30.11.2008 | St. Matthäus 21, 1-9 (1. Sonntag im Advent)

ERSTER SONNTAG IM ADVENT – 30. NOVEMBER 2008 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 21,1-9

Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.« Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und er setzte sich darauf. Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

„Hilfe, wo bin ich denn hier bloß reingeraten!“ Vielleicht haben manche von euch auch solche oder ähnliche Gedanken gehabt, als sie zum ersten Mal hier einen Gottesdienst bei uns miterlebt haben. Bei vielen von euch ist das ja noch nicht so lange her, dass ihr zum ersten Mal an einem Gottesdienst hier in dieser Kirche teilgenommen habt, und da mag es sehr wohl sein, dass es da vieles gab, was euch erst einmal sehr fremd und merkwürdig vorkam: Da sitzen hier massenhaft Leute und singen, ja, singen selber, hören sich nicht bloß Lieder an, die andere singen und spielen. Und was sind das für Lieder? – Die haben ja Melodien, die ganz anders klingen als die Lieder, die man normalerweise so im Radio hört! Und dann fangen die Leute hier auch noch an, irgendetwas Ausländisches zu singen – Kyrie eleison und Halleluja und Hosianna. Klingt ja alles sehr merkwürdig. Und dann muss man sich hier auch noch dauernd bewegen, kann hier nicht einfach bloß ruhig rumsitzen wie im Kinosessel. Plötzlich stehen alle auf, dann knien sich plötzlich alle hin, und dann gehen sie nach vorne und essen da irgendetwas, lassen sich da füttern wie kleine Kinder. Und einzelnen Leuten wird dann zu Beginn des Gottesdienstes auch noch Wasser über den Kopf geschüttet – ja, wo bin ich denn hier bloß reingeraten!
„Hilfe, wo bin ich denn hier bloß reingeraten!“ Das mag sich auch so mancher Bewohner Jerusalems gedacht haben, der da eines schönen Tages vor den Stadttoren Jerusalems spazieren ging. Da strömen mit einem Mal Menschenmassen zusammen, die Leute sind ganz aufgeregt, fangen an, sich ihre Kleider vom Leib zu reißen, wedeln mit irgendwelchen Zweigen in der Hand herum – und weshalb das alles? Weil da ein jüngerer Mann auf zwei Eseln den Weg hoch zu dem einen Stadttor reitet. Und deshalb jubeln und singen die Menschen, tun so, als ob da gerade ein besonderer Staatsbesuch stattfinden würde – also, das ist alles schon sehr merkwürdig!
„Hilfe, wo bin ich denn hier bloß reingeraten!“ – Genau auf diese Frage gibt uns der Evangelist St. Matthäus eine Antwort, nein, gleich mehrere Antworten im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags. Hintergrundinformationen gibt er uns hier, die uns zunächst einmal verstehen lassen sollen, was damals vor knapp 2000 Jahren vor den Stadttoren Jerusalems in Wirklichkeit geschehen ist, Hintergrundinformationen, die uns zugleich auch helfen können, besser zu verstehen, was hier in jedem Gottesdienst in unserer Kirche abgeht.
Was machen wir also eigentlich hier in der Kirche, hier im Gottesdienst? Der Evangelist St. Matthäus gibt uns hier drei Antworten:

- Wir tun, was uns geboten ist.
- Wir erfahren, wie sich Versprechen erfüllen.
- Wir erleben die Ankunft unseres Herrn.

I.

