7. Die „Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten“
Geschichte und Anliegen dieser Sondergemeinschaft werden schon in ihrem Namen „Siebenten-Tags-Adventisten“ (im Folgenden: STA) deutlich:
Im Wort „Adventisten“ steckt das lateinische Wort „adventus“, Ankunft, das auf die Wiederkunft Jesu Christi verweist. Ihre historischen Wurzeln hat die Gemeinschaft der STA in einer Bewegung, die von dem amerikanischen Farmer William Miller (1782-1849) ausgelöst wurde. Er war in besonderer Weise von dem Buch Daniel fasziniert und fing an, die symbolischen Zahlenangaben dieses Buches zu benutzen, um damit das Datum der Wiederkunft Christi auszurechnen. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass Christus bis zum 21. März 1844 wiederkommen müsse. Als er dies in der Öffentlichkeit verkündigte, löste er damit eine große Bewegung aus; bis zu 100.000 Gläubige folgten ihm in seiner Erwartung – und waren umso enttäuschter, als die erhoffte Wiederkunft Christi ausblieb. Bald darauf trat ein anderer Prediger auf, der verkündigte, man habe sich um ein halbes Jahr verrechnet – Christus werde am 22. Oktober 1844 wiederkommen. Die Gläubigen verließen ihre Arbeitsplätze, Farmer ließen ihre Ernte auf den Feldern liegen – doch wieder geschah nichts. Die Enttäuschung war groß, bis ein weiterer Farmer namens Hiram Edson die Geschehnisse so deutete, dass Christus in den Jahrhunderten bis 1844 sich nur im heiligen Bezirk des himmlischen Heiligtums aufgehalten habe, um von dort aus die Sünden der Menschen zu vergeben. Am 22. Oktober 1844 sei er dann in das Allerheiligste gegangen, um die Sünden völlig zu tilgen und die letzte Phase des himmlischen Versöhnungs- und Richterdienstes zu beginnen. Diese „Heiligtumslehre“ ist bis heute ein wichtiger Bestandteil der Lehre der STA; ihr liegt der Irrtum zugrunde, dass man aus Aussagen des Buches Daniel den Termin der Wiederkunft Christi errechnen könne (abgesehen davon, dass sich in den Berechnungsversuchen Millers auch historische Fehler finden). Um diesen Irrtum nicht zugeben zu müssen, konstruierte man eine neue Lehre, deren biblische Begründung, vorsichtig ausgedrückt, mehr als dünn ist, und die eben nicht mehr durch offenkundige gegenteilige Erfahrung in Frage gestellt werden konnte. In ähnlicher Weise versuchen beispielsweise die Zeugen Jehovas, die irrtümliche Ankündigung der Wiederkunft Christi im Jahr 1917 mit ihrer Lehre von der „unsichtbaren Wiederkunft Christi“ im Jahr 1917 zu „retten“. Die „Heiligtumslehre“ ersetzt bei den STA natürlich nicht das Warten auf die sichtbare Wiederkunft des Herrn. Wohl aber sind sie nun aus Schaden klug geworden und versuchen sich nicht noch einmal daran, das Datum der Wiederkunft Christi auszurechnen.
Das Element des „Siebenten Tages“ wurde in den Adventismus von dem Schiffskapitän Joseph Bates eingebracht, der zuvor Mitglied der „Siebenten-Tags-Baptisten“ gewesen war. Er verkündigte den Anhängern Millers, die in der Advent-Bewegung verblieben waren, die verpflichtende Bedeutung der Heiligung des Sabbats auch für Christen. Die wichtigste Gestalt der neuen Bewegung wurde jedoch Ellen Gould Harmon-White (1827-1915), die behauptete, von Gott „Visionen“ empfangen zu haben, die die Lehre der STA bestätigten. So wurde sie zur „Prophetin“ der STA, durch die Gott seiner Gemeinde unmittelbare praktische Weisungen gab. Bis heute gelten die Schriften von Ellen G. White bei vielen STA als inspiriert, auch wenn sie zumeist der Bibel nicht unmittelbar gleichgestellt werden. Der Anspruch Ellen G. Whites, dass Gott durch sie geredet habe, wird jedoch anerkannt.
