17.12.2008 | St. Matthäus 3, 7-12 (Mittwoch nach dem 3. Sonntag im Advent)

MITTWOCH NACH DEM DRITTEN SONNTAG IM ADVENT – 17. DEZEMBER 2008 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 3,7-12

Als er nun viele Pharisäer und Sadduzäer sah zu seiner Taufe kommen, sprach er zu ihnen: Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Frucht der Buße! Denkt nur nicht, dass ihr bei euch sagen könntet: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum: jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Ich taufe euch mit Wasser zur Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, ihm die Schuhe zu tragen; der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Er hat seine Worfschaufel in der Hand; er wird seine Tenne fegen und seinen Weizen in die Scheune sammeln; aber die Spreu wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer.

Vor gut 40 Jahren erregte ein Theaterstück von Peter Handke großes Aufsehen: „Publikumsbeschimpfung“ – so hieß das Stück, in dem vier Schauspieler, wie der Titel des Stückes schon andeutet, das Publikum im Theater kräftig beschimpfen. Am Ende der Beschimpfung wünschen die Darsteller dem Publikum eine gute Nacht, und es wird lauter Beifall geklatscht. Das Stück rief verständlicherweise sehr kontroverse Reaktionen hervor: Die einen waren begeistert und genossen es beinahe, sich im Theater gegen Zahlung eines Eintrittspreises mal so richtig beschimpfen zu lassen. Andere dagegen waren empört: Warum soll ich denn Geld für ein Theaterticket ausgeben, um mich dafür auch noch beleidigen und anpöbeln zu lassen?
Beim ersten Hinhören klingt das, was Johannes der Täufer in der Predigtlesung des heutigen Abends seinen Zuhörern an den Kopf wirft, ja auch so ähnlich wie die Publikumsbeschimpfungen eines Peter Handke: „Ihr Schlangenbrut“, so redet Johannes der Täufer die Vertreter wichtiger religiöser Gruppierungen im damaligen Judentum an. Das klingt nicht eben nett, vor allem, wenn man bedenkt, dass eine Titulierung von Menschen mit Tiernamen damals vor 2000 Jahren in Israel ansonsten völlig unbekannt und unüblich war: Das machte man einfach nicht, andere Menschen als Esel, Kamele, Ziegen oder eben auch als Schlangen zu bezeichnen. Der Prophet Amos hatte sich fast 800 Jahre zuvor einmal Ähnliches getraut, als er die wohlhabenden Damen der Oberschicht von Samaria mit den wenig freundlichen Worten „Ihr fetten Kühe“ angeredet hatte. Doch „Schlangenbrut“ – das war fast noch einen Zacken schärfer.
Machte das dem Johannes einfach Spaß, mal die Vertreter der religiösen Oberschicht nach Herzenslust beleidigen zu können, in ihre verblüfften Gesichter schauen zu können? O nein, Johannes ging es um viel mehr: Das kommende Gericht hatte er zu predigen, und diese Gerichtspredigt war noch einmal etwas ganz Anderes als eine Beleidigung. Sie zielte weder darauf ab, dass die Zuhörer sich von ihm ihre masochistischen Neigungen befriedigen ließen, noch wollte er Leute einfach mal aus Spaß verletzen. Sondern seine Gerichtspredigt zielte auf die Umkehr seiner Zuhörer und damit auf ihre Rettung aus dem kommenden Gericht.
Hochaktuell ist von daher, was St. Matthäus in der Predigtlesung des heutigen Abends beschreibt: Denn das kommende Gericht Gottes anzukündigen ist ja auch heute noch die Aufgabe der Kirche, die Aufgabe derer, die in ihr das Wort Gottes verkündigen. Doch für die Kirche ist es heutzutage hier in unserem Land schwer geworden, diese Aufgabe noch wahrzunehmen. Wo vom Gericht geredet wird, da empören sich die einen, werfen der Kirche vor, sie würde statt einer Frohbotschaft eine Drohbotschaft verkündigen, werfen ihr vor, sie würde die Leute abschrecken, statt sie anzunehmen, wie sie sind. Und dann gibt es die anderen, die es beinahe für einen geistlichen Genuss halten, sich vom Pfarrer auf der Kanzel mal wieder nach allen Regeln der Kunst zusammenfalten zu lassen: „Ja, Herr Pastor, heute haben Sie es uns aber mal wieder so richtig gegeben!“
Doch was hier im Gottesdienst geschieht, ist eben kein Theaterstück, keine gute oder schlechte Unterhaltung. Sondern hier geht es tatsächlich um nicht weniger als um Leben und Tod, um ewiges Leben und ewigen Tod. Ja, wie kann das Gericht Gottes von daher richtig verkündigt werden, dass es nicht bloß als Publikumsbeschimpfung wahrgenommen wird? Genau dazu leitet uns St. Johannes der Täufer hier mit seiner Predigt an die Pharisäer und Sadduzäer an: Eine rechte Gerichtspredigt