Eines macht uns St. Matthäus hier gleich zu Beginn seiner Erzählung ganz deutlich: Der Einzug Jesu in Jerusalem war keine Sponti-Veranstaltung, sondern war genau geplant und vorbereitet. Jesus selber organisiert seinen Einzug, schickt zwei seiner Jünger los und gibt ihnen ganz genaue Anweisungen, was sie zu tun haben: Eine Eselin und ihr Füllen sollen sie losbinden und zu ihm, Jesus, führen. Ja, auf diesen beiden Tieren will Jesus in Jerusalem einziehen. Und die beiden Jünger – sie gehen hin und tun genau das, was Jesus ihnen befohlen hat. Sie sagen nicht: „Ach, das finden wir aber nicht so gut, dass du da auf einem Esel oder gar auf zweien reiten willst. Wie wäre es, wenn wir Jünger dich stattdessen auf den Schultern tragen? Oder vielleicht sollten wir doch lieber ein Pferd nehmen – das macht doch ein bisschen mehr her als so eine Eselin! Auf einem Esel reiten kann doch jeder; das ist doch nichts Besonderes!“ Nein, wenn Jesus sagt, dass er auf einer Eselin in die Stadt reiten will, dann holen die Jünger eben die Eselin mitsamt ihrem Füllen. Wie die Leute am Wegesrand dann darauf reagieren, dass Jesus auf den beiden Eseln da angeritten kommt, das hat Jesus allerdings nicht mehr organisiert; das ergibt sich von selbst: Die Jünger und viele andere Leute erkennen in Jesus den Messias, den von Gott gesandten Retter – und so jubeln sie ihm zu, rollen ihm gleichsam einen roten Teppich aus, indem sie ihm ihre Kleider auf den Weg legen, bringen damit zum Ausdruck, was er, Jesus, ihnen bedeutet und was sie von ihm erwarten.
Genau darum geht es auch in jedem Gottesdienst, den wir feiern: Wir tun, was Jesus uns aufgetragen und geboten hat. Nein, auch unser Gottesdienst ist keine Sponti-Veranstaltung, sondern wir kommen hier zusammen, weil Christus auch uns genaue Anweisungen gegeben hat, was wir hier tun sollen. Taufen sollen wir beispielsweise, und Brot und Wein sollen wir beispielsweise nehmen und sie mit den Worten Christi segnen. Und dann will Christus diese so unscheinbaren Elemente gebrauchen, um auf ihnen zu uns zu kommen, um auf ihnen bei uns seinen Einzug zu halten. Nein, da können wir auch nicht sagen: „Ach, das sieht doch viel zu primitiv und schlicht aus, das bekommt doch keiner mit, dass da im Brot und Wein wirklich Christus selber gegenwärtig sein soll. Nehmen wir zur Abwechslung mal andere Elemente statt Brot und Wein; das spricht die Leute vielleicht mehr an. Und überhaupt sollte man sich das überlegen, ob wir das mit dem Abendmahl tatsächlich immer so halten sollten. Heutzutage haben wir doch ganz andere Möglichkeiten, die Leute zu begeistern und Stimmung zu machen; da sind wir doch nicht darauf angewiesen, immer noch dasselbe Ritual abzuhalten wie vor zweitausend Jahren! Und außerdem dauert das bei so vielen Leuten doch auch viel zu lange; können wir es da nicht einfach ausfallen lassen oder abkürzen?“
Nein, können wir alles nicht; denn der Gottesdienst gründet auf dem, was Christus selber befohlen hat. Daran können wir nicht herumspielen; das können wir nur so ausführen, wie er es gesagt hat. Und wenn Jesus nun einmal auf zwei Eseln zu uns kommen will, im Brot und im Wein, dann können wir nicht einen der beiden Esel streichen, dann lassen wir ihn auch auf beiden Eseln zu uns kommen, auch wenn das ein bisschen länger dauert. Gewiss, die Formen, in denen wir das Kommen Jesu in unserer Mitte feiern, die mögen sich wandeln. In aller Regel reißen wir uns hier im Gottesdienst nicht mehr die Kleider vom Leibe vor Freude über das Kommen des Herrn, und statt mit irgendwelchen Baumzweigen herumzuwedeln, begnügen wir uns lieber mit der Aufhängung eines Adventskranzes. Auch die Melodien der Lieder, die wir singen, mögen sich wandeln, ja, dort, wo Christus uns nichts ausdrücklich geboten hat, haben wir in der Gestaltung unseres Jubels über das Kommen des Herrn eine große Freiheit. Aber erkennbar werden soll es allemal, dass wir wissen, wen wir da eigentlich feiern, nicht uns selber, nicht unsere schöne Gemeinschaft, sondern ihn, den Herrn. Und dann werden wir feststellen, dass dabei auch die Worte, die die Menschen damals beim Einzug Jesu in Jerusalem gesungen haben, immer noch einen so guten Sinn machen, dass auch wir sie bei jeder Feier des Heiligen Abendmahls singen: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“ Nein, so abgedreht ist das gar nicht, was wir hier im Gottesdienst machen; wir tun eigentlich nur, was uns von Christus selber geboten ist.