Ellen Gould Harmon heiratete James White, der auch seinerseits zu einer prägenden Gestalt der Bewegung der STA wurde. Von ihm stammt die Lehre von der sogenannten „dreifachen Engelbotschaft“: Offenbarung 14,6-12 wird so ausgelegt, dass es Aufgabe der STA sei, erstens alle Menschen aufzufordern, Gott als Schöpfer anzubeten, weil die Stunde seines Gerichts gekommen sei, zweitens aus dem Babylon der Verwirrung und des falschen Systems (damit sind die christlichen Kirchen gemeint) auszugehen und drittens in der Endauseinandersetzung fest auf dem Grund des Gehorsams gegenüber den Geboten Gottes (gemeint ist: gegenüber dem Sabbatgebot) zu stehen.
Mit dieser Interpretation der „dreifachen Engelbotschaft“ grenzte sich die Gemeinschaft der STA deutlich von allen christlichen Kirchen ab; sie erklärte sich zur Gemeinschaft der „Übrigen, die Gottes Gebote halten und haben das Zeugnis Jesu“ (Offenbarung 12,17). In der Folgezeit nahm die Bewegung festere organisatorische Strukturen an: 1860 einigte man sich auf die offizielle Bezeichnung „Siebenten-Tags-Adventisten“, 1863 wurde in Battle Creek/Michigan die „Generalkonferenz“ gegründet, ein Zusammenschluss aller örtlichen Gemeinden und regionalen Konferenzen. Die Gemeinschaft der STA hat gerade in den letzten Jahrzehnten, vor allem in Ländern der Dritten Welt, ein starkes Wachstum erfahren: Hatte sie 1961 noch 1 Million Mitglieder, waren es im Jahr 2000 10 Millionen und im Jahr 2008 bereits fast 16 Millionen. In Deutschland stagniert die Zahl der getauften STA-Mitglieder – die STA praktizieren in der theologischen Tradition der Baptisten keine Kinder – seit etlichen Jahren bei etwa 36.000.
In der Fachliteratur wird die Gemeinschaft der STA in der Regel als „Sondergemeinschaft“ eingeordnet. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die STA auf der einen Seite grundlegende Lehren des christlichen Glaubens, wie sie in den christlichen Kirchen vertreten werden, bejahen, dass sie zugleich aber auch bestimmte Sonderlehren vertreten, die eine Einordnung der STA als „Freikirche“ – auch wenn sie selber seit einigen Jahren diesen Namen als offizielle Selbstbezeichnung gewählt haben – schwierig machen. Innerhalb der STA gibt es gerade hier in Deutschland erbitterte Auseinandersetzungen über den weiteren Weg der STA: Während vor allem die norddeutschen STA einen Kurs der Annäherung an andere Freikirchen wie etwa die Baptisten oder die Freien Evangelischen Gemeinden und eine Mitwirkung in der Ökumene befürworten und dafür bereit sind, adventistische Sonderlehren in ihrer Bedeutung zu relativieren, gibt es bei den süddeutschen STA und erst recht bei den zahlreichen russlanddeutschen STA-Gemeinden starke Vorbehalte gegen jegliche Annäherung an die christlichen Kirchen, vor allem gegenüber der römisch-katholischen Kirche, die als das große Feindbild dargestellt wird. Hier werden, vor allem in den russischsprachigen STA-Gemeinden, die adventistischen Sonderlehren so stark betont, dass man hier eindeutig von sektiererischen Tendenzen sprechen muss. Dies gilt erst recht für die „Missionsgesellschaft zur Erhaltung und Förderung adventistischen Glaubensgutes“ (MEFAG), die den STA mehr oder weniger offen den Abfall von den adventistischen Glaubenslehren vorwirft und ihre Positionen sehr offensiv – auch mithilfe von Verteilschriften – in der Öffentlichkeit vertritt.