- lässt keine Fluchtmöglichkeit
- verkündigt keine Moral
- verweist auf das Kommen Christi

I.

Eigentlich hätte der Johannes sich ja freuen können über den Massenansturm, den seine Predigt am Jordan ausgelöst hatte. In großen Scharen kamen die Menschen aus Jerusalem und dem ganzen Land. Und dann tauchen da bei ihm sogar Pharisäer und Sadduzäer auf – gleichsam die religiöse Elite des Landes. Na, wenn das kein Erfolg war, wenn selbst die sich von seiner Predigt zur Taufe rufen ließen! Doch Johannes reagiert ganz anders: Er hofiert diese Leute nicht, er behandelt sich auch nicht einfach bloß wie alle anderen Leute auch, sondern er knöpft sie sich ganz direkt vor: „Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?“ Nein, das lässt sich nicht gerade als freundliche Begrüßung bezeichnen.
Doch Johannes schaut offenkundig tiefer. Er sieht, dass diese frommen Leute, die da zu ihm kommen, in Wirklichkeit gar keine Notwendigkeit bei sich selber erkennen, in ihrem Leben umzukehren. Wozu sollten sie auch? Sie lebten doch nach den Geboten Gottes, und darüber hinaus galt ihnen als Nachkommen Abrahams doch ohnehin die Verheißung, dass sie als Glieder des Volkes Gottes auf der richtigen Seite standen. Die Taufe, die sie von Johannes empfangen wollten, sahen sie wohl eher als eine Bestätigung dafür an, dass sie natürlich ohnehin zu denen gehören, die am Tag des Gerichts Gottes gerettet würden – wobei das die Sadduzäer alles ohnehin nur sehr begrenzt kratzte, weil sie ja überhaupt nicht an ein Leben nach dem Tode glaubten.
Und diese Leute nimmt sich der Johannes hier nun zur Brust: Nein, ihr täuscht euch gewaltig, wenn ihr glaubt, ihr wärt dazu in der Lage, dem kommenden Gericht Gottes zu entrinnen, euch würde dieses Gericht nicht treffen. Keine Chance habt ihr von euch aus in diesem Gericht – genauso wenig wie irgendein anderer Mensch auch. Und glaubt ja nicht, Gott könne euch mit seinem Gericht ja gar nicht treffen, weil ihr ja zu seinem Volk gehört und Gott ja irgendein Volk hier auf Erden braucht, das zu ihm gehört. Gott kann dem Abraham auch aus Steinen Kinder erwecken; der kann sich auch ein ganz neues Volk schaffen, wenn er will. Nein, Gott lässt sich nicht von irgendwelchen Privilegien beeindrucken; wer in seinem Leben nicht die Früchte bringt, die Gott erwartet, der wird in seinem Gericht nicht bestehen können. Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
So predigt Johannes der Täufer, und so leitet er die Kirche dazu an, Gottes Gericht zu predigen. Recht gepredigt wird Gottes Gericht so, dass kein Zuhörer noch denken kann, die Ankündigung dieses Gerichts würde vielleicht allen möglichen anderen gelten, aber nicht ihm selber: „Herr Pfarrer, Sie haben heute wunderbar gepredigt. Alles, was Sie über die Sünde gesagt haben, trifft genau auf meinen Mann zu!“ Recht gepredigt wird Gottes Gericht so, dass nicht über die Sünden der anderen gepredigt wird, die gar nicht in der Kirche sitzen und über die man selber so wunderbar zu Gericht sitzen kann, sondern dass diejenigen, die in der Kirchenbank sitzen, merken: Ich bin jetzt gemeint. Recht gepredigt wird Gottes Gericht so, dass die Zuhörer nicht am Ende den Eindruck gewinnen, Gott würde das mit seinem Gericht, mit seinem Zorn vielleicht doch alles nicht ganz so ernst meinen, am Ende würde alles doch nicht ganz so heiß gegessen, wie es gekocht würde. Ja, recht gepredigt wird Gottes Gericht natürlich umgekehrt erst recht nicht, wenn es erst gar nicht mehr in der Predigt erwähnt wird, wenn Gott nur noch als verständnisvoller älterer Herr erscheint, der uns letztlich doch ganz okay findet.
Schwestern und Brüder, ich hoffe, ihr habt es mittlerweile gemerkt: Es geht hier natürlich auch um euch, es geht um dich und um mich. Gottes Gericht kommt auf uns zu; Gott hat es in der Zwischenzeit nicht abgeblasen. Und wir haben von uns aus nicht die geringste Chance, in diesem Gericht zu bestehen, können Gott nichts, aber auch gar nichts vorweisen, was ihn beeindrucken könnte. Ja, was uns bleibt, ist einzig und allein, dieses Gericht Gottes anzuerkennen: Ja, ich habe deine Strafe zeitlich und ewiglich verdient.