II.

Der Einzug Jesu in Jerusalem war keine Sponti-Veranstaltung. St. Matthäus entfaltet das hier im Heiligen Evangelium noch einmal auf eine andere Weise: Er stellt heraus, dass sich in der Organisation der beiden Esel für Jesu Einzug erfüllt, was Gott selber durch den Propheten Sacharja viele hundert Jahre zuvor versprochen hatte: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.“ Staunend stellt Matthäus fest: Gott hält sein Wort. Was er damals schon durch Sacharja angekündigt hatte, das vollzieht sich nun hier und jetzt in der Gegenwart, als Jesus dort mit den beiden Eseln in Jerusalem einzieht. Und zugleich wird aus den Worten des Propheten überhaupt erst erkennbar, was da eigentlich bei diesem Einzug in Wirklichkeit passiert: Da findet eben nicht bloß irgendein Happening statt, da veranstalten nicht bloß ein paar junge Leute eine Freiluftparty. Sondern der da auf den Eseln sitzt, ist ein König, nicht irgendein König, sondern der versprochene König für Jerusalem, der Messias. Und doch ist dieser König ganz anders, als sich die Leute damals in Israel den Messias vorstellten: Er kommt nicht in Kriegsausrüstung, nicht auf einem kampferprobten Schlachtross, nicht mit einem Schwert in der Hand, sondern er kommt sanftmütig, so zitiert St. Matthäus den Propheten Sacharja hier, kommt, um auf eine ganz andere Weise sein Reich zu bauen, als man dies eigentlich von ihm erwartet hätte. Ach, so zeigt es St. Matthäus hier, eigentlich hätten es die Leute damals auch schon wissen können, sie hätten nur den Sacharja im Hinterkopf zu haben brauchen; dann hätten sie nicht länger auf einen Feldherrn gewartet, der die Römer aus der Stadt vertreibt, dann hätten sie auch nicht wenige Tage später über diesen König urteilen müssen: Kreuzige ihn, kreuzige ihn!
Um verstehen zu können, was hier bei uns im Gottesdienst geschieht, muss man auch die Hintergründe kennen, genau wie damals bei dem Einzug Jesu in Jerusalem. Ja, auch hier in unserer Mitte erfüllt sich immer wieder neu genau diese Ankündigung des Propheten Sacharja: Siehe, dein König kommt zu dir. Er kommt nicht bloß nach Jerusalem, er kommt auch nach Zehlendorf, und er kommt zu uns genauso unauffällig, so wenig wie spektakulär, wie er damals in Jerusalem eingezogen ist: Sanftmütig kommt er, so, dass er sich uns nicht aufdrängt, dass er uns nicht nötigt und zwingt. Viel sehen kann man da ja nicht, wenn er seinen Einzug bei uns hält im Brot und Wein des Heiligen Mahles. Nur allzu leicht kann man übersehen, was hier geschieht. Und dann steht er hier am Altar und lädt euch einfach ein, er, euer König: „Kommt, denn es ist alles bereit. Kommt, ich will euch helfen, will euch ein neues Leben schenken. Kommt, nein, ich setze euch nicht die Pistole auf die Brust, ich setze euch nicht moralisch unter Druck. Ich lasse es zu, dass ihr mich hier stehen lasst, dass ihr mich vergeblich auf euch warten lasst. Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. Und gerade so will ich euer Herz gewinnen, will die Herrschaft auch in eurem Leben übernehmen.“
Nein, Christus arbeitet auch heute nicht mit irgendwelchen Tricks, beeindruckt uns nicht bombastischen Shows, spielt nicht mit unseren Emotionen. Der Gottesdienst ist keine geistliche Kaffeefahrtveranstaltung, bei der Christus uns irgendetwas aufschwatzt, was wir eigentlich gar nicht haben wollen. Sondern hier erfahren wir einfach, wie Gott sein Versprechen erfüllt, wie zweitausend Jahre Geschichte Gegenwart werden, erfahren, dass es immer noch derselbe sanftmütige König ist, der damals in Jerusalem einritt und heute auch in unsere Mitte kommt.

III.