In mancherlei Hinsicht erinnert die klassische Argumentation der STA zum Thema „Sabbat“, aber auch etwa, was die Speisevorschriften aus 3. Mose 11 angeht, an die Position der Gegner des Apostels Paulus, mit denen dieser sich schon in der Zeit des Neuen Testaments auseinanderzusetzen hatte. Sie betonten die Bedeutung der Gesetzesbestimmungen des Alten Testaments auch für die christliche Gemeinde, während Paulus dagegen verkündigte: „Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.“ (Römer 10,4) Entsprechend schreibt er: „So lasst euch nun von niemandem ein schlechtes Gewissen machen wegen Speise und Trank oder wegen eines bestimmten Feiertages, Neumondes oder Sabbats.“ (Kolosser 2,16) Historisch gesehen ist klar, dass sich die Christen nach Ostern „am ersten Tag der Woche“, dem Auferstehungstag, also am Sonntag, versammelt haben, um an diesem Tag jeweils das Mahl des Herrn zu feiern und dabei seine Gegenwart zu erfahren (vgl. Apostelgeschichte 20,1). Der Sabbat und seine Einhaltung spielt nach Ostern für die Christen keine Rolle mehr, auch wenn die erste judenchristliche Gemeinde in Jerusalem sich zunächst vermutlich noch an den Wochenrhythmus der Umgebung, in der sie lebte, gehalten hat. Die Praxis, den Auferstehungstag Christi zu feiern, war für die Christen am Ende der neutestamentlichen Zeit so selbstverständlich, dass Ignatius von Antiochien im Jahr 107 schreiben konnte: „Die Juden, die zu der neuen Hoffnung gekommen sind, feiern nicht mehr den Sabbat, sondern halten den Herrentag, an dem durch Christus das Leben aufgegangen ist.“ Nirgendwo in der Heiligen Schrift findet sich ein Hinweis darauf, dass der Sabbat auch von Nichtjuden gehalten werden soll; er gilt vielmehr als besonderes Erkennungszeichen Israels und des jüdischen Volkes (vgl. 2. Mose 31,13+17). Dass Jesus selber den Sabbat gehalten hat, ist von daher klar; dass seine Praxis jedoch nach Ostern eine Bedeutung für die Christen haben soll, ist ein Kurzschluss, der von vielen STA leider kaum reflektiert wird: Ein Synagogenbesuch ist eben etwas völlig anderes als die Zusammenkunft der Christen zur Feier des Heiligen Mahles. Dabei behaupten die christlichen Kirchen ja nicht – auch wenn ihnen dies von radikalen STA unterstellt wird –, dass Christen ihre Gottesdienste unbedingt am Sonntag feiern müssen. Sie tun dies, weil es sinnvoll ist, wie die ersten Christen am Auferstehungstag Christi zusammenzukommen. Doch Martin Luther hat in seiner Auslegung des Dritten Gebots schon deutlich gemacht, dass es nicht auf den Wochentag ankommt, sondern auf den Inhalt: „dass wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern dasselbe heilig halten, gerne hören und lernen.“ Wenn Christen sich am Samstag zum Gottesdienst versammeln, ist das nicht falsch – solange sie nicht behaupten, ihre Praxis sei die allein richtige. Dazu hat Paulus in Römer 14,5 schon das Nötige gesagt. Geradezu absurd ist es jedoch, die Feier des Gottesdienstes am Sonntag zum „Malzeichen des Tieres“ (vgl. Offenbarung 13,16-18) und alle Mitglieder der christlichen Kirchen damit zu Anhängern des Antichristen zu erklären. Ähnliches gilt für die Einhaltung der Speisegebote. Ellen G. Whites Visionen befassen sich unter anderem auch mit der Bedeutung einer gesunden Ernährung. So verzichten Adventisten in der Regel auf den Genuss von Schweinefleisch, Meeresfrüchten und Alkohol, dazu oft auch auf den Genuss von Kaffee. Problematisch wird es auch hier, wenn die Einhaltung solcher Vorschriften – entgegen Römer 14,14 – als Kennzeichen wahren Christseins deklariert wird. Hier gilt immer wieder die Warnung des Apostels aus Galater 5,1+4. Das Augenmerk, das Ellen G. White in ihren Visionen auf die Frage der Gesundheit legte, ist übrigens der Grund dafür, dass sich die STA in besonderer Weise im Gesundheitswesen, z.B. mit dem Bau von Krankenhäusern (in Berlin-Zehlendorf das Krankenhaus Waldfriede) oder in der Produktion von gesunden Lebensmitteln (De-Vau-Ge-Gesundkostwerk – in vielen Reformhäusern zu finden) engagieren.
Es bleibt zu hoffen, dass die befreiende Kraft des Evangeliums auch unter den STA immer mehr ihre Wirkung entfaltet und damit die Bedeutung der unbiblischen Sonderlehren (Sabbat, Dreifache Engelbotschaft mit der Disqualifizierung aller christlichen Kirchen, Heiligtumslehre, Bedeutung von Ellen G. White) in ihrer Mitte zurückdrängt. Es bleibt dann aber zugleich natürlich die Frage, worin die STA, wenn sie ihren zum Teil schon eingeschlagenen Weg als „Freikirche“ weitergehen, eigentlich dann noch ihre Existenzberechtigung als eigenständige Gemeinschaft sehen.
Im Wort „Adventisten“ steckt das lateinische Wort „adventus“, Ankunft, das auf die Wiederkunft Jesu Christi verweist. Ihre historischen Wurzeln hat die Gemeinschaft der STA in einer Bewegung, die von dem amerikanischen Farmer William Miller (1782-1849) ausgelöst wurde. Er war in besonderer Weise von dem Buch Daniel fasziniert und fing an, die symbolischen Zahlenangaben dieses Buches zu benutzen, um damit das Datum der Wiederkunft Christi auszurechnen. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass Christus bis zum 21. März 1844 wiederkommen müsse. Als er dies in der Öffentlichkeit verkündigte, löste er damit eine große Bewegung aus; bis zu 100.000 Gläubige folgten ihm in seiner Erwartung – und waren umso enttäuschter, als die erhoffte Wiederkunft Christi ausblieb. Bald darauf trat ein anderer Prediger auf, der verkündigte, man habe sich um ein halbes Jahr verrechnet – Christus werde am 22. Oktober 1844 wiederkommen. Die Gläubigen verließen ihre Arbeitsplätze, Farmer ließen ihre Ernte auf den Feldern liegen – doch wieder geschah nichts. Die Enttäuschung war groß, bis ein weiterer Farmer namens Hiram Edson die Geschehnisse so deutete, dass Christus in den Jahrhunderten bis 1844 sich nur im heiligen Bezirk des himmlischen Heiligtums aufgehalten habe, um von dort aus die Sünden der Menschen zu vergeben. Am 22. Oktober 1844 sei er dann in das Allerheiligste gegangen, um die Sünden völlig zu tilgen und die letzte Phase des himmlischen Versöhnungs- und Richterdienstes zu beginnen. Diese „Heiligtumslehre“ ist bis heute ein wichtiger Bestandteil der Lehre der STA; ihr liegt der Irrtum zugrunde, dass man aus Aussagen des Buches Daniel den Termin der Wiederkunft Christi errechnen könne (abgesehen davon, dass sich in den Berechnungsversuchen Millers auch historische Fehler finden). Um diesen Irrtum nicht zugeben zu müssen, konstruierte man eine neue Lehre, deren biblische Begründung, vorsichtig ausgedrückt, mehr als dünn ist, und die eben nicht mehr durch offenkundige gegenteilige Erfahrung in Frage gestellt werden konnte. In ähnlicher Weise versuchen beispielsweise die Zeugen Jehovas, die irrtümliche Ankündigung der Wiederkunft Christi im Jahr 1917 mit ihrer Lehre von der „unsichtbaren Wiederkunft Christi“ im Jahr 1917 zu „retten“. Die „Heiligtumslehre“ ersetzt bei den STA natürlich nicht das Warten auf die sichtbare Wiederkunft des Herrn. Wohl aber sind sie nun aus Schaden klug geworden und versuchen sich nicht noch einmal daran, das Datum der Wiederkunft Christi auszurechnen.
Das Element des „Siebenten Tages“ wurde in den Adventismus von dem Schiffskapitän Joseph Bates eingebracht, der zuvor Mitglied der „Siebenten-Tags-Baptisten“ gewesen war. Er verkündigte den Anhängern Millers, die in der Advent-Bewegung verblieben waren, die verpflichtende Bedeutung der Heiligung des Sabbats auch für Christen. Die wichtigste Gestalt der neuen Bewegung wurde jedoch Ellen Gould Harmon-White (1827-1915), die behauptete, von Gott „Visionen“ empfangen zu haben, die die Lehre der STA bestätigten. So wurde sie zur „Prophetin“ der STA, durch die Gott seiner Gemeinde unmittelbare praktische Weisungen gab. Bis heute gelten die Schriften von Ellen G. White bei vielen STA als inspiriert, auch wenn sie zumeist der Bibel nicht unmittelbar gleichgestellt werden. Der Anspruch Ellen G. Whites, dass Gott durch sie geredet habe, wird jedoch anerkannt.
Ellen Gould Harmon heiratete James White, der auch seinerseits zu einer prägenden Gestalt der Bewegung der STA wurde. Von ihm stammt die Lehre von der sogenannten „dreifachen Engelbotschaft“: Offenbarung 14,6-12 wird so ausgelegt, dass es Aufgabe der STA sei, erstens alle Menschen aufzufordern, Gott als Schöpfer anzubeten, weil die Stunde seines Gerichts gekommen sei, zweitens aus dem Babylon der Verwirrung und des falschen Systems (damit sind die christlichen Kirchen gemeint) auszugehen und drittens in der Endauseinandersetzung fest auf dem Grund des Gehorsams gegenüber den Geboten Gottes (gemeint ist: gegenüber dem Sabbatgebot) zu stehen.
Mit dieser Interpretation der „dreifachen Engelbotschaft“ grenzte sich die Gemeinschaft der STA deutlich von allen christlichen Kirchen ab; sie erklärte sich zur Gemeinschaft der „Übrigen, die Gottes Gebote halten und haben das Zeugnis Jesu“ (Offenbarung 12,17). In der Folgezeit nahm die Bewegung festere organisatorische Strukturen an: 1860 einigte man sich auf die offizielle Bezeichnung „Siebenten-Tags-Adventisten“, 1863 wurde in Battle Creek/Michigan die „Generalkonferenz“ gegründet, ein Zusammenschluss aller örtlichen Gemeinden und regionalen Konferenzen. Die Gemeinschaft der STA hat gerade in den letzten Jahrzehnten, vor allem in Ländern der Dritten Welt, ein starkes Wachstum erfahren: Hatte sie 1961 noch 1 Million Mitglieder, waren es im Jahr 2000 10 Millionen und im Jahr 2008 bereits fast 16 Millionen. In Deutschland stagniert die Zahl der getauften STA-Mitglieder – die STA praktizieren in der theologischen Tradition der Baptisten keine Kinder – seit etlichen Jahren bei etwa 36.000.
In der Fachliteratur wird die Gemeinschaft der STA in der Regel als „Sondergemeinschaft“ eingeordnet. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die STA auf der einen Seite grundlegende Lehren des christlichen Glaubens, wie sie in den christlichen Kirchen vertreten werden, bejahen, dass sie zugleich aber auch bestimmte Sonderlehren vertreten, die eine Einordnung der STA als „Freikirche“ – auch wenn sie selber seit einigen Jahren diesen Namen als offizielle Selbstbezeichnung gewählt haben – schwierig machen. Innerhalb der STA gibt es gerade hier in Deutschland erbitterte Auseinandersetzungen über den weiteren Weg der STA: Während vor allem die norddeutschen STA einen Kurs der Annäherung an andere Freikirchen wie etwa die Baptisten oder die Freien Evangelischen Gemeinden und eine Mitwirkung in der Ökumene befürworten und dafür bereit sind, adventistische Sonderlehren in ihrer Bedeutung zu relativieren, gibt es bei den süddeutschen STA und erst recht bei den zahlreichen russlanddeutschen STA-Gemeinden starke Vorbehalte gegen jegliche Annäherung an die christlichen Kirchen, vor allem gegenüber der römisch-katholischen Kirche, die als das große Feindbild dargestellt wird. Hier werden, vor allem in den russischsprachigen STA-Gemeinden, die adventistischen Sonderlehren so stark betont, dass man hier eindeutig von sektiererischen Tendenzen sprechen muss. Dies gilt erst recht für die „Missionsgesellschaft zur Erhaltung und Förderung adventistischen Glaubensgutes“ (MEFAG), die den STA mehr oder weniger offen den Abfall von den adventistischen Glaubenslehren vorwirft und ihre Positionen sehr offensiv – auch mithilfe von Verteilschriften – in der Öffentlichkeit vertritt.
In mancherlei Hinsicht erinnert die klassische Argumentation der STA zum Thema „Sabbat“, aber auch etwa, was die Speisevorschriften aus 3. Mose 11 angeht, an die Position der Gegner des Apostels Paulus, mit denen dieser sich schon in der Zeit des Neuen Testaments auseinanderzusetzen hatte. Sie betonten die Bedeutung der Gesetzesbestimmungen des Alten Testaments auch für die christliche Gemeinde, während Paulus dagegen verkündigte: „Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.“ (Römer 10,4) Entsprechend schreibt er: „So lasst euch nun von niemandem ein schlechtes Gewissen machen wegen Speise und Trank oder wegen eines bestimmten Feiertages, Neumondes oder Sabbats.“ (Kolosser 2,16) Historisch gesehen ist klar, dass sich die Christen nach Ostern „am ersten Tag der Woche“, dem Auferstehungstag, also am Sonntag, versammelt haben, um an diesem Tag jeweils das Mahl des Herrn zu feiern und dabei seine Gegenwart zu erfahren (vgl. Apostelgeschichte 20,1). Der Sabbat und seine Einhaltung spielt nach Ostern für die Christen keine Rolle mehr, auch wenn die erste judenchristliche Gemeinde in Jerusalem sich zunächst vermutlich noch an den Wochenrhythmus der Umgebung, in der sie lebte, gehalten hat. Die Praxis, den Auferstehungstag Christi zu feiern, war für die Christen am Ende der neutestamentlichen Zeit so selbstverständlich, dass Ignatius von Antiochien im Jahr 107 schreiben konnte: „Die Juden, die zu der neuen Hoffnung gekommen sind, feiern nicht mehr den Sabbat, sondern halten den Herrentag, an dem durch Christus das Leben aufgegangen ist.“ Nirgendwo in der Heiligen Schrift findet sich ein Hinweis darauf, dass der Sabbat auch von Nichtjuden gehalten werden soll; er gilt vielmehr als besonderes Erkennungszeichen Israels und des jüdischen Volkes (vgl. 2. Mose 31,13+17). Dass Jesus selber den Sabbat gehalten hat, ist von daher klar; dass seine Praxis jedoch nach Ostern eine Bedeutung für die Christen haben soll, ist ein Kurzschluss, der von vielen STA leider kaum reflektiert wird: Ein Synagogenbesuch ist eben etwas völlig anderes als die Zusammenkunft der Christen zur Feier des Heiligen Mahles. Dabei behaupten die christlichen Kirchen ja nicht – auch wenn ihnen dies von radikalen STA unterstellt wird –, dass Christen ihre Gottesdienste unbedingt am Sonntag feiern müssen. Sie tun dies, weil es sinnvoll ist, wie die ersten Christen am Auferstehungstag Christi zusammenzukommen. Doch Martin Luther hat in seiner Auslegung des Dritten Gebots schon deutlich gemacht, dass es nicht auf den Wochentag ankommt, sondern auf den Inhalt: „dass wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern dasselbe heilig halten, gerne hören und lernen.“ Wenn Christen sich am Samstag zum Gottesdienst versammeln, ist das nicht falsch – solange sie nicht behaupten, ihre Praxis sei die allein richtige. Dazu hat Paulus in Römer 14,5 schon das Nötige gesagt. Geradezu absurd ist es jedoch, die Feier des Gottesdienstes am Sonntag zum „Malzeichen des Tieres“ (vgl. Offenbarung 13,16-18) und alle Mitglieder der christlichen Kirchen damit zu Anhängern des Antichristen zu erklären. Ähnliches gilt für die Einhaltung der Speisegebote. Ellen G. Whites Visionen befassen sich unter anderem auch mit der Bedeutung einer gesunden Ernährung. So verzichten Adventisten in der Regel auf den Genuss von Schweinefleisch, Meeresfrüchten und Alkohol, dazu oft auch auf den Genuss von Kaffee. Problematisch wird es auch hier, wenn die Einhaltung solcher Vorschriften – entgegen Römer 14,14 – als Kennzeichen wahren Christseins deklariert wird. Hier gilt immer wieder die Warnung des Apostels aus Galater 5,1+4. Das Augenmerk, das Ellen G. White in ihren Visionen auf die Frage der Gesundheit legte, ist übrigens der Grund dafür, dass sich die STA in besonderer Weise im Gesundheitswesen, z.B. mit dem Bau von Krankenhäusern (in Berlin-Zehlendorf das Krankenhaus Waldfriede) oder in der Produktion von gesunden Lebensmitteln (De-Vau-Ge-Gesundkostwerk – in vielen Reformhäusern zu finden) engagieren.
Es bleibt zu hoffen, dass die befreiende Kraft des Evangeliums auch unter den STA immer mehr ihre Wirkung entfaltet und damit die Bedeutung der unbiblischen Sonderlehren (Sabbat, Dreifache Engelbotschaft mit der Disqualifizierung aller christlichen Kirchen, Heiligtumslehre, Bedeutung von Ellen G. White) in ihrer Mitte zurückdrängt. Es bleibt dann aber zugleich natürlich die Frage, worin die STA, wenn sie ihren zum Teil schon eingeschlagenen Weg als „Freikirche“ weitergehen, eigentlich dann noch ihre Existenzberechtigung als eigenständige Gemeinschaft sehen.