II.

Ein Zweites macht uns Johannes der Täufer hier deutlich: Gerichtspredigt ist etwas Anderes als Moralpredigt. Genau das wird in der öffentlichen Wahrnehmung der Kirche ja immer wieder miteinander verwechselt, und leider hat die Kirche diesem Missverständnis auch immer wieder in ihrer Verkündigung Vorschub geleistet.
Wo Moral statt Gericht gepredigt wird, da wird das anständige Handeln der Menschen gleichsam zum Zweck an sich: Wenn die Kirche die Menschen dahin bringt, dass sie nett und liebevoll miteinander umgehen, dann hat sie ihren Auftrag erfüllt, ihr Ziel erreicht. Wo Moral statt Gericht gepredigt wird, da bleibt es den Zuhörern möglich, sich über die Untaten anderer zu empören und sich selber dabei als bessere Menschen zu fühlen. Wo Moral statt Gericht gepredigt wird, da werden Menschen dazu verführt zu glauben, sie könnten es doch noch irgendwie schaffen, mit etwas Anstrengung und gutem Willen so zu leben, dass Gott mit ihnen zufrieden sein kann. Wo Moral statt Gericht gepredigt wird, da geht es um die Taten der Menschen und nicht um ihr Herz.
Und genau darum predigt Johannes hier Gottes Gericht und keine Moral. Er kündigt nicht an, dass Gott mit einem kleinen Messer erscheinen wird, um an den Bäumen die eine oder andere faule Stelle zu beseitigen, damit sie wieder ganz ordentlich und gesund dastehen. Nein, es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt, so predigt es Johannes. Um Frucht geht es, die Gott erwartet, und, so führt Jesus selber später das Bild des Johannes weiter, nur ein guter Baum kann gute Früchte bringen. Wenn ein Baum krank und faul ist, dann wird er keine guten Früchte bringen können. Wenn das Herz des Menschen nicht erneuert ist, dann wird er nicht so leben können, dass sein Leben Gott gefällt. Und so wenig wie ein fauliger Pflaumenbaum sich mit etwas Anstrengung in einen blühenden Kirschbaum verwandeln kann, so wenig kann ein Mensch sich selber ein neues Herz schaffen, um die Früchte bringen zu können, mit denen er in Gottes Gericht bestehen könnte. Nein, mit moralischen Appellen kommen wir da nicht weiter; so können wir gewiss Gottes Gericht nicht entgehen.

