum Reformationsjubiläum 2017, sie seien gerne bereit, mit anderen Kirchen, etwa der römisch-katholischen, zusammenzuarbeiten, nicht jedoch mit der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, da diese sich als einzige lutherische Kirche in Deutschland verstehe.
Auf die Behauptung von evangelischer Seite: „Wir sind doch auch lutherisch“ pflegen wir in unserer lutherischen Kirche zu antworten: „Wir sind nur lutherisch.“ Die Evangelische Kirche ist, auch in den Gebieten, in denen sich Landeskirchen oder Gemeinden noch „lutherisch“ nennen, wesenhaft eine unierte Kirche, das heißt eine Kirche, in der unterschiedliche Lehren, zum Beispiel über das Heilige Abendmahl, gleichberechtigt nebeneinander in Geltung sind. Dies wirkt sich in Lehre und Praxis des Heiligen Abendmahls dahingehend aus, dass ein reformiert-calvinistisches Verständnis des Heiligen Abendmahls sich in der EKD weitgehend durchgesetzt hat. Bereits 1973 hatten die lutherischen Landeskirchen in Deutschland in der sogenannten „Leuenberger Konkordie“ ein gemeinsames Abendmahlsbekenntnis mit den reformierten Kirchen formuliert, in dem das lutherische Abendmahlsverständnis in entscheidenden Punkten preisgegeben wird: Dem lutherischen Abendmahlsverständnis zufolge hängt die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in den Elementen des Heiligen Abendmahls nicht vom Glauben der Empfänger ab; sie wird vielmehr durch die Worte Christi, die über den Elementen gesprochen werden, bewirkt. Entsprechend empfängt jeder, der das Heilige Abendmahl empfängt, den wahren Leib und das wahre Blut Jesu Christi dort mit seinem Mund, ganz gleich, ob er es glaubt oder nicht. Dies ist für unseren oft so schwachen und angefochtenen Glauben ein wichtiger Trost. Demgegenüber wird die Gegenwart Christi im Heiligen Abendmahl in der „Leuenberger Konkordie“ vergeistigt: Christus ist nur „irgendwie“ in dem Geschehen der Sakramentsfeier gegenwärtig; er wird nur vom Glauben, nicht jedoch mit dem Mund des Kommunikanten leibhaftig empfangen. Calvins Grundthese, dass das Endliche das Unendliche nicht fassen kann und sich Christus darum nicht an Irdisch-Endliches mit seiner Gegenwart bindet, steht dahinter. Was in der Leuenberger Konkordie nur sehr zurückhaltend formuliert worden war, ist in der Praxis längst weitergeführt worden: Nicht nur auf Evangelischen Kirchentagen werden sogenannte „Feierabendmahle“ gehalten, bei denen die Sakramentsfeier in eine normale Sättigungsmahlzeit integriert wird; sie wird dadurch, ganz im Sinne der reformierten Tradition, zu einer reinen „Gedächtnismahlzeit“. Wenn es beim Heiligen Abendmahl nur um das Gedächtnis des Todes Jesu geht und an den Elementen des Abendmahls als solchen nichts liegt, lassen diese sich entsprechend auch leicht durch andere Elemente ersetzen. Die Unterschiede zum lutherischen Sakramentsverständnis werden auch darin deutlich, dass eine Konsekration im engeren Sinne in den Gemeinden der evangelischen Kirche nur selten überhaupt noch intendiert ist; die Einsetzungsworte werden wesentlich als Verkündigungsworte an die Gemeinde verstanden. Entsprechend entfällt auch eine Nachkonsekration, wenn zusätzlich Elemente zur Austeilung verwendet werden – vom Umgang mit den übriggebliebenen Elementen am Ende der Sakramentsfeier ganz zu schweigen.