Und damit sind wir schon beim Dritten und Entscheidenden, worum es hier in diesem Gottesdienst geht, bei dem, was diesen Gottesdienst überhaupt zum Gottesdienst macht und nicht bloß zu irgendeiner abgedrehten religiösen Veranstaltung: Hier im Gottesdienst erleben wir immer wieder die Ankunft des Herrn.
Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß, das ist nicht unbedingt eine umwerfende Neuigkeit, die ich euch da verkündige. Das wissen wir eigentlich irgendwie alle miteinander schon. Aber in unserem alltäglichen Leben gerät uns genau diese Selbstverständlichkeit immer wieder so leicht aus dem Blick, dass wir zum Gottesdienst kommen, um die Ankunft unseres Herrn und Königs zu erleben. Da geraten wir dann doch mitunter so leicht in die Versuchung, darauf zu schielen, welcher Pastor denn den Gottesdienst leitet – als ob das bei der Ankunft des Herrn und Königs der Welt in unserer Mitte irgendeine Rolle spielen würde! Ja, wenn der Pastor nicht da ist und nicht mitbekommt, dass ich schwänze, dann brauche ich ja auch nicht zu kommen! Oder da spielt es dann vielleicht doch eine Rolle, ob unsere Freunde, unsere Bekannten am Sonntag auch zur Kirche kommen. Wenn die nicht da sind, brauche ich ja auch nicht zu kommen! Die Ankunft des Herrn der Welt in unserer Mitte ist dann mit einem Mal gar nicht mehr das entscheidende Argument. Und vielleicht lockt manchen das Angebot eines Adventsbasars dann auch noch stärker in die Kirche als bloß ein normaler Gottesdienst. Ja, wenn es Stollen, Marmeladen und Weihnachtsbasteleien gibt, dann steht man dafür anstandshalber auch vorher noch einen Gottesdienst mit durch!
Und eben darum tun wir gut daran, uns heute wieder neu durch das heilige Evangelium die Augen dafür öffnen zu lassen, was hier im Gottesdienst eigentlich abgeht: Der König aller Könige, der Herr aller Herren, der Richter der Welt und unser Retter kommt in unsere Mitte. Ach, wenn uns das auch nur ein Stück weit aufgehen würde, was das eigentlich bedeutet, dann würden wir überhaupt nicht mehr auf die Idee kommen, noch die Frage zu stellen, ob wir denn sonntags zur Kirche gehen wollen oder nicht, dann wäre es uns tatsächlich völlig egal, wen wir da sonst noch so alles in der Kirche antreffen und was für ein Rahmenprogramm uns hier möglicherweise geboten wird, dann würden wir alles stehen und liegen lassen, ganz gleich, wie viel oder wenig wir geschlafen haben, um ihm zuzujubeln, wenn er hier zu uns kommt, unser Herr und Retter. „Hosianna – Herr, hilf doch!“ – So rufen wir ihm zu, weil wir wissen, wie dringend nötig wir die Ankunft dieses Herrn brauchen. Nein, wir sind hier keine Schaulustigen bei der Ankunft dieses Herrn. Zu uns kommt er, um uns zu helfen, um uns zu retten, um uns unsere Schuld zu vergeben, um uns ein Leben zu schenken, das auch der Tod nicht zerstören kann.
Kein Wunder, dass es dann auch voll werden kann, wenn Menschen das entdecken und erkennen. Eine sehr große Menge jubelte Jesus damals bei seinem Einzug in Jerusalem zu, so betont es St. Matthäus ausdrücklich. Da mag es damals vielleicht auch ein ganz schönes Gedrängel gegeben haben. So ähnlich mag es uns heute Morgen hier auch in der Kirche gehen. Stören wir uns nicht daran, sondern denken wir daran, warum wir eigentlich hier sind, auch wenn sich unser Einzugsjubel bei der Sakramentsfeier angesichts der großen Menge etwas länger hinziehen mag. Ja, freuen wir uns einfach darüber, dass es so viele gibt, die mit uns erkannt haben, worum es hier im Gottesdienst eigentlich geht: um den Einzug des Herrn, vor dem auch Putin, Obama und der Papst nur als kleine Statisten erscheinen. Siehe, dein König kommt zu dir, jawohl, zu dir – und du darfst hier live mit dabei sein! Amen.