III.

Aber nun endet die Predigt des Täufers an dieser Stelle nicht. Nein, Johannes verweist auf den, der nach ihm kommt, dem er mit seiner Verkündigung den Weg bereitet, auf ihn, Christus. Und er, Christus, ist zu etwas in der Lage, was Johannes selber nicht vermag: Er wird mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Die Taufe, die er, Christus, einmal spenden wird, die wird nicht bloß ein Zeichen der Umkehr des Menschen sein; in ihr wird etwas Unfassliches geschehen: Gottes Heiliger Geist wird dazu in der Lage sein, Menschen neu zu machen, sie, im Bilde gesprochen, zu guten Bäumen zu machen, die gute Frucht bringen. Unendlich größer als Johannes ist der, der da kommt, so macht es Johannes deutlich: Er ist es noch nicht einmal wert, ihm auch nur die Schuhe zu tragen, Sklavendienste für ihn zu verrichten. Nein, durch das Kommen Christi fällt das kommende Gericht nicht aus, ganz im Gegenteil. Doch er, Christus, kommt, um in seine Scheune zu sammeln, um Menschen in sein Reich zu retten. Ja, an ihm, Christus, an der Stellung zu ihm, fällt die Entscheidung, wer am Ende in Gottes Gericht gerettet wird oder nicht.
Ja, auch dies gehört zu einer rechten Gerichtspredigt dazu, dass sie die Menschen nicht einfach ratlos oder verzweifelt zurücklässt, sondern dass sie umso deutlicher auf Christus verweist, auf den kommenden Retter, dass sie auf seine Möglichkeiten verweist, die unsere Möglichkeiten unendlich übersteigen. Nein, ohne den Ernst des kommenden Gerichtes könnten wir nicht verstehen, warum Christus überhaupt in diese Welt gekommen ist. Wenn es gar kein Gericht gibt, dann hätte er sich seinen ganzen Weg bis hin zum Kreuz sparen können. Aber gerade weil wir darum wissen, dass Gottes Gericht kommt, ist es umso wichtiger, dass uns in jeder Predigt, ohne Ausnahme, immer wieder Christus vor Augen gestellt wird, dass er uns ganz groß gemacht wird, dass wir unsere Hoffnung nicht auf uns, auf unsere guten Werke setzen, sondern allein auf ihn. In der Heiligen Taufe hat er auch uns den Heiligen Geist geschenkt, und wir, wir können unser ganzes Leben lang nur über dieses Wunder staunen, wie Christus da in unserer Taufe gleichsam aus einem Stein ein Kind Abrahams, ein Glied des Volkes Gottes gemacht hat, können nur darüber staunen, dass Christus uns selber so umhüllt und prägt, dass wir in Gottes Augen tatsächlich richtig dastehen.
Nicht Sicherheit, sondern Gewissheit ruft darum die rechte Predigt von Gericht und Evangelium hervor: nicht Sicherheit, dass wir es schon irgendwie schaffen werden, uns am Ende durchs Gericht durchzumogeln, sondern die Gewissheit, dass Christus am Ende wahrmachen wird, was er uns in unserer Taufe versprochen hat. Und um Christi willen seid ihr eben keine Schlangenbrut, sondern Gottes Kinder, Christus sei Dank! Amen.