Aus lutherischer Sicht stellt sich von daher ernsthaft die Frage, ob es sich bei solchen Gedächtnisfeiern überhaupt noch um das Mahl des Herrn handelt. Das Sakrament des Altars ist nach Luthers Kleinem Katechismus „der wahre Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken von Christus selbst eingesetzt.“ Wenn bei einer Sakramentsfeier gar nicht mehr beabsichtigt ist, den „wahren Leib und Blut“ unseres Herrn Jesus Christus auszuteilen, sondern man nur noch Brot und Wein zur Erinnerung an Jesus austeilt, um auf diese Weise in irgendeiner geistigen Weise seine Nähe zu empfinden, dann ist das dem Kleinen Katechismus zufolge nicht mehr das Sakrament des Altars. Daran ändert auch der persönliche Glaube des einzelnen Kommunikanten nichts, denn die Gegenwart Christi hängt ja nicht an diesem Glauben, sondern am Wort Christi, mit dem die Gaben gesegnet werden. Wenn man das Wort Christi aber gar nicht zur Segnung der Gaben verwendet, sondern nur als Verkündigung an die Gemeinde, bleibt es zumindest offen, was bei solchen Feiern eigentlich geschieht. Lutherische Christen können darum, auch wenn dies mitunter schmerzlich ist, an evangelischen Abendmahlsfeiern nicht teilnehmen, solange dort praktiziert wird, was Martin Luther bereits 1533 beschrieben hatte: „Es ist mir schrecklich zu hören, dass in einerlei Kirche oder bei einerlei Altar sollten beide Teile einerlei Sakrament haben und empfangen, und ein Teil sollte gläuben, es empfahe eitel Brot und Wein, das andere aber gläuben, es empfahe den wahren Leib und Blut Christi. Und oft zweifle ich, ob’s zu glauben sei, dass ein Prediger oder Seelsorger so verstockt und boshaft sein könnte und hiezu stillschweigen und beide Teile also lassen gehen, ein jegliches in seinem Wahn, dass sie einerlei Sakrament empfahen, ein jegliches nach seinem Glauben.“
Wie tief das reformierte Verständnis des Heiligen Abendmahls auch die lutherischen Landeskirchen mittlerweile prägt, hat unlängst ein Flyer deutlich gemacht, den das Amt der VELKD, der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, als „Einladung zum heiligen Abendmahl“ herausgegeben hat. Unter dem Titel „Was meinem Leben gut tut“ wird das Heilige Abendmahl darin als Erinnerungsmahlzeit beschrieben; die Gaben des Mahles werden mit der Hinterlassenschaft eines verstorbenen Menschen verglichen, die den Hinterbliebenen sehr kostbar werden kann. „Und damit ist mir dieser Mensch dann ganz nah.“ Selbst Johannes Calvin hätte über das Heilige Abendmahl noch mehr und Tieferes zu sagen vermocht, als dies in der Handreichung für die Gemeinden in den lutherischen Landeskirchen geschieht.
Neben dem calvinistischen Verständnis der Sakramente, das sich etwa auch in dem weithin geübten Verzicht auf die Praxis der Nottaufe (zum Teil sogar in deren Verbot!) und in der weithin erfolgten Preisgabe der Beichte als vollmächtigem Zuspruch der Sündenvergebung in den Gemeinden der EKD zu erkennen gibt, ist es ein anderer – letztlich allerdings auch reformiert geprägter – Umgang mit der Heiligen Schrift, der die EKD und unsere lutherische Kirche in Lehre und Praxis unterscheidet:
Die Heilige Schrift ist nach gängiger EKD-Theologie Ausdruck des Glaubens ihrer Verfasser und kann, ja muss von daher durch uns als heutige Ausleger kritisch begutachtet werden. Die Entscheidung darüber, was der einzelne Pastor von dem, was er in der Heiligen Schrift findet, für sich und seine Verkündigung gelten lässt, trifft letztlich nur er selber. Dahinter steht der Gedanke, dass sich das Evangelium als Ereignis letztlich doch nicht in Worte fassen lässt (wir hörten schon: Das Endliche kann das Unendliche nicht fassen, sagt Calvin) und alle menschlichen Worte ohnehin nur Ausdruck persönlichen Glaubens sind und darum auch sehr unterschiedlich ausfallen. Dies hat einen ausgeprägten Pluralismus in Lehre und Praxis zur Folge, der sich in besonders markanter Weise beispielsweise in der Gestalt der Osterpredigten zeigt: Ein nicht geringer Teil der evangelischen Pastoren – und dies ist noch sehr vorsichtig formuliert – vermag selber nicht zu bekennen, dass Jesus Christus zu Ostern tatsächlich leibhaftig aus dem Grabe auferstanden ist. Diesen Zweifel oder auch die offene Ablehnung des Bekenntnisses zur leibhaftigen Auferstehung Jesu dürfen Pastoren in der evangelischen Kirche auch ganz offen aussprechen, ohne dass sie deswegen mit irgendwelchen kirchlichen Konsequenzen rechnen müssten. In aller Regel versuchen sie jedoch, dem Ostergeschehen einfach eine neue Bedeutung zu geben, indem sie etwa Ostern als Ermutigung interpretieren, dass man die Hoffnung nie aufgeben soll, oder indem sie Ostern in die Begegnung mit dem Nächsten verlagern, in dem mir dann Jesus begegnet. Dass die Leugnung der leibhaften Auferstehung Jesu natürlich auch direkte Rückwirkungen auf das Verständnis des Heiligen Abendmahls hat, da der Leib des Herrn wohl kaum im gesegneten Brot des Heiligen Mahles gegenwärtig sein kann, wenn er es damals am Ostermorgen noch nicht mal aus dem Grab in Jerusalem heraus geschafft hat, sei wenigstens auch am Rande erwähnt. Ähnliche Probleme könnte man anhand der Diskussionen in der EKD um die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu als Opfertod für unsere Sünden aufweisen.
Natürlich gibt es innerhalb der evangelischen Kirche immer noch einzelne Pastoren, die versuchen, auch unter diesen schwierigen Umständen ihr Amt so zu führen, wie dies dem lutherischen Bekenntnis entspricht. Die Frage bleibt jedoch, ob man von der Evangelischen Kirche als ganzer aussagen kann, was das Augsburger Bekenntnis über die wahre Einheit der Kirche zu sagen hat: Die eine, heilige, christliche Kirche ist „die Versammlung aller Gläubigen, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einmütig im rechten Verständnis verkündigt und die Sakramente dem Wort Gottes gemäß gereicht werden.“ (CA VII) Weil wir diese „wahre Einheit der Kirche“ in der Evangelischen Kirche nicht zu erkennen vermögen und im Gegenteil so vieles sehen, was in ihr dieser Einheit widerspricht, sehen wir uns als lutherische Kirche dazu gezwungen, auch weiter unseren Weg selbständig als Bekenntniskirche zu gehen. Dabei werden wir jedoch auch selber immer wieder um diese wahre Einheit zu ringen haben.
Auf die Behauptung von evangelischer Seite: „Wir sind doch auch lutherisch“ pflegen wir in unserer lutherischen Kirche zu antworten: „Wir sind nur lutherisch.“ Die Evangelische Kirche ist, auch in den Gebieten, in denen sich Landeskirchen oder Gemeinden noch „lutherisch“ nennen, wesenhaft eine unierte Kirche, das heißt eine Kirche, in der unterschiedliche Lehren, zum Beispiel über das Heilige Abendmahl, gleichberechtigt nebeneinander in Geltung sind. Dies wirkt sich in Lehre und Praxis des Heiligen Abendmahls dahingehend aus, dass ein reformiert-calvinistisches Verständnis des Heiligen Abendmahls sich in der EKD weitgehend durchgesetzt hat. Bereits 1973 hatten die lutherischen Landeskirchen in Deutschland in der sogenannten „Leuenberger Konkordie“ ein gemeinsames Abendmahlsbekenntnis mit den reformierten Kirchen formuliert, in dem das lutherische Abendmahlsverständnis in entscheidenden Punkten preisgegeben wird: Dem lutherischen Abendmahlsverständnis zufolge hängt die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in den Elementen des Heiligen Abendmahls nicht vom Glauben der Empfänger ab; sie wird vielmehr durch die Worte Christi, die über den Elementen gesprochen werden, bewirkt. Entsprechend empfängt jeder, der das Heilige Abendmahl empfängt, den wahren Leib und das wahre Blut Jesu Christi dort mit seinem Mund, ganz gleich, ob er es glaubt oder nicht. Dies ist für unseren oft so schwachen und angefochtenen Glauben ein wichtiger Trost. Demgegenüber wird die Gegenwart Christi im Heiligen Abendmahl in der „Leuenberger Konkordie“ vergeistigt: Christus ist nur „irgendwie“ in dem Geschehen der Sakramentsfeier gegenwärtig; er wird nur vom Glauben, nicht jedoch mit dem Mund des Kommunikanten leibhaftig empfangen. Calvins Grundthese, dass das Endliche das Unendliche nicht fassen kann und sich Christus darum nicht an Irdisch-Endliches mit seiner Gegenwart bindet, steht dahinter. Was in der Leuenberger Konkordie nur sehr zurückhaltend formuliert worden war, ist in der Praxis längst weitergeführt worden: Nicht nur auf Evangelischen Kirchentagen werden sogenannte „Feierabendmahle“ gehalten, bei denen die Sakramentsfeier in eine normale Sättigungsmahlzeit integriert wird; sie wird dadurch, ganz im Sinne der reformierten Tradition, zu einer reinen „Gedächtnismahlzeit“. Wenn es beim Heiligen Abendmahl nur um das Gedächtnis des Todes Jesu geht und an den Elementen des Abendmahls als solchen nichts liegt, lassen diese sich entsprechend auch leicht durch andere Elemente ersetzen. Die Unterschiede zum lutherischen Sakramentsverständnis werden auch darin deutlich, dass eine Konsekration im engeren Sinne in den Gemeinden der evangelischen Kirche nur selten überhaupt noch intendiert ist; die Einsetzungsworte werden wesentlich als Verkündigungsworte an die Gemeinde verstanden. Entsprechend entfällt auch eine Nachkonsekration, wenn zusätzlich Elemente zur Austeilung verwendet werden – vom Umgang mit den übriggebliebenen Elementen am Ende der Sakramentsfeier ganz zu schweigen.
Aus lutherischer Sicht stellt sich von daher ernsthaft die Frage, ob es sich bei solchen Gedächtnisfeiern überhaupt noch um das Mahl des Herrn handelt. Das Sakrament des Altars ist nach Luthers Kleinem Katechismus „der wahre Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken von Christus selbst eingesetzt.“ Wenn bei einer Sakramentsfeier gar nicht mehr beabsichtigt ist, den „wahren Leib und Blut“ unseres Herrn Jesus Christus auszuteilen, sondern man nur noch Brot und Wein zur Erinnerung an Jesus austeilt, um auf diese Weise in irgendeiner geistigen Weise seine Nähe zu empfinden, dann ist das dem Kleinen Katechismus zufolge nicht mehr das Sakrament des Altars. Daran ändert auch der persönliche Glaube des einzelnen Kommunikanten nichts, denn die Gegenwart Christi hängt ja nicht an diesem Glauben, sondern am Wort Christi, mit dem die Gaben gesegnet werden. Wenn man das Wort Christi aber gar nicht zur Segnung der Gaben verwendet, sondern nur als Verkündigung an die Gemeinde, bleibt es zumindest offen, was bei solchen Feiern eigentlich geschieht. Lutherische Christen können darum, auch wenn dies mitunter schmerzlich ist, an evangelischen Abendmahlsfeiern nicht teilnehmen, solange dort praktiziert wird, was Martin Luther bereits 1533 beschrieben hatte: „Es ist mir schrecklich zu hören, dass in einerlei Kirche oder bei einerlei Altar sollten beide Teile einerlei Sakrament haben und empfangen, und ein Teil sollte gläuben, es empfahe eitel Brot und Wein, das andere aber gläuben, es empfahe den wahren Leib und Blut Christi. Und oft zweifle ich, ob’s zu glauben sei, dass ein Prediger oder Seelsorger so verstockt und boshaft sein könnte und hiezu stillschweigen und beide Teile also lassen gehen, ein jegliches in seinem Wahn, dass sie einerlei Sakrament empfahen, ein jegliches nach seinem Glauben.“
Wie tief das reformierte Verständnis des Heiligen Abendmahls auch die lutherischen Landeskirchen mittlerweile prägt, hat unlängst ein Flyer deutlich gemacht, den das Amt der VELKD, der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, als „Einladung zum heiligen Abendmahl“ herausgegeben hat. Unter dem Titel „Was meinem Leben gut tut“ wird das Heilige Abendmahl darin als Erinnerungsmahlzeit beschrieben; die Gaben des Mahles werden mit der Hinterlassenschaft eines verstorbenen Menschen verglichen, die den Hinterbliebenen sehr kostbar werden kann. „Und damit ist mir dieser Mensch dann ganz nah.“ Selbst Johannes Calvin hätte über das Heilige Abendmahl noch mehr und Tieferes zu sagen vermocht, als dies in der Handreichung für die Gemeinden in den lutherischen Landeskirchen geschieht.
Neben dem calvinistischen Verständnis der Sakramente, das sich etwa auch in dem weithin geübten Verzicht auf die Praxis der Nottaufe (zum Teil sogar in deren Verbot!) und in der weithin erfolgten Preisgabe der Beichte als vollmächtigem Zuspruch der Sündenvergebung in den Gemeinden der EKD zu erkennen gibt, ist es ein anderer – letztlich allerdings auch reformiert geprägter – Umgang mit der Heiligen Schrift, der die EKD und unsere lutherische Kirche in Lehre und Praxis unterscheidet:
Die Heilige Schrift ist nach gängiger EKD-Theologie Ausdruck des Glaubens ihrer Verfasser und kann, ja muss von daher durch uns als heutige Ausleger kritisch begutachtet werden. Die Entscheidung darüber, was der einzelne Pastor von dem, was er in der Heiligen Schrift findet, für sich und seine Verkündigung gelten lässt, trifft letztlich nur er selber. Dahinter steht der Gedanke, dass sich das Evangelium als Ereignis letztlich doch nicht in Worte fassen lässt (wir hörten schon: Das Endliche kann das Unendliche nicht fassen, sagt Calvin) und alle menschlichen Worte ohnehin nur Ausdruck persönlichen Glaubens sind und darum auch sehr unterschiedlich ausfallen. Dies hat einen ausgeprägten Pluralismus in Lehre und Praxis zur Folge, der sich in besonders markanter Weise beispielsweise in der Gestalt der Osterpredigten zeigt: Ein nicht geringer Teil der evangelischen Pastoren – und dies ist noch sehr vorsichtig formuliert – vermag selber nicht zu bekennen, dass Jesus Christus zu Ostern tatsächlich leibhaftig aus dem Grabe auferstanden ist. Diesen Zweifel oder auch die offene Ablehnung des Bekenntnisses zur leibhaftigen Auferstehung Jesu dürfen Pastoren in der evangelischen Kirche auch ganz offen aussprechen, ohne dass sie deswegen mit irgendwelchen kirchlichen Konsequenzen rechnen müssten. In aller Regel versuchen sie jedoch, dem Ostergeschehen einfach eine neue Bedeutung zu geben, indem sie etwa Ostern als Ermutigung interpretieren, dass man die Hoffnung nie aufgeben soll, oder indem sie Ostern in die Begegnung mit dem Nächsten verlagern, in dem mir dann Jesus begegnet. Dass die Leugnung der leibhaften Auferstehung Jesu natürlich auch direkte Rückwirkungen auf das Verständnis des Heiligen Abendmahls hat, da der Leib des Herrn wohl kaum im gesegneten Brot des Heiligen Mahles gegenwärtig sein kann, wenn er es damals am Ostermorgen noch nicht mal aus dem Grab in Jerusalem heraus geschafft hat, sei wenigstens auch am Rande erwähnt. Ähnliche Probleme könnte man anhand der Diskussionen in der EKD um die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu als Opfertod für unsere Sünden aufweisen.
Natürlich gibt es innerhalb der evangelischen Kirche immer noch einzelne Pastoren, die versuchen, auch unter diesen schwierigen Umständen ihr Amt so zu führen, wie dies dem lutherischen Bekenntnis entspricht. Die Frage bleibt jedoch, ob man von der Evangelischen Kirche als ganzer aussagen kann, was das Augsburger Bekenntnis über die wahre Einheit der Kirche zu sagen hat: Die eine, heilige, christliche Kirche ist „die Versammlung aller Gläubigen, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einmütig im rechten Verständnis verkündigt und die Sakramente dem Wort Gottes gemäß gereicht werden.“ (CA VII) Weil wir diese „wahre Einheit der Kirche“ in der Evangelischen Kirche nicht zu erkennen vermögen und im Gegenteil so vieles sehen, was in ihr dieser Einheit widerspricht, sehen wir uns als lutherische Kirche dazu gezwungen, auch weiter unseren Weg selbständig als Bekenntniskirche zu gehen. Dabei werden wir jedoch auch selber immer wieder um diese wahre Einheit zu ringen haben.