Vom Amt der Schlüssel und von der Beichte (1).
Vom Amt der Schlüssel und von der Beichte (1).
Was ist das Amt der Schlüssel?
Es ist die besondere Gewalt, die Christus seiner Kirche auf Erden gegeben hat,
den bußfertigen Sündern die Sünden zu vergeben,
den unbußfertigen aber die Sünden zu behalten, solange sie nicht Buße tun.
Wo steht das geschrieben?
Unser Herr Jesus Christus spricht bei Matthäus im sechzehnten Kapitel zu Petrus:
Ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben:
alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein,
und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein.
Desgleichen spricht er zu seinen Jüngern bei Johannes im zwanzigsten Kapitel:
Nehmet hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen;
und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.
Im Bewußtsein eines durchschnittlichen Protestanten ist die Beichte etwas „typisch Katholisches“. Entsprechend groß ist die Überraschung bei vielen, wenn sie erfahren, daß in unserer lutherischen Kirche die Beichte nach wie vor eine wichtige Rolle spielt. Auch in dieser Frage gründen wir uns dabei auf den Kleinen Katechismus, der sich seinerseits wieder auf klare Aussagen der Heiligen Schrift rückbezieht:
Die Redeweise vom „Amt der Schlüssel“ greift auf das Wort Jesu an Petrus in Matthäus 16 zurück, in dem Jesus dem Apostel die „Schlüssel des Himmelreichs“ übergibt und anvertraut: Was er auf Erden bindet und löst, das hat Gültigkeit auch bei Gott: Gott bindet sich seinerseits an das menschliche Wort seines Apostels. Oder noch einmal anders ausgedrückt: Was in der Ausübung des Schlüsselamtes geschieht, das hat unmittelbare Auswirkungen auf den Richterspruch Gottes im letzten Gericht. Daß diese Vollmacht nicht Petrus allein, sondern allen Aposteln anvertraut wird, machen die Worte Jesu nach seiner Auferstehung an seine Jünger deutlich: Er spendet ihnen seinen Heiligen Geist und bevollmächtigt sie damit dazu, in letzter Konsequenz Sünden zu vergeben und Sünden zu behalten. Selbstverständlich beschränkt sich diese Vollmacht nicht bloß auf die erste Generation der Apostel. Was damals am Ostertag erstmalig geschah, setzt sich in jeder Ordination fort, wenn dem zu Ordinierenden mit der Gabe des Heiligen Geistes auch die Vollmacht des Schlüsselamtes übertragen wird: „Ich erinnere dich daran, daß du erweckest die Geistesgabe Gottes, die in dir ist durch die Auflegung meiner Hände“, schreibt Paulus an Timotheus (2. Timotheus 1,6). Von daher heißt es im Kleinen Katechismus sachentsprechend: „Es ist die besondere Gewalt, die Christus seiner Kirche auf Erden gegeben hat.“
Die Geschichte der Auslegung dieser Worte Jesu im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte ist eine Geschichte von Irrungen und Wirrungen. Schon bald nach der Zeit der Apostel verflachte in der Kirche das Verständnis dessen, was Sünde bedeutet; die Sünde wurde moralisiert und auf schwere öffentliche Vergehen reduziert, die dann entsprechend zum Ausschluß aus der christlichen Gemeinde führten. Ein Freispruch von diesen öffentlichen Sünden und eine damit verbundene Wiederaufnahme in die Sakramentsgemeinschaft waren nur möglich, nachdem zuvor auferlegte Bußstrafen abgeleistet worden waren. Zudem galt der Grundsatz, daß eine solche öffentliche Buße und Wiederaufnahme nur ein einziges Mal möglich war. Aus diesem Grund schob man diesen Bußakt wie zum Teil sogar die Taufe selber mehr und mehr bis kurz vor den Tod hinaus, was natürlich zur völligen Aushöhlung der Kirchenbuße führte. Mit der „konstantinischen Wende“, mit der aus der verfolgten Minderheitskirche innerhalb von einigen Jahrzehnten eine Volkskirche, ja schließlich eine Staatskirche wurde, brach dieses altkirchliche „Bußinstitut“ bald in sich zusammen.
Ein Neuanfang der Praxis der Beichte erfolgte mit dem Wirken der irisch-angelsächsischen Mönche vor allem im deutschen Raum. Die Praxis der Beichte der Mönche wurde im Laufe der Zeit auch auf die Laien übertragen. Dabei war allerdings im kirchlichen Alltag von der Bedeutung der Worte Jesu über das Schlüsselamt nicht mehr viel zu erkennen: Das Schwergewicht lag in keiner Weise auf dem Zuspruch der Sündenvergebung; vielmehr wurden sogenannte „Bußbücher“ (Pönitentialien) herausgegeben, in denen genau festgelegt war, für welche Sünde welche Bußleistung aufzuerlegen war. Das Schwergewicht lag ganz und gar auf dem Tun des Büßenden.
Im weiteren Verlauf des Mittelalters wurde dann über die Bedeutung des Zuspruchs der Sündenvergebung im Rahmen der Beichte wieder neu nachgedacht; vor allem der große Theologe Thomas von Aquin rückte diesen Zuspruch wieder stärker ins Zentrum der Beichte. Das änderte nichts daran, daß das Geschehen der Beichte schließlich doch als aus drei Teilen bestehend angesehen und definiert wurde: Die Beichte besteht danach aus der contritio cordis (der Reue des Herzens), der confessio oris (dem Bekenntnis des Mundes) und der satisfactio operum (der Genugtuung durch gute Werke). Die Reue des Herzens wurde dabei als eine Gott versöhnende Tat des Menschen verstanden; auch das Konzil von Trient hält in seiner Lehrentscheidung fest, daß eine ganz von der Gottesliebe geprägte Reue den Gläubigen schon vor dem Empfang des Bußsakraments mit Gott aussöhnt. Das Bekenntnis des Beichtenden muß alle Todsünden umfassen, deren man sich „nach sorgfältiger Selbsterforschung bewußt ist“. Da der Priester als ein Richter ein Urteil über diese Sünden spricht und die Art der Genugtuungen bestimmen muß, müssen die Beichtenden nicht nur die Sünden als solche, sondern auch die Umstände, welche deren Art und Gewicht bestimmt haben, sorgfältig bekennen. Durch den Zuspruch der Sündenvergebung werden gemäß dieser Lehre schließlich nur die ewigen Strafen hinweggenommen; die zeitlichen Strafen verbleiben und müssen durch fromme Werke, die Genugtuungen, getilgt werden. Die Strafen, die hier auf Erden nicht abgebüßt werden können, müssen nach dem Tod noch im Fegfeuer gebüßt werden, bevor man schließlich in den Himmel kommen kann. In diesem Zusammenhang spielt nun der Ablaß eine Rolle: Der Ablaß ist nach der Lehre der römisch-katholi-schen Kirche die Vollmacht, vor Gott gültigen Nachlaß der zeitlichen Sündenstrafen für diejenige Schuld zu gewähren, welche bekannt und vergeben ist. Voraussetzung für die Erlangung eines solchen Ablasses ist also der Empfang der Sündenvergebung in der Beichte und ein von den kirchlichen Oberen zu bestimmendes konkretes Tun. So hat beispielsweise Papst Benedikt XVI. kürzlich für die Teilnahme am Weltjugendtag in Köln einen solchen Ablaß gewährt. Durch Fürbitte können solche Ablässe auch den Verstorbenen im Fegfeuer zugewandt werden.
Diese Lehre der römisch-katholischen Kirche, die in ihren Grundzügen bis heute Gültigkeit hat, bildet den Hintergrund für Luthers grundlegende theologische Neubestimmung und praktische Reform der Beichte: Gegen die Dreiteilung des Bußsakraments setzt Luther eine ganz neue Zweiteilung: Die Beichte besteht aus zwei Stücken: aus dem Sündenbekenntnis und der Sündenvergebung. Dabei ist der zweite Teil, die Sündenvergebung das eigentlich Entscheidende: Sie „ist ein Werk, das Gott tut, der mich durch das Wort, dem Menschen in den Mund gelegt, losspricht von meinen Sünden, welches auch das Wichtigste und Edelste ist, was die Beichte lieblich und tröstlich macht.“ (Großer Katechismus) Die Sündenvergebung hängt nicht von meiner Reue ab, denn auch die Reue ist nicht etwas, was ich tue, sondern was Gott durch sein Wort in mir wirkt. Und erst recht ist es für den Empfang der Sündenvergebung nicht nötig, alle Sünden, die man getan hat und die einem bewußt sind, aufzuzählen. Denn in diesem Fall kann man niemals gewiß sein, daß einem nun auch wirklich alle Sünden vergeben worden sind. Und ebenso lehnt Luther in aller Deutlichkeit die Vorstellung ab, daß wir durch irgendwelche guten Werke Genugtuung für zeitliche Sündenstrafen leisten können. Damit fallen für ihn auch die Lehre vom Ablaß mitsamt den damit zusammenhängenden Mißbräuchen und auch die Lehre vom Fegfeuer hin, die keine biblische Begründung haben.
Keinesfalls wollte Luther jedoch die Beichte selber abschaffen – im Gegenteil: Die Reformation ist in ihrem Kern nichts anderes als eine Wiederentdeckung der tröstlichen Kraft des Beichtsakraments: Weil das Wort der Vergebung, das mir in der Absolution (also der Sündenvergebung) auf den Kopf zugesprochen wird, Gültigkeit hat im letzten Gericht Gottes, kann und darf ich meines Heils gewiß sein: Meine Rettung im Gericht Gottes hängt nicht an mir, sondern allein an dem mir zugesprochenen Wort der Vergebung, an das sich Gott gebunden hat. Dies ist im Kern die reformatorische Entdeckung Luthers, sein „reformatorischer Durchbruch“ im Jahr 1518, von dem her sich in der Folgezeit sein ganzes weiteres Denken erschloß. Doch die Beichte war und blieb für Luther eben niemals bloß eine Theorie: „Es weiß niemand, was sie vermag, als wer mit dem Teufel oft und viel gefochten hat; ja, ich wäre längst vom Teufel erwürgt, wenn mich nicht die Beichte erhalten hätte“, bekannte er rückblickend. Was dies für uns auch heute noch ganz praktisch bedeuten kann, soll in der nächsten Ausgabe bedacht